International
USA

Chronologie von Theranos und dem Untergang von Elizabeth Holmes

Vor acht Jahren war Elizabeth Holmes der grosse Shootingstar – jetzt liegt sie am Boden

Elizabeth Holmes wurde des Betrugs schuldig gesprochen. Dem einstigen Wunderkind des Silicon Valley droht nun eine Gefängnisstrafe – dabei begann alles so vielversprechend. Eine Chronologie von Holmes' Aufstieg und Untergang.
04.01.2022, 13:3604.01.2022, 16:15
Mehr «International»

Mit ihrem Startup Theranos wollte Elizabeth Holmes die Bluttests revolutionieren: Nur wenige Tropfen Blut aus dem Finger sollten bei einem Theranos-Test reichen, um auch umfangreiche Blut-Analysen durchführen zu können. Doch die Wundermaschine, die diesen Bluttest durchführen soll, funktioniert bis heute nicht richtig.

FILE - In this Nov. 2, 2016, file photo, Elizabeth Holmes, founder and CEO of Theranos, speaks at the Fortune Global Forum in San Francisco. Forbes announced on June 1, 2016, that it has revised its e ...
Elizabeth Holmes, 2015.Bild: AP/AP

Trotzdem gelang es Holmes, eine Reihe von Investoren gezielt um 144 Millionen Dollar zu prellen, indem sie Lügen über das von ihr gegründete Unternehmen Theranos erzählte. Dieses war in der Gesamtbewertung zwischenzeitlich bis zu neun Milliarden Dollar wert – Holmes selbst soll laut Forbes 2015 ein Nettovermögen von 4,5 Milliarden Dollar besessen haben. Nun wurde die einstige Multi-Milliardärin wegen Betrugs schuldig gesprochen und ihr drohen mehrere Jahrzehnte Gefängnis.

Eine Chronologie über den Aufstieg und den Fall von Theranos:

2003:
Gründung von Theranos

Holmes bricht ihr Studium in Chemietechnik an der Stanford University nach nur zwei Semestern ab und gründet ihr Unternehmen Theranos. Mit diesem will sie die diagnostischen Bluttests revolutionieren.
Sie ist damals zarte 19 Jahre alt.

Damals war das Silicon Valley besessen von jungen erfolgreichen Männern und dem Mythos von deren bescheidenen Anfängen und abgebrochenen Studien – Mark Zuckerbergs Vision entstand in einer Studentenbude, Jeff Bezos agierte in seinen Anfängen aus einer Garage heraus.

Gleichzeitig waren einige Investoren zunehmend frustriert darüber, dass sich der Output des Valleys fast nur auf soziale Plattformen konzentrierte. Der Investor Peter Thiel soll 2013 den denkwürdigen Satz gesagt haben: «Wir wollten fliegende Autos. Stattdessen bekamen wir 140 Zeichen.»

In dieser Atmosphäre kam Theranos gerade richtig. Denn Holmes wollte nicht einfach eine weitere App herstellen, sondern das Gesundheitswesen grundlegend verändern. Zudem war Holmes eine charismatische junge Frau und inszenierte sich als weiblichen Steve Jobs.

2004–2010:
Erste Millionen

Die Unternehmerin Holmes erhält bereits ein Jahr nach Gründung ihres Startups eine Finanzierung von mehr als 6 Millionen Dollar. Und auch in den folgenden Jahren fliessen hohe Geldbeträge in Theranos: Allein im Jahr 2010 werden 45 Million Dollar Investoren-Gelder für Theranos gesprochen – und der Marktwert des Unternehmens auf 1 Milliarde geschätzt.

2011:
Vergoldeter Vorstand

2011 kann Theranos u. a. zwei ehemalige US-Aussenminister, nämlich George Shultz und Henry Kissinger, als Vorstandsmitglieder gewinnen. Das Vertrauen in das Unternehmen scheint unaufhaltbar.

