«China versucht, es in beiden Richtungen hinzubekommen.» Das sagte Antony Blinken in einem Interview mit NBC News, das am Sonntag ausgestrahlt wurde. Der US-Aussenminister spielte damit auf die chinesischen Ankündigungen an, eine Friedensinitiative für den Krieg in der Ukraine lancieren zu wollen.
Gleichzeitig aber, so die Befürchtung der US-Regierung, stünden die Chinesen kurz davor, «tödliche Unterstützung» an Russland zu liefern. Auf eine entsprechende Nachfrage hin präzisierte Blinken: «Waffen, in erster Linie Waffen.»
Die Chinesen würden sich öffentlich als nach Frieden strebendes Land positionieren – im Hintergrund aber bereits heute «nicht-tödliche» Unterstützung zugunsten Russlands leisten. Dies zum Beispiel in Form von kommerziell hergestellten Drohnen, die auch im Krieg eingesetzt werden können, wie «The Wall Street Journal» berichtete.
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Glaubt man den Aussagen Blinkens, so steht eine weitergehende chinesische Einmischung unmittelbar bevor. Er bezieht sich dabei auf der US-Regierung vorliegende Informationen, die allerdings nicht genauer umschrieben wurden.
Laut Eduard Wong, Analyst der «New York Times», offenbart die öffentliche Aussage Blinkens eine gewisse Verzweiflung seitens der USA. Die Biden-Regierung versuche, Xi Jinping um jeden Preis von den Waffenlieferungen abzubringen. Wongs Einschätzung nach hätten die Vereinigten Staaten aber nur wenige gute Karten gegen China in der Hand, um tatsächlich Einfluss auf die Entscheidungen der chinesischen Regierung zu nehmen. Insbesondere aufgrund der Ballon-Affäre seien die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf einem Tiefpunkt angelangt (siehe letzter Punkt).
Liefern die Chinesen tatsächlich militärisches Material an Moskau, erreicht der Ukraine-Krieg ohne Frage eine neue, weitreichendere Dimension. Gemäss Times-Analyst Wong würde ein allfälliges solches Vorgehen Chinas den Startpunkt für einen neuen «alten Kalten Krieg» bedeuten. Bis Anfang der 90er-Jahre lieferten sich die Vereinigten Staaten und Russland einen Schattenkonflikt, indem sie weltweit Staaten in lokalen Konflikten unterstützten und Stellvertreterkriege austrugen – so beispielsweise in Korea, Vietnam oder Afghanistan. Nun könnte China die Rolle Russlands als grosser Gegenspieler der USA endgültig übernehmen.
Militärische Unterstützung Chinas für Russland würde bedeuten, dass die Regierung von Xi Jingping aktiv Partei für Russland ergreift – bisher hat sie sich auf passive Mittel beschränkt, indem sie russische Narrative propagierte und dem Westen und der Nato die Schuld für den Konflikt in der Ukraine zuschob.
Laut Times-Analyst Wong wäre die Folge eine neue, ausgeprägte Blockbildung. Auf der einen Seite Russland und China mit ihren Partnern Iran und Nordkorea, auf der anderen Seite die USA, grosse Teile Europas sowie deren fernöstliche Partner Japan und Südkorea.
Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sind seit langem angespannt, seit dem Abschuss eines mutmasslichen chinesischen Spionageballons über US-Gebiet sind sie allerdings gar erheblich belastet. Die USA bezeichneten die Anwesenheit des Ballons im US-amerikanischen Luftraum als «inakzeptable Verletzung der Souveränität der USA». China hingegen spielte die Affäre herunter und betitelte die Intervention der US-Kampfjets als «hysterisch und absurd», wie Chinas führender Aussenpolitiker Wang Yi kürzlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz erneut unterstrich.
Laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua habe Wang seinem US-Pendant Blinken in einem persönlichen Gespräch am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, dass China «reagieren werde, sollten die USA die Situation weiter dramatisieren und eskalieren». Beobachter sehen in der Aussage eine mögliche Strategie zur Rechtfertigung allfälliger militärischer Unterstützung Chinas für Russland im Krieg. (con/sda/dpa)