Ende August wird in Canton, Ohio, einer Vorstadt von Cleveland, eine Amerikanerin festgenommen, weil sie mutmasslich eine Katze getötet hat. Das Video ihrer Verhaftung, aufgenommen von einer Bodycam eines Polizisten, findet den Weg in die sozialen Medien. Dort wird aus der Amerikanerin schnell eine illegale Einwanderin aus Haiti. Und weil die Geschichte sonst nicht aufgeht, hat sie sich plötzlich in Springfield zugetragen – einer Vorstadt von Cincinnati, 250 Kilometer weiter südwestlich, ebenfalls in Ohio. Warum Springfield? Dort leben 10’000 bis 15’000 Menschen aus Haiti. Sie kamen in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen eines US-Flüchtlingsprogramms dorthin – also legal.
Diese Details interessieren das Kandidatenduo der Republikaner nicht. Obwohl die örtlichen Behörden entschieden dementieren, weiss es J.D. Vance besser. Er macht die Mär der Haustier-Haitianer salonfähig. In die Ecke gedrängt, erzählt Trump dann die Räuberpistole während der TV-Debatte gegen Kamala Harris einem Millionenpublikum.
Trump schiesst damit nicht nur den Vogel ab, er löst in Springfield ein Chaos aus. Zwei Schulen müssen darauf wegen Bombendrohungen geschlossen werden – und am Wochenende zwischenzeitlich gar ein Spital. Der Gouverneur von Ohio, ein Republikaner wie Trump, muss das Schlamassel ausbaden. Bei ABC News erklärt er entschieden, es gebe keinerlei Indizien dafür, dass Haitianer Haustiere jagen und verspeisen – im Gegenteil: Die Haitianer seien eine grosse Hilfe dabei, dass Springfield wirtschaftlich vorwärtskomme.
Doch warum das Ganze?
Mit der Haustiernummer wollte Trump mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen – und er bediente sich dabei eines alten Hollywood-Tricks. Dieser heisst: «Save the Cat»-Moment.
Nicht erfunden, aber geprägt hat diesen Ausdruck der bekannte Hollywood-Drehbuchautor Blake Snyder. Sein Buch – mit ebendiesem Titel – gehört zu den Standardwerken für Drehbuchautoren.
Um was geht es? Es geht darum, wie man die Hauptperson eines Films sympathisch macht, ihr Herz verpasst, Einfühlsamkeit. Und das schafft man mit einem «Save the Cat»-Moment.
Wie sieht ein solcher Moment aus?
Snyder zitiert in seinem Buch eine Szene aus dem Film «Sea of Love» – «Melodie des Todes»: Um ein paar Gangster zu verhaften, stellt Kommissar Frank Keller (Al Pacino) in der allerersten Szene eine clevere Falle. Doch nicht nur die schweren Jungs tappen hinein – auch ein Kleinkrimineller mit seinem Sohn. Geistesgegenwärtig warnt Keller diesen gerade noch frühzeitig, indem er ihm schnell seine Polizeimarke zeigt. Der Kleinkriminelle begreift und bringt sich mit seinem Nachwuchs in Sicherheit. Mit «Catch you later!» landet der Kommissar dann gleich auch noch einen flotten Spruch.
Nun weiss der Zuschauer Bescheid: Keller schreckt nicht davor zurück, sich mit den harten Jungs anzulegen, macht dabei flotte Sprüche und hat das Herz am rechten Fleck. Mit diesen Attributen ist er ein echter, liebenswerter Filmheld.
Als Beispiel, wie man es eben nicht tun sollte, beschreibt Snyder den Film «Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens». Im gesamten Film habe Croft keinen einzigen «Save the Cat»-Moment. Deshalb wirke die Hauptprotagonistin, gespielt von Angelina Jolie, kalt und humorlos – nicht sympathisch. Dies wäre aber dringend nötig gewesen, so Snyder: «Denn die Person zu mögen, mit der wir auf eine Reise gehen, ist das wichtigste Element, um uns in die Geschichte zu ziehen.»
