Der Konflikt zwischen Israel und der UNO-Mission Unifil hat sich zu Wochenbeginn ausgeweitet. Die Europäische Union verurteilte die Israel angelasteten Angriffe auf die UNO-Friedenstruppen im Südlibanon scharf. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell sagte am Montag: «Es ist völlig inakzeptabel, Truppen der Vereinten Nationen anzugreifen.»
Dies war nur eine von zahlreichen Verurteilungen Israels durch staatliche Vertreter weltweit. In vier aktenkundigen Zwischenfällen seit dem 10. Oktober sind mindestens fünf Friedenssoldaten verletzt worden. Am Sonntag haben laut Unifil-Mitteilung zwei israelische Merkava-Panzer gewaltsam das Tor zum Blauhelm-Posten in Ramja durchbrochen. Gleichentags sei nahe Meis al-Dschabal eine Unifil-Versorgungskolonne von der israelischen Armee gestoppt worden.
Die Unifil («United Nations Interim Force in Lebanon») verlangte in ihrem Communiqué von der israelischen Armeeführung eine Erklärung für «die schockierenden Verletzungen internationalen Rechts». Auf der Gegenseite forderte Israels Premierminister Benjamin Netanyahu am Sonntag den Abzug aller UNO-Blauhelm-Truppen aus der Kampfzone. Diese Zuspitzung der Lage ist jedoch nur die jüngste Eskalation in der langen Vorgeschichte einer schwierigen Beziehung.
Israel bestreitet, dass es sich bei den Zwischenfällen um direkte Angriffe auf Unifil-Truppen handle. Vielmehr seien wohl UNO-Soldaten in die Schusslinie geraten, da israelische Einheiten von Hisbollah-Stellungen aus unter Feuer genommen worden seien, die sich ganz in der Nähe der UNO-Posten befinden.
Beim Zwischenfall mit den beiden Panzern habe die Untersuchung ergeben, dass diese unabsichtlich auf das Unifil-Gelände eindrangen, weil sie unter Hisbollah-Beschuss versucht hätten, verwundete israelische Soldaten aus der Kampfzone zu bergen. Dabei habe für die Unifil-Blauhelme nie eine Gefahr bestanden, so das Militär.
Earlier today (Sunday), a large barrage of anti-tank missiles was fired toward IDF troops in southern Lebanon.
— Israel Defense Forces (@IDF) October 13, 2024
During the attack, two IDF soldiers were severely injured and multiple other soldiers were lightly and moderately injured. Their families have been notified.
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In ihrer Mitteilung betonte die israelische Armee, die Hisbollah habe im Laufe der Jahre ihre Angriffsinfrastruktur bewusst in der Nähe von Stellungen der UNO-Friedensmission aufgebaut. Als Beweis veröffentlichten verschiedene Quellen Videos, die einerseits sichergestellte Waffenlager, anderseits einen Hisbollah-Tunneleingang in Sichtweite eines UNO-Beobachtungsturms zeigten. Wie die Hamas in Gaza missbrauche auch im Südlibanon die Hisbollah zivile und neutrale Infrastrukturen als Schutzschilde.
Die ehemalige israelische UNO-Botschafterin Hadas Meitzad schrieb am Montag in den sozialen Netzwerken: «Wir haben (der UNO) immer wieder Beweise für die enormen Waffenvorräte und die bedeutende Präsenz der Hisbollah südlich des Litani-Flusses vorgelegt. Doch immer wieder wurden wir mit Behauptungen abgespeist, sie hätten ‹nichts gesehen› oder ‹nicht handeln können›.»
During my years representing 🇮🇱Israel at the @UN, like my predecessors& successors, I tirelessly demanded that @UNIFIL_ fulfill its mission as outlined in mandate #1701.
— Hadas Meitzad 🇮🇱🎗️ (@HadasMeitzad) October 13, 2024
We consistently presented evidence of Hezbollah’s massive weapons stockpiles and significant presence south… pic.twitter.com/gdj3dRWtTv
Diese «Vertuschungen durch die UNO» würden Menschenleben kosten, schreibt die aktuell in Georgien stationierte Diplomatin. Jahrelang hätten sie und ihre Vorgänger und Nachfolger die Vereinten Nationen vergebens dazu gedrängt, endlich die in Resolution 1701 dargelegten Aufgaben der Unifil-Mission durchzusetzen.
Am Sonntag schrieb Netanyahu laut Premier-Büroangaben an UNO-Generalsekretär António Guterres: «Es ist an der Zeit, Unifil aus den Hisbollah-Hochburgen und Kampfgebieten abzuziehen.» Falls er sich weiterhin gegen den Abzug stelle, würde er seine Blauhelm-Soldaten «zu Geiseln der Hisbollah» machen, warnte Israels Regierungschef den höchsten UNO-Repräsentanten.
