Ich bin quer durch Amerika gefahren, von Baltimore, Maryland, nach San Francisco, Kalifornien. Habe mich etwas umgesehen, mit Leuten gesprochen, «die «Medien» zur Kenntnis genommen und mich an der Grossartigkeit der Gegend gefreut. Hier eine Handvoll Beobachtungen, durch die persönliche Linse betrachtet und durch den Fleischwolf der eigenen Befangenheiten gedreht.
Eine Bekannte hat ein Schild in den Vorgarten gestellt, «Stop Genocide – no US arms to Israel». Ihre Freundin macht einen Witz: Warum nicht ein Schild «Gaz-a-Lago» danebenstellen? Die Freundin ist pro-Israel, und als sie den Witz loslässt, ist die Bekannte nicht zugegen. Die beiden sprechen das Thema Naher Osten nicht mehr an. Sie sind «beste Freundinnen» und wollen beste Freundinnen bleiben.
«Gaz-a-Lago» ist eine Anspielung auf Trumps Wohnsitz «Mar-a-Lago» in Florida und die Idee, den Gazastreifen als Liegenschaft zu betrachten, die für development klargemacht wird: Bewohner austreiben, abreissen, neu bauen. So geschieht es zurzeit. Deshalb zieht einem der Scherz «Gaz-a-Lago» alle Löcher zusammen.
Wir haben nichts gesagt. In Donald Trumps Amerika ist man auch auf der Hut vor explosiven politischen Gesprächsgegenständen, ausser man habe es auf Krach angelegt. Man beisst auf die Zähne und schweigt. Es ist keine isolierte Beobachtung. Die Leute reden nicht – nicht mehr – über das, was sie trennt. Die politischen Lager haben sich in Wagenburgen verfestigt, die keine Ausreisser dulden. Eigentlich müsste die US-Unterstützung von Israels Aushungerungs-Strategie in Gaza – beispiellos in der gnadenlosen Effizienz einer «westlichen», hoch entwickelten Militärmacht – einen Aufschrei vom Kaliber black lives matter oder me too erzeugen. Aber es ist nichts zu verspüren. Nicht mehr: Wo sich Proteste regten, namentlich an den Universitäten, wurden sie durch Administrativmassnahmen der Hochschulverwaltungen zum Schweigen gebracht. Ein Aufruf zugunsten der Nuklearenergie – nuclear saves nature – am Cal Poly in San Luis Obispo war die einzige politische Propaganda, die wir auf einem Hochschul-Campus sahen, und wir haben eine ganze Handvoll besucht.
Zum Schweigen gesellt sich die Angst. Staatsdiener müssen Loyalitätsfragebogen ausfüllen. Wer nicht spurt, wird entlassen, politisch Unliebsame werden an der Grenze abgewiesen. Kanadische Freunde in New York, seit fünf Jahrzehnten legal im Land, kennen einen Fall aus erster Hand. Einer Bekannten wurde die Einreise in die USA verweigert, nachdem sie beim Verhör durch den Grenzer ihre Meinung zur Trumpregierung dargelegt hatte. Seither fürchten sie, bei der Rückkehr von einem Besuch in Kanada nicht mehr eingelassen zu werden.
Der Präsident versucht sich als Autokrat. Er ist ein Caudillo lateinamerikanischen Zuschnitts. Dagegen wird Mitte Juni zum landesweiten Protest aufgerufen, die Losung heisst «No Kings» («Keine Könige»). In Atlanta, Georgia, sind Tausende zugegen, die «Liberty Plaza» vor dem Capitol quillt über, die Stimmung ist frohgemut, aber die Veranstaltung steht unter schwachem Strom. Die rohe Energie eines Trump-Auftritts geht ihr ab. Die selbst gemachten Plakate sind clever und frech, die gut präsente Polizei hat nichts zu tun, die Reden sind ein langweiliges Rezital des linken Klagenkatalogs.
Am auffallendsten: Auf der Liberty Plaza stehen fast ausschliesslich Weisse. Von der einst gepriesenen Regenbogen-Koalition keine Spur. Den Plakaten nach zu schliessen, liegt Amerikas grösster Handlungsbedarf bei den Rechten der Transsexuellen.