2013–2014:
Marktwert von 9 Milliarden

Theranos beginnt damit, «Edison» zu bewerben – ein echtes Wunder-Gerät. Der Minicomputer soll einen Blutstropfen in kürzester Zeit analysieren und dabei über 200 Krankheiten diagnostizieren können. Teure Laboranalysen würden somit überflüssig.

Die grösste US-Apothekenkette «Walgreens Boots Alliance» ist an dieser revolutionären Maschine interessiert und geht eine Partnerschaft mit Theranos ein.

Im Juni 2014 wird die Tech-Unternehmerin auch zum Shooting-Star: Das Business-Magazin «Fortune» veröffentlicht eine Titelstory mit der fotogenen Holmes. Holmes ist ab nun omnipräsent und gibt Interview um Interview.

«Fortune» macht Elizabeth Holmes zum Cover-Star
«Fortune» macht Elizabeth Holmes zum Cover-Star

2014 wird Theranos mit einem Marktwert von 9 Milliarden Dollar bewertet. Holmes wird von Forbes aufgrund ihrer Beteiligung am Unternehmen als Milliardärin gelistet.

2015–2016:
Erste Zweifel werden laut

Im Februar 2015 veröffentlicht das «Journal of the American Medical Association» einen Kommentar des renommierten Medizin-Professors John P. A. Ioannidis von der Stanford University. Er kritisiert Theranos erstmals dafür, dass das Unternehmen keine seiner Forschungsarbeiten in Peer-Reviewed-Journals veröffentlicht. Denn nur so könnten die Aussagen von Holmes' Startup bereits vor der Veröffentlichung auch von anderen Experten verifiziert und eingeordnet werden.

Trotz dieser Kritik erhält Theranos im Juli 2015 von der «US Food and Drug Administration» (FDA) die Zulassung für einen Test zum Nachweis des Herpes-Simplex-1-Virus.

«Edison» hält nicht, was es verspricht.
«Edison» hält nicht, was es verspricht.

Im Oktober 2015 wird die Kritik an Theranos von der Fachwelt in die Öffentlichkeit getragen: Im «Wall Street Journal» schreibt der Journalist John Carreyrou, dass Mitarbeiter des Unternehmens die Genauigkeit der Tests anzweifelten sowie, dass Theranos die überwiegende Mehrheit der Tests mit herkömmlichen Maschinen durchführte, die von Unternehmen wie Siemens gekauft wurden. Zudem solle «Edison» fast keine der versprochenen 200 Analysen auch nur im Ansatz durchführen können. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass der Verleger des «Wall Street Journal», Rupert Murdoch, zu diesem Zeitpunkt bereits 125 Millionen Dollar in Theranos investiert hatte.

Anfang 2016 veröffentlicht die Behörde «U.S. Centers for Medicare & Medicaid Services» (CMS) einen Bericht, in dem erklärt wird, dass eine Inspektion ergeben habe, dass die Einrichtung von Theranos Qualitätskontrollstandards nicht einhalten würde. Und dass Geräte nicht ordnungsgemäss kalibriert seien. Darum stelle das Unternehmen eine «Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Patienten» dar. Theranos bekommt darum 2017 eine zweijährige Sperre im Geschäft mit den Bluttests.

Daraufhin beendet die «Walgreens Boots Alliance» die Partnerschaft mit Theranos.

2016–2018
Die Anklagen häufen sich

Im Oktober 2016 kommt der nächste grosse Schlag für Theranos: Die Investmentgesellschaft «Partner Fund Management» (PFM), die spezialisiert ist auf Unternehmen mit globalen Gesundheitsstrategien, verklagt Theranos wegen Wertpapierbetrugs. Zuvor hatte PFM fast 100 Millionen Dollar in Theranos investiert. Nun sagt PFM aber, Theranos habe über seine Technologie gelogen, um sich Investitionen zu sichern. Der Fall wird später beigelegt.

Im März 2018 erhebt die US-Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde Anklage gegen Theranos und Holmes wegen Wertpapierbetrugs. Holmes wird ihre Beteiligung am und die Kontrolle über das Unternehmen entzogen.

Im Juni 2018 werden Holmes und der leitende Geschäftsführer Ramesh «Sunny» Balwani wegen strafrechtlicher Betrugsvorwürfe angeklagt. Beide plädieren auf «nicht schuldig».

Balwani ist ein pakistanischer Software-Ingenieur, der in den Neunzigerjahren sein Geld im Silicon Valley machte. Er war zeitweise der Lebenspartner von Holmes und als leitender Geschäftsführer die Nummer zwei in ihrem Unternehmen. In dieser Funktion soll er den Angestellten gegenüber ein Tyrann gewesen sein – vor Gericht wird Holmes behaupten, er habe auch sie zum Zeitpunkt der angeklagten Straftaten kontrolliert und missbraucht. Balwani bestreitet die Vorwürfe.

Im September 2018 wird Theranos aufgelöst.

2021
Die Verhandlungen beginnen

Im September 2021 beginnen die Verhandlungen in San Jose, Kalifornien. Während der Verhandlungen sagt Holmes mehrmals im Zeugenstand zu ihrer eigenen Verteidigung aus. Dabei bestreitet sie vehement, Investoren und Patienten in die Irre geführt zu haben. Sie schiebt alle Schuld auf Balwani, der für die Finanzmodelle zuständig gewesen sei, die den Investoren vorgelegt wurden.

Am 3. Januar 2022 wird Holmes wegen Betrugs an drei Anlegern verurteilt. Ein Termin für die Urteilsverkündung wird nicht sofort festgelegt. Bei einer Verurteilung durch den US-Bezirksrichter Edward Davila drohen Holmes bis zu 80 Jahre Gefängnis.

(yam mit Material von Reuters)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Apple, Google und Facebook bauen monumentale Hauptquartiere
1 / 15
Apple, Google und Facebook bauen monumentale Hauptquartiere
Apple hat über 200 Milliarden US-Dollar auf der hohen Kante. Damit leistet man sich nun ein neues Hauptquartier in Raumschiff-Optik.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das ist der Traum der Silicon-Valley-Milliardäre
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
40 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
mrmikech
04.01.2022 14:15registriert Juni 2016
In jedem Unternehmen kann man solche Leute finden: scheinen immer extrem beschäftigt, aber keiner weiss was sie wirklich machen. Sind im kürzester Zeit mit alle wichtige Entscheidungstreffer in der Firma involviert. Bekommen gefühlt jede Monat eine bessere Position, und entsprechendes Gehalt. Nach etwa 3 jahren verschwinden sie dann auf eine, und lassen einen Scherbenhaufen hinter sich.
831
Melden
Zum Kommentar
avatar
FrancoL
04.01.2022 13:59registriert November 2015
Wenn menschliche Gier die Umwelt retten könnte, hätten wir ein wunderbares Klima.
567
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lord_ICO
04.01.2022 15:19registriert März 2016
Vor der Gründung von Theranos wurde sie übrigens von vielen Professor:innen an der Stanford darauf hingewiesen, dass ihre Idee zwar nobel aber schlichtweg unmöglich umzusetzen sei. Damals brach sie dann auch ihr Studium ab und wollte es ihren Profs. zeigen. Die gleichen Profs. warnten die Investoren in den darauf folgenden Jahren auch mehrfach davor in Holmes zu investieren und wurden dafür von der Finanzbubble harsch kritisiert, da sie keine Visionen hätten...
384
Melden
Zum Kommentar
40
Neue ukrainische Drohne «Palianytsia» geht in Serien-Produktion – das kann sie
Halb Rakete, halb Drohne: Das ukrainische Waffensystem «Palianytsia» ist in der Lage, Ziele weit hinter der russischen Grenze zu zerstören. Jetzt soll die Waffe in Serie hergestellt werden. Was kann sie?

«Töte den Bogenschützen, nicht den Pfeil» lautet eine Maxime der Kriegsführung, die besagt, dass es besser ist, eine Raketenabschussbasis zu zerstören, als eine Rakete abzufangen. Genau für diesen Zweck hat die Ukraine das neue Waffensystem «Palianytsia» entwickelt, welches jetzt in die Massenproduktion geht.

Zur Story