Kaum jemand glaubt ernsthaft, dass die Neuauszählungen in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania am Resultat der Präsidentschaftswahl irgendetwas ändern werden. Vielleicht entdecken die tausenden Wahlhelfer irgendetwas Verdächtiges, wenn sie nur genügend Wahlzettel noch einmal in die Finger nehmen. So die vage Hoffnung im verzweifelten Anti-Trump-Lager, während der 20. Januar immer näher rückt. Dann übernimmt Donald Trump das Ruder im mächtigsten Land der Welt.
Und dann sind da noch die Hamilton Electors. Dieses Grüppchen von Wahlmännern – wie viele der total 538 ist nicht bekannt – plant für den 19. Dezember eine Art legalen Staatsstreich. Sie sind das letzte Aufgebot jener Kreise, die Donald Trumps Einzug ins Weisse Haus um jeden Preis verhindern wollen. Laut Verfassung obliegt ihnen die Aufgabe, den Präsidenten zu wählen. In normalen Zeiten eine Pro-Forma-Übung, die einfach das Resultat des vorausgegangenen Urnengangs abbildet. Aber 2016 ist bekanntlich nichts normal.
Die Verfassung beschreibt zwar den Ablauf und die Modalitäten, wie die Wahlmänner in ihren Heimatstaaten zusammenkommen und den Präsidenten und seinen Vize wählen. Aber sie macht keinerlei Angaben, nach welchen Kriterien diese dabei vorgehen sollen. Sollen sie den Namen jenes Kandidaten auf den Zettel schreiben, der ihren jeweiligen Staat gewonnen hat? Das wäre eine sehr gute Idee – aber explizit steht das nirgends. Stattdessen berufen sich die Hamilton Electors auf ein Zitat von Gründervater Alexander Hamilton:
Das Zauberwort lautet «geeignet» (englisch «fit»). Ob Donald Trump für das Präsidentenamt geeignet ist, wird tatsächlich von vielen bezweifelt. Nach Ansicht der Hamilton Electors müssen sich die 538 Wahlmänner am 19. Dezember diese Frage stellen.
Christopher Suprun, ein republikanischer Wahlmann aus Texas (total 38 Elektoren), hat bereits öffentlich angekündigt, nicht für Trump zu stimmen. Nicht weil er etwas gegen dessen politische Positionen habe oder weil Hillary Clinton 2,7 Millionen mehr Direktstimmen erhielt. Sondern eben weil Trump aus seiner Sicht für das höchste Amt im Staat ungeeignet ist.
Die Frage ist, wie viele andere republikanische «Faithless Electors» (treulose Wahlmänner, die nicht für den Kandidaten ihrer Partei stimmen) es neben Suprun gibt. Die Hamilton Electors arbeiten hier mit zwei verschiedenen Szenarien:
Trump hat 306 Elektorenstimmen gewonnen, davon braucht er mindestens 270, um Präsident zu werden. Sollten sich 37 oder mehr republikanische Elektoren wie Christopher Suprun von ihm abwenden, dann verfehlt er die Mehrheit und das US-Abgeordnetenhaus müsste aus den drei Kandidaten mit den meisten Elektorenstimmen den neuen Präsidenten wählen. Das wären Donald Trump, Hillary Clinton und möglicherweise ein alternativer Kandidat, den die Hamilton Electors ins Rennen werfen. Suprun hat angedeutet, dass er seine Stimme dem republikanischen Gouverneur von Ohio, John Kasich, geben wird. Das Kalkül hier ist, dass viele der republikanischen Abgeordneten, die Trump im Wahlkampf kritisch gegenüber standen, auch Kasich den Vorzug geben würden.
Das zweite Szenario ist noch radikaler: Sollten alle 232 demokratischen Elektoren statt für Clinton für den alternativen republikanischen Kandidaten stimmen, dann könnte dieser direkt durch das Electoral College die nötigen 270 Stimmen für eine Mehrheit erreichen und Präsident werden. Mehrere demokratische Elektoren haben angekündigt, am 19. Dezember so vorzugehen.
«Faithless Electors» hat es in der Geschichte der USA immer wieder gegeben – aber niemals haben sie das Resultat einer Präsidentschaftswahl verändert. Einige Bundesstaaten verbieten ihren Elektoren ausdrücklich, entgegen dem Wahlresultat abzustimmen. Doch diese Gesetze sind noch nie zur Anwendung gekommen und es ist fraglich, ob sie überhaupt verfassungskonform sind. Der renommierte Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig hat treulosen Elektoren Unterstützung zugesagt, sollten sie verklagt werden.
Ihr Vorgehen mag von der Verfassung gestützt oder zumindest nicht ausdrücklich verboten sein – politisch sind die Gedankenspiele der Hamilton Electors ein Spiel mit dem Feuer. Wie würden die Millionen Trump-Wähler reagieren, sollte ihr Kandidat am Schluss doch den Kürzeren ziehen? Ein republikanischer Elektor aus Texas hat einen möglichen Vorgeschmack bekommen.
Art Sisneros ist von seiner Position zurückgetreten, weil er nicht für Trump stimmen will. Seither erhalten er und seine Familie Todesdrohungen. Kürzlich postete er auf Facebook das Bild einer Nachricht, die einer seiner Elektorenkollegen im Briefkasten vorgefunden hat: