Täglich fallen die Rekorde: Seit einer Woche steigen in den USA die Infektionszahlen stark in die Höhe. Allein am 30. Dezember steckten sich in Amerika offiziell mehr als 585'000 Menschen mit dem Coronavirus an – fast doppelt so viele wie im Januar vor einem Jahr, als nur eine verschwindend kleine Zahl von Amerikanerinnen und Amerikanern bereits geimpft war.
Und ein Ende ist nach den Feiertagen und der Wiederaufnahme des Schulbetriebes am Montag, 3. Januar nicht in Sicht. Im schlimmsten Fall, prognostizierten Gesundheitsexperten der Columbia University in New York kurz vor Jahresende, würden sich im Januar mehr als 5 Millionen Menschen in den USA mit dem Virus anstecken. Der renommierte Epidemiologe Michael Osterholm, der an der University of Minnesota forscht, unkt deshalb düster, dass «die finstersten Tage der Pandemie» vielleicht erst bevorstünden.
Allein: Solche Aussagen sind auch unter Expertinnen und Experten höchst umstritten. Dies hängt damit zusammen, dass derzeit eigentlich niemand so recht weiss, welche Mutation für die stark steigenden Fallzahlen in Amerika verantwortlich ist. Gemäss den aktuellsten Zahlen der Gesundheitsbehörde CDC, die allerdings bereits über eine Woche alt sind, verursacht Omikron gegen 59 Prozent der Ansteckungen, während Delta für 41 Prozent der registrierten Fälle verantwortlich zeigt. Das ist, unter dem Strich, eine gute Nachricht, attackiert doch Omikron die Lungen der Infizierten weniger aggressiv als Delta; auch gibt es aus den Niederlanden und Südafrika Hinweise darauf, dass die Corona-Impfungen besser gegen einen schweren Krankheitsverlauf durch Omikron schützen.
Angesichts der anhaltend hohen Hospitalisierungszahlen vermutet aber nicht nur Scott Gottlieb, unter Präsident Donald Trump der Chef der Zulassungs- und Kontrollbehörde «Food and Drug Administration» (FDA), dass Delta in einigen Landesteilen immer noch stark präsent ist. Dies würde erklären, warum sich beispielsweise in New York City fast doppelt so viele Menschen in einem Spital ärztlich behandeln lassen müssen als in der etwa gleich grossen Metropole London, sagte Gottlieb kürzlich auf Twitter. (Glücklicherweise sind die Intensivstationen aber auch in New York noch weit davon entfernt, komplett ausgelastet zu sein.)
“South Africa Says It Has Passed Its Fourth Wave of Cases” - NYT
— Scott Gottlieb, MD (@ScottGottliebMD) December 31, 2021
So why is US seeing more relative hospitalizations than London or RSA in places like NYC?
I believe there could be more delta infection still lingering in NE than what CDC is measuring https://t.co/wYfhoOk2ln
Trotz dieser Entwicklung verzichtet die Regierung von Präsident Joe Biden bisher darauf, einen alarmistischen Tonfall anzuschlagen. Der einflussreichste Covid-Berater des Weissen Hauses deutete kurz vor Silvester gar an, die Bundesregierung werde in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft den täglichen Infektionszahlen nicht mehr allzu grosse Beachtung schenken. «Viel relevanter wird es sein, wie schwerwiegend die Auswirkungen» einer Infektion sind, sagte Anthony Fauci, der für die National Institutes of Health arbeitet. In der Altjahreswoche sagte der Immunologe aber auch: Von diesem Übergang aber sei Amerika noch mindestens einige Monate entfernt.
So lange wollen viele Politiker nicht mehr warten, und zwar nicht nur Republikaner, sondern auch Parteifreunde Bidens. Besondere Aufmerksamkeit geniesst aktuell der Gouverneur von Colorado, der Demokrat Jared Polis. Der 46 Jahre alte Ex-Unternehmer hat die Parole ausgegeben, dass er kein Interesse an neuen Corona-Einschränkungen oder Schulschliessungen habe. Wer vollständig geimpft sei, sagte Polis kürzlich, der habe ein Recht auf Normalität. «Die Leute müssen ihr Leben weiterleben.» Die Pandemie dauere nun schon zwei Jahre an. Angesichts eines Menschenlebens, das vielleicht 70 bis 80 Jahre andauere, sei die ein «signifikanter Teil», sagte Polis in einem Interview mit der Zeitschrift «National Journal».