Verkürzt wird der Unifil im Süden Libanons die Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Region zugeschrieben. Von israelischer Seite werden darüber hinaus immer wieder die Entwaffnung der Hisbollah und das Unterbinden jeglichen Waffenschmuggels entlang der «Blauen Linie» und dem Litani-Fluss im Norden eingefordert.
Diese von der UNO gezogene Demarkationslinie trennt in Abwesenheit einer anerkannten Staatsgrenze das israelische vom libanesischen Staatsgebiet. Zwischen der südlichen Blauen Linie und dem Litani-Fluss im Norden obliegt der Unifil die Kontrolle über eine rund 1000 Quadratkilometer grosse, offiziell demilitarisierte Zone, die rund ein Zehntel des libanesischen Staatsgebiets umfasst.
Check out the map to discover #UNIFIL’s Area of Operations that spreads between the Litani river in the north and the #BlueLine in the south. The 1,060 sq. km. area accounts for approximately 10 per cent of #Lebanon’s total land area. #Force4Good pic.twitter.com/p1JFJVVGvq
— UNIFIL (@UNIFIL_) March 3, 2018
Tatsächlich ist die Auftragslage der Unifil gemäss Resolution 1701 weniger weitreichend. In dieser nach dem dritten Libanonkrieg 2006 verabschiedeten Resolution wird vor allem die Unterstützungsrolle der Unifil zugunsten des libanesischen Staates betont. Für die Entwaffnung sonstiger militärischer Gruppen, der Unterbindung von Waffenschmuggel und die Integrität des Gebiets wird zuallererst der libanesische Staat in die Verantwortung genommen.
Der Unifil wird in Punkt 12 der Resolution 1701 explizit das Recht eingeräumt, «in den Einsatzgebieten ihrer Truppen alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, die nach ihrem Ermessen im Rahmen ihrer Fähigkeiten liegen, um sicherzustellen, dass ihr Einsatzgebiet nicht für feindselige Aktivitäten gleich welcher Art genutzt wird».
In der Vergangenheit haben sich diese Bestimmungen als vielfach interpretierbarer Gummiparagraf herausgestellt; insbesondere auch deshalb, weil die libanesische Armee kaum Anstalten machte, die Hisbollah aus dem Grenzgebiet zu vertreiben.
So ist momentan nicht einmal eindeutig klar, ob die Unifil-Soldaten mit einem so genannten «robusten Mandat» ausgestattet sind, welche ihnen einen weitreichenderen Waffeneinsatz als bloss zur Selbstverteidigung erlauben würden. Die Deutsche Presseagentur schreibt aktuell, ein robustes Mandat bestehe nicht. Die deutsche Bundeswehr behauptet auf ihrer Homepage das Gegenteil.
2019 stellte der deutsche Bundestag bezüglich Resolution 1701 fest: «Das Unifil-Mandat ist damit robust, aber nicht offensiv ausgestaltet.» Die Unifil schreibt selbst auf ihrer Homepage, dass sie unter gewissen Umständen «verhältnismässig und abgestuft Gewalt» einsetzen dürfe.
Aktuell stehen unter dem Kommando des spanischen Generals Aroldo Lázaro Sáenz 10'058 Blauhelm-Soldaten aus fünfzig Ländern, von denen Indonesien (1231) und Italien (1068) die beiden grössten Kontingente stellen. Diese sind auch mit Kampfpanzern und schweren Waffen ausgerüstet, verrichten ihre täglichen Patrouillenfahrten aber hauptsächlich mit gepanzerten Fahrzeugen und SUV.
Zur Unifil gehört auch ein Marinekontingent mit fünf Kriegsschiffen unter dem Kommando Deutschlands, welche die libanesische Küste überwachen.
Die bereits 1978 im libanesischen Bürgerkrieg als Beobachtermission ins Leben gerufene Unifil wurde erst 2006 mit der Resolution 1701 wesentlich verstärkt und mit dem heutigen Aufgabenbereich ausgestattet. In der ganzen Zeit sind 326 UNO-Blauhelme ums Leben gekommen. Ende August wurde das Unifil-Mandat vom UNO-Sicherheitsrat «unter grosser Sorge vor der laufenden Eskalation» um ein Jahr verlängert. (aargauerzeitung.ch)
Wenn sie sowieso keinen Einfluss haben, sollen sie sich doch zurückziehen, das wäre wenigstens ehrlich.