Schlimmer hätte es für Xi Jinping nicht laufen können. China wird immer tiefer in den Ukraine-Krieg gezogen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich in einen Angriffskrieg verrannt, den man in Peking eigentlich nicht wollte. Während sich der russische Bombenterror immer weiter gegen die ukrainische Bevölkerung richtete, tat man in Peking so, als hätte man damit gar nichts zu tun. Der chinesische Präsident versuchte als neutrale Supermacht aufzutreten, aber nun wird immer klarer: Dieser Balanceakt ist kolossal gescheitert.
Die Volksrepublik findet sich in einer Situation wieder, in der die Welt genau hinschaut, was China tut oder sagt. Das ist neu für das Regime und Xi wird zunehmend zum Verhängnis, dass der Krieg in der Ukraine keine Neutralität kennt – die Volksrepublik musste sich positionieren.
Und nun ist klar: China wendet sich nicht, wie vom Westen erhofft, von Russland ab. Xi wird Wladimir Putin nicht fallen lassen, seine Propaganda hetzt seit Tagen intensiv gegen die Nato und die USA und macht sie für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Der russische Präsident hat sich in der Ukraine verhoben, aber es ist durchaus denkbar, dass er Unterstützung aus Peking erhält, damit er nicht scheitert.
Es war der 20. Februar, 20 Uhr in Peking. Gerade sind die Olympischen Spiele mit einem riesigen Propagandagetöse zu Ende gegangen und alles lief für den chinesischen Präsidenten nach Plan: Innenpolitisch waren die Spiele für ihn eine Machtdemonstration, aussenpolitisch konnte er im Schatten von Olympia eine strategische Partnerschaft mit Russland verkünden. China bläst zum Angriff auf die aktuelle Weltordnung mit den USA als führende Supermacht, deren geopolitische Dominanz China und Russland gleichermassen ablehnen.
Bereits vier Tage später wurde Chinas Plan auf den Kopf gestellt. Xi steckte plötzlich in der Patsche, weil sein strategischer Partner Wladimir Putin am 24. Februar beschloss, die Ukraine zu überfallen. Nun gilt China als Komplize eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges und das passt überhaupt nicht in das Bild der verantwortungsvollen Supermacht, das die Diktatur gerne von sich zeichnet.
Bei der olympischen Eröffnungsfeier war es bereits das 38. Mal, dass sich Putin und Xi in der vergangenen Dekade trafen. Beide Präsidenten eint ihr repressiver Regierungsstil und ihre Ablehnung der liberalen Demokratien. Beide möchten eine neue Weltordnung, Russland hat viele Rohstoffe, China einen grossen Rohstoffhunger. Da enden jedoch die Gemeinsamkeiten dieser strategischen Partnerschaft.
Der Krieg in der Ukraine bringt China nun noch weiter in das Fahrwasser Putins, schliesslich haben sich die beiden Präsidenten nur 20 Tage vor Beginn des Angriffs getroffen.
Es ist unklar, was Putin seinem chinesischen Amtskollegen bei dem Treffen über seine Angriffspläne erzählt hat. Es gibt drei Optionen:
Keine dieser Optionen lässt China in einem guten Licht dastehen – entweder wurde Peking nicht informiert, Xi war naiv oder Putin hat seinen Rat ausgeschlagen. Mit jedem Kriegstag wurde das Dilemma für die Volksrepublik grösser, weil der Druck steigt, sich für eine Seite zu entscheiden. Die anfängliche Reaktion aus Peking war zu Kriegsbeginn eher zögerlich.
Doch die Lage in der Ukraine hat sich verändert. Die Offensive der russischen Armee ist festgefahren. Es gibt grosse Logistikprobleme und offenbar auch Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Munition und Verpflegung. Es ist durchaus möglich, dass Putin China um Unterstützung gebeten hat, denn international sind ihm durch den Angriffskrieg weitestgehend die Freunde ausgegangen. Offiziell konnte Russland diese Anfrage allerdings nicht machen, weil man China damit dazu zwingen würde, eine Seite zu wählen – das wollte Xi aber zunächst vermeiden.
Die USA schlugen trotzdem Alarm und warfen China vor, Russland unterstützen zu wollen. Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden Xi in einer Videoschalte persönlich mit Konsequenzen gedroht. Die USA wollen sich nun auch mit Blick auf einen EU-China-Gipfel am 1. April mit den europäischen Verbündeten über ein gemeinsames Vorgehen abstimmen. «Wir glauben, dass wir mit unseren europäischen Partnern einer Meinung sind und in dieser Frage mit einer Stimme sprechen werden», sagte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan. Der chinesische Präsident soll dagegen klargestellt haben, dass «Konflikt und Konfrontation» wie in der Ukraine in niemandes Interesse seien. «So etwas wie die Ukraine-Krise wollen wir nicht sehen.»
Das darf allerdings bezweifelt werden. Der einzige, der den Ukraine-Krieg schon morgen beenden könnte, wäre Xi Jinping. Nach dem Bruch mit dem Westen ist Russland von China abhängig, schon jetzt hat Moskau 13 Prozent seiner Währungsreserven in der chinesischen Währung Yuan angelegt, dieser Anteil soll steigen. Sollte die Volksrepublik dem Kreml nun mit Sanktionen drohen, müsste Putin einlenken, sonst würde seine Wirtschaft komplett zusammenbrechen.
Aber China möchte auf jeden Fall verhindern, dass Putin aus dem Amt fliegt und Russland durch ein politisches Chaos destabilisiert wird. Zum jetzigen Zeitpunkt profitiert die chinesische Wirtschaft davon, dass Russland nun seinen Handel mit China ausbauen muss. Aussenpolitisch sieht man in Peking vor allem die langen Linien und da ist Putin ein wichtiger strategischer Partner gegen den eigentlichen Feind: die Vereinigten Staaten.
So hat die Volksrepublik zunächst versucht, einen Mittelweg zu finden. Xi wollte Putin so weit politisch unterstützen, dass er in der Ukraine nicht scheitert, aber er wollte auch auf keinen Fall zu viel tun, um damit keine Sanktionen aus dem Westen zu riskieren. Zu Kriegsbeginn gaben chinesische Staatsmedien und zum Beispiel das Aussenministerium zwar ungefiltert die russische Propaganda wieder – sie sprechen von der Verantwortung der Nato und der USA an der «russischen Spezialoperation» und von legitimen «historisch hergeleiteten» Interessen Putins. Aber das Regime hat auch Stimmen in Medien und Foren zugelassen, die sich öffentlich für Frieden aussprachen.
Xis Balanceakt ist gescheitert: Nun wird Putin in chinesischen Medien als Held dargestellt, der die Ukraine vor dem vermeintlich verbrecherischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und angeblichen amerikanischen Kriegstreibern beschütze. China verkauft die USA als Aggressor, die in der Ukraine einen blutigen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen. Auch im UN-Sicherheitsrat hat sich die chinesische Regierung nun öffentlich hinter Russland gestellt.
Vor allem deshalb setzt die Nato China die Pistole auf die Brust. Generalsekretär Jens Stoltenberg warf China vor dem Nato-Gipfel in Brüssel vor, Russland im Ukraine-Krieg mit «himmelschreienden Lügen» zu unterstützen. «Die Verbündeten sind besorgt, dass China die russische Invasion auch mit Material unterstützen könnte», sagte er am Mittwoch. US-Präsident Joe Biden hatte China in einem solchen Fall «Konsequenzen» angedroht und auf die Sanktionen gegen Russland verwiesen.
In Peking spekuliert man wahrscheinlich darauf, dass sich der Westen nicht gleichzeitig einen Handelskrieg mit Russland und mit China leisten könne. Aber mit dem Propagandaangriff auf den Westen hat sich Xi nun auch die Plattform geschaffen, um Putin im Notfall beispringen zu können, sollte dieser für sich keinen Ausweg mehr aus dem Krieg finden. Dann sind auch durchaus chinesische Waffenlieferungen an Russland denkbar, schliesslich unterstützen die Rivalen der Nato die andere Seite.
Trotzdem ist das wohl eher der Plan für den Notfall. China wird immer weiter in diesen Konflikt gezogen, den man eigentlich gar nicht führen wollte. Nur weil man Russland mittelfristig als strategischen Partner braucht, hält Peking an Moskau fest – aber das durchaus mit grossen Bauchschmerzen. Nur eines lässt sich nach den ersten vier Kriegswochen zweifelsfrei sagen: Xi hat im Moment ein Putin-Problem.
Es ist absehbar, dass Putin in der Ukraine verlieren wird. Dazu gehört auch die Redimensionierung der Kriegsziele auf den Donbas, was - sofern keine Finte - ein gesichtswahrendes Eingeständnis des Verlusts ist.
Ebenfalls ist absehbar, dass die westlichen Sanktionen auch nach einem Kriegsverlust nicht einfach so enden. Putin weg wird wohl die Bedingung sein, um wieder Vertrauen zu Russland aufzubauen.
Das heisst: China wird sowieso ein Problem im Norden haben. Aber es könnte sich eins im Westen sparen.
Russland verliert gerade seinen wichtigsten Abnehmer, die EU. Und wenn China nun mit Russland kuschelt, werden auch sie die EU und USA als Abnehmer verlieren. Die damit einhergehende Wirtschaftskrise wird sich nur schwerlich als blühende Landschaften verkaufen können. Ich schätze die beiden Despoten haben ihre Halbwertszeit deutlich überschritten.
Abzuwarten bleibt, wie Zentralasien (die ehemaligen Sowjet-Republiken) auf die Russen und auf die Chinesen reagieren werden.