Was für Filmhelden gilt, gilt gleichermassen für amerikanische Präsidentschaftskandidaten. Sie müssen Härte zeigen, aber auch Herz – und hin und wieder ein flotter Spruch schadet auch nicht.
Letzteres war die Domäne von Donald Trump. So konterte er die biedere Hillary Clinton 2016 aus – mit locker schnoddrigen Sprüchen. Doch die Zeiten sind vorbei. Der 2024-Trump wirkt nur noch verbissen, seine Sprüche schäumen vor Gift.
Dafür hat Donald Trump an Härte eine Schippe zugelegt: «Wir werden die grösste Massendeportation in der Geschichte des Landes durchführen», drohte er wiederholt. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mosinee, Wisconsin, fügte er an: «Die herauszubefördern wird eine blutige Angelegenheit.» Von hart, herzlich und cool ist nur noch die Härte übrig. Deshalb versucht sein Wahlkampf-Team nun verkrampft, einen «Save the Cat»-Moment zu kreieren. Doch Trump gibt sein Bestes, diese Anstrengungen zu sabotieren. Wie vor drei Wochen mit einem Besuch auf dem Nationalfriedhof in Arlington.
Dort liegen die 13 Soldaten, welche beim Abzug von Afghanistan bei einem Terrorangriff getötet wurden. Ein staatsmännischer Auftritt dort hätte ihm viele Sympathien einbringen können – hätte ihn empathisch und einfühlsam erscheinen lassen. Der Schuss ging nach hinten los. Seine Bodyguards zofften sich mit dem lokalen Personal. Der Grund: Fotos für politische Propaganda sind dort verboten. Als es letztlich doch zu den Schnappschüssen kam, präsentierte sich Trump grinsend und mit erhobenem Daumen hinter den Gräbern der Gefallenen. Grotesk. Chance vertan.
Trump at Arlington today, giving a thumbs up while standing over the graves of the fallen.
— Kamala Harris Stan!! 🐝💛✡️🇮🇱 (@BlueWave2020NY) August 26, 2024
Please do everything you can to make sure #Kamala wins and this disrespectful piece of shit never besmirches our military again. pic.twitter.com/10oMyJx76Q
In den Haustier-Fressern von Springfield wurde eine nächste Chance erkannt. Bereits vor der TV-Debatte streuten Trump-getreue Social-Media-Accounts KI-Bilder des Ex-Präsidenten, wie er Katzen und Hunde rettet. Trump, der grosse Haustierheld – endlich ein «Save the Cat»-Moment. Und das nicht nur sprichwörtlich. Zu viel Fantasie und Erfindergeist kann man dem Trump-Team wahrlich nicht vorwerfen.
Trump salva i gatti di Springfield Ohio dai migranti haitiani 😂 pic.twitter.com/3PjztuHsLH
— Masha - Don’t Forget 🇺🇦! (@KovalevskyMasha) September 11, 2024
Doch das Trump-Lager hatte die Rechnung nicht mit Kamala Harris und den Moderatoren von ABC News gemacht. Trumps wütendem Vortrag wurde von Harris’ Mimik und der Richtigstellung des Moderatoren-Teams der Wind aus den Segeln genommen. Statt als fürsorglicher Katzenretter steht Trump (erneut) nur als Lügenbold da.
Seine loyalsten Unterstützer verliert er damit nicht. Auch «Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens» spielte mit 160 Millionen viel Geld ein. Aber es waren über 100 Millionen weniger als der erste Teil. Das Zielpublikum der jungen Männer, so Drehbuchautor Snyder, wurde nicht wie erhofft erreicht.
Auch Trump wird viele Stimmen erhalten. Aber wie bei Lara Croft könnten es weniger sein als auch schon. Die Binsenweisheit besagt, dass die- oder derjenige KandidatIn gewinnt, mit der oder dem man lieber ein Bier trinken gehen würde. Ohne «Save the Cat»-Moment wird Trump nicht (mehr) dieser Kandidat sein. Ihm bleiben sieben Wochen Zeit, einen solchen zu kreieren.