«No Kings» hat die Ratlosigkeit der Opposition gespiegelt. Zwar tritt die Demokratische Partei im Parlament geschlossen auf, aber sie ist dort in der Minderheit und verliert regelmässig, weil Trumps Republikaner eisern zusammenhalten. Die Demokraten klammern sich an die Hoffnung, mit der richtigen «charismatischen» Person die nächsten Wahlen zu gewinnen, aber was die Wählerschaft über die blossen Persönlichkeitsfragen hinaus antreibt, bleibt unberücksichtigt. Die Ausnahme ist der alte Senator Bernie Sanders. Jahrgang 1941. Er ist die einzige glaubwürdige Stimme im Anti-Trump-Lager, die über die blosse Positionierung für die nächsten Wahlen – electioneering – hinausreicht. Sanders sagt, was er bereits 2010 sagte. In einer langen Gewaltsrede («Filibuster») im US-Senat stellte er sich damals gegen das Budget von Präsident Obama, dem er vorwarf, die «Mittelklasse» im Stich zu lassen. Auch gegen Trumps Budget haben die Demokraten einen «Filibuster» veranstaltet, noch länger als jener von Sanders, der längste aller Zeiten. Aber der Filibusterer, Cory Booker aus New Jersey, signalisierte nur seinen Ehrgeiz. Seine Rede enthielt vorwiegend das Wort «ich».
«Do you like capitalism?», wird Zohran Mamdani im CNN-Interview gefragt, und er antwortet: «Not really». Der Interviewerin fällt für einen Augenblick die Kinnlade herunter. Den Kapitalismus in Frage zu stellen, ist in Amerika eine politische Todsünde, und Sozialisten gelten gerne als «Kommunisten». Mamdani, Spross einer aus Afrika eingewanderten indischen Familie, jung, unerfahren, nett aussehend, redegewandt, Muslim, nennt sich «demokratischer Sozialist», und er hat zum Unwillen der Partei die Vorwahl der Demokraten für das Bürgermeisteramt in New York City gewonnen.
Auch Senator Sanders, formell nicht Mitglied der Demokratischen Partei, ist «demokratischer Sozialist». Er sieht die USA im Griff einer «Oligarchie» aus grossen Unternehmungen und ihren Alliierten in beiden Parteien, mit dem Resultat einer wachsenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich, verbunden mit einer schleichenden Erosion des «Mittelstandes». Er hat – gegen das demokratische Parteiestablishment – die Auswirkungen der Globalisierung auf die unteren Schichten kritisiert, «die Ausweitung unserer verheerenden Handelspolitik, damit grosse Unternehmen weiterhin amerikanische Arbeitsplätze nach China exportieren können». Dieses Zitat aus dem Filibuster von 2010 könnte von Donald Trump stammen. Sie reden vom Gleichen, unter anderen Vorzeichen. Wo Sanders von «Oligarchie» spricht, redet Trump von den «liberalen Eliten», wo er den Klassenkampf von unten gegen oben in den Vordergrund rückt, appelliert Trump an das nationalistische Gefühl, Amerikaner zu sein.
In Andersonville, Georgia, Population 237, steht neben dem Haus mit dem Pepsi-Automaten eine grosse Säule mit der Inschrift «Wirz». Das Denkmal für Henry Wirz, Kommandant des berüchtigten Gefangenenlagers im Bürgerkrieg, wo in einer unweit gelegenen Senke 45'000 Gefangene der Südstaaten zusammengepfercht waren, von denen ein Drittel verendete. Ein Nachbar kommt vor die Tür, wir schwatzen. «Sie haben ihn ermordet», sagt er. Henry Wirz, Schweizer Auswanderer aus Zürich, wurde am 10. November 1865 in Washington gehängt, einer von drei exekutierten Kriegsverbrechern im amerikanischen Bürgerkrieg. Er sei kein Kriegsverbrecher gewesen, sagt der Nachbar, sondern Opfer einer Jagd nach Sündenböcken. Für die Umstände im Lager könne Wirz nichts, schliesslich habe Ulysses Grant, der Unionsgeneral, allen Nachschub abgeschnitten.
Das Denkmal müsste ein erstrangiges Ziel der cancel culture sein, die landauf, landab Jagd auf politisch unliebsame Architektur macht?
«Nein, aber sie sind immer noch aktiv.»
«Wer sind 'sie'?»
«BLM und Antifa.»
Mit BLM meint der Mann die im vergangenen Jahrzehnt aktiven Black-lives-matter-Proteste gegen die Polizeigewalt an Schwarzen, und mit «Antifa» die Radaubrüder, die sich gerne als links gewickelte «Antifaschisten» etikettieren, ähnlich dem Schwarzen Block in Zürich oder Bern. Beides sind eher flüchtige, den social media entsprungene Gebilde, die vom Caudillo im Weissen Haus als knochenharte Organisationen hingestellt und aufs Korn genommen werden.
Wir reden über den Alltag. Vieles, was Donald Trump der Wählerschaft versprochen hat, ist in seinem ersten Regierungshalbjahr ausgeblieben. Der Benzinpreis ist nicht halbiert. Die Preise im Supermarkt sind unverändert hoch, in Cambridge, Massachussetts, zahlte ich für eine halbe Gallone Milch 7 Dollar – doppelt so viel wie in der Schweiz. Auch das Jobwunder will nicht so recht vom Fleck kommen, trotz der intensivierten Hatz auf die Sans-papiers, die den einheimischen Arbeitnehmern angeblich den Verdienst streitig machen.
«Was sagen Sie dazu, dass Trumps Verheissungen nicht eingetroffen sind?»
«Noch nicht. Er versucht alles, aber der Widerstand in Washington ist gross, in beiden Parteien. Wir nennen es die uniparty, die Einheitspartei. Wir Reformer haben ein hartes Los.»
So hart ist das Los auch wieder nicht. Trumps Republikanische Partei tanzt nach seiner Pfeife wie die Kobra vor der Flöte. Im Parlament winkt sie seine Vorhaben selbst da durch, wo sie tiefsten Glaubenssätzen zuwiderlaufen. Krassestes Beispiel ist die Steuer- und Ausgabenvorlage, die nach allen Berechnungen die eh enorme Staatsschuld in Billionenhöhe erhöhen wird und «fiskalkonservativen» Gemütern schlaflose Nächte beschert. Das Gesetz verlängert befristete Steuersenkungen auf unbestimmte Zeit und kürzt die Krankenversicherung und die Nahrungsmittelhilfen für die Ärmeren. Es ist pfiffig aufgelegt. Es enthält eine ganze Reihe von Sofortmassnahmen, die nicht nur den Reichsten, sondern vor allem auch der gebeutelten Mittelklasse zugutekommen: höhere Abzüge für Kinderbetreuung, ein Steuerabzug für Rentner, die Steuerbefreiung von Trinkgeldern (von Trump ins Spiel gebracht und von der Opposition flugs übernommen), höhere Abzüge der lokalen Steuern. Die schmerzhaften Kürzungen greifen erst nach und nach.
Frontier Days in den Prescott Rodeo Grounds, «ältestes Rodeo der Welt», Erstaustragung 1888. Affenhitze, staubige Arena. Geboten wird das ganze Programm, Ritt auf dem Bronco, gesattelt und ungesattelt, bull riding, Kälberfang mit dem Lasso, steer wrestling, das Pferderennen der Damen. Am Eingang steht «keine Getränke und keine Schusswaffen». Kontrolliert werden die Getränke, Sir, you cannot take the water in. Waffenkontrolle gibt es nicht. Es genügt, dass die hierzulande offen am Gurt getragenen Revolver nicht zu sehen sind. Ein Verkaufsstand hält concealed carry purses feil, die Handtasche für Waffenträgerinnen mit diskretem Fach an der unverzierten Innenseite. Die Verkäuferin demonstriert den raschen Griff der Schützin zur Waffe.
In der Arena herrscht eine grosse Einmütigkeit, aber keine Aggression. Ähnlich wie an einem Schweizer Schwingfest. Der Mann am Lautsprecher beschwört den cowboy way of life, der sich in grossen Gurtschnallen, tiefgelegten Wranglerhosen und breitkrempigen Hüten ausdrückt und uns tagelang als Quelle der Erheiterung dient. Die Damen tragen Stiefel unterhalb sehr kurzer Jupes. Hier sei der Ort, wo die Freiheit «noch» gelebt werden dürfe, ruft der Mann am Lautsprecher, und der höchste Ausdruck der Freiheit sei, zum Allmächtigen zu beten. Das nimmt denn auch eine ziemliche Zeit in Anspruch, neben dem Vaterland und den Truppen im Felde wollen auch die Familien, die Familienväter, die Mütter, die Kinder, die Cowboys und Cowgirls und der livestock in die Schutzflehe einbezogen werden. Die anschliessende Nationalhymne ist beinahe nur Encore. Das «Noch», neben dem die Freiheit «noch» gelebt werden darf, ist unausgesprochen, nicht greifbar. Die anderen, die zu diesem «Noch» gehören, sind nicht präsent, es gibt keine Not, sie beim Namen zu nennen, und auch keine, sich des eigenen «Wir» zu vergewissern. In der ganzen Arena ist kein einziges Trump-Insignium auszumachen.
Umfragen zeigen, dass die Religiosität im Grossen und Ganzen auch in den USA abnimmt, aber wo der Glaube besteht, wird er durchgreifender, fordernder, offener dahergetragen. Gläubige, die dir etwas Unerwartetes mitteilen, sagen oft «It’s a God thing». Auf der Landstrasse, wo sich kaum je ein Geschäft mit frischem Fleisch, Gemüse oder Früchten mehr findet, kommen auf jeden Dollar Store mindestens ein halbes Dutzend Gotteshäuser. Mächtige Kreuze und riesige Billboards empfehlen dem Reisenden die leitende Hand des Allmächtigen und seines Sohns. Zuweilen werden auch feinere Punkte der Lehre aufgegriffen. «Jesus Christ is not God», steht auf einem Plakat in Texas. «Scripture says Jesus did not live before he came to earth.» Gut zu wissen.
Es ist unmöglich, sich nicht über die amerikanische Besessenheit mit dem good book lustig zu machen. Aber es gibt Christinnen und Christen, die ihre Glaubenssätze so ernst nehmen, dass sie sogar danach handeln. In Chimney Rock, einem durch Hurrikan Helene total zerstörten Dorf in North Carolina, erklären die Anwohner, dass sie vom Staat wenig und von den Versicherungen noch weniger Unterstützung beim Aufräumen und Wiederaufbauen erhielten. Gefragt, ob denn niemand Hilfe angeboten habe, sagen zwei Geschädigte unisono: «The Amish». Ein Bus voller Angehöriger der Amish-Sekte – ein Spross des Täufertums – sei aus Pennsylvania angereist und habe mehrere Wochen bei der Trümmerbeseitigung geholfen. Auch Fahrzeuge der christlichen Organisation Spokes of Hope sind im abgesperrten Dorf zu sehen.
Ständiger Begleiter auf dem road trip ist das Autoradio. Die Programmierung kommt in vier Varianten: Talk von rechts, christliche Erbauung, Country und Pop, streckenweise durch das quasi-öffentliche Public Radio ergänzt. Die Christlichen haben die Nase vorn. Sie sind dem Menschlich-Allzumenschlichen zugetan, Kindererziehung, richtiger Umgang mit dem Ehepartner, ausgestreckte Hand zum gefehlten Familienmitglied, nicht selten gespickt mit hilfreichen Sonderangeboten für Nahrungsmittelergänzungen, Wunderpillen, Auswegen aus der Schuldenfalle. Politisch reichen die christlichen Talkshows weit über die stets zentrale Abtreibungsfrage hinaus, und immer in der Perspektive des Herrschers in Washington: «Wir» gegen «sie». Irgendwo vor Jackson, Tennessee, bleibe ich an einem Stefano Gennarini von «C-Fam» (Center for Family and Human Rights) hängen, der über die Weltlage im Allgemeinen und die Vereinten Nationen im Besonderen referiert. Überraschenderweise lokalisiert er das Böse nicht in China oder beim Islamismus. Der Gegner ist in seiner Sicht Europa, dessen Einfluss auf die UNO entgegengehalten werden muss. Gennarini predigt alles andere als Isolationismus, sondern die Erweiterung des «konservativen» Kulturkampfs auf die Weltbühne. Zum Beispiel beim Kampf um die Ukraine: Präsident Trump habe klare Vorstellungen, den Krieg zu beenden, aber die EU und die NATO («zwei verschiedene Organisationen, aber es gibt viel Überschneidungen») fielen ihm in den Rücken. «Es gibt wirklich viel Widerstand seitens der EU, und sie sind zu einem Rivalen geworden.»
Im Vokabular des Reisejournalismus ist die Route 66 from Chicago to LA «mythisch» oder «ikonisch», dank Nat King Cole ein Fixelement des Great American Songbook, für Harley-Davidson-Motorradfahrer aus Europa der Camino Real. Heute ist sie oft die moderne Autobahn I-40, und wo als Highway 66 erhalten, eine Ruine, ein erbärmliches Ensemble aus verlotterten Motels, geschlossenen Kneipen, vergilbten Fassadenbemalungen, alten Fahrzeugen, die von einstiger Grösse zeugen. Auf dem Vorplatz einer Garage in Tucumcari, New Mexico, stehen vier Edsel.
Hoffentlich wird alles genau so belassen.
Das Auffallendste auf der Strecke ist der Übergang von Oklahoma nach Texas. Im Texas panhandle sind meilenlange Windturbinenanlagen am Rotieren, grösser und zahlreicher als jene in Deutschland. Texas, immer noch ein Ölstaat und republikanisch red bis ins hinterste Fitzel, ist der grösste und am schnellsten wachsende Produzent von Wind- und Sonnenenergie der Vereinigten Staaten – für sich genommen die Nummer 5 in der Welt.
Mit Umweltschutz oder Ausstieg aus der fossilen Energie hat das vermutlich wenig zu tun. Es ist eine Frage von Dollar und Cent: Wind ist billiger. Während der Caudillo in Washington bei jeder Gelegenheit die Windkraft schlecht redet, ihre mangelnde Ästhetik und den Vogelschutz beschwört (er mag die Windturbinen neben seinem schottischen Golfplatz nicht), gehen die Texaner den wirtschaftlich sinnvollen Weg, Trumpismus hin oder her.
Im Besucherzentrum des Petrified Forest National Park in Arizona führt der park service jeden Mittag archäologische Fundstücke vor. Hinter einer Glasscheibe zeigt ein freundlicher Ranger einen Knochen, zweihundert Millionen Jahre alt. Er stamme von einer Art Krokodil, sozusagen einem Abstecher auf dem Weg der Evolution, erklärt er. Als wir allein sind, können näher liegende Fragen gestellt werden. Die Entlassungswelle beim Staat hat auch die Nationalparks getroffen, in den «liberal media» ist die Sorge über Schliessungen, Kürzungen und dergleichen gross.
«Ist das so? Wurden Kollegen von Ihnen entlassen?»
Der Ranger lächelt und greift nach einem plastifizierten, beschrifteten Karton.
«Hier steht, was die Regierung mir zu sagen befiehlt. Ich soll nicht von mir aus sprechen.»
Der Mann ist an die oben verfügte «Sprachregelung» gehalten. Wir reden dennoch, ein wenig.
«Sahen Sie den jungen Mann, der gerade vorbeiging? Das ist ein Praktikant. Wir behelfen uns mit denen, sie übernehmen die Aufgaben, die wir nicht mehr ausführen können. Sie werden von den ‹Friends of Petrified Forest› bezahlt. Die Kassiererin am Eingang ist auch eine Praktikantin.»
Am Strand des Naturschutzgebiets Piedras Blancas, am Highway One entlang der Pazifikküste, nicht weit vom Hearst Castle, kann man die Seeelefanten betrachten. Träge Kolosse, prall wie Leberwürste, neben- und manchmal aufeinanderliegend, hin und wieder grunzend. Es stinkt. Die Elefanten – alles Männchen – sind in der Häutung, die abgeschälten Fetzen verrotten in der Hitze. Ein freiwilliger Ranger erläutert, dass die Tiere nacheinander in der Bucht eintreffen, einmal die Männchen, dann die Weibchen, von hoch oben im Norden und zurück. Es werde beobachtet, dass das Verhalten sich ändere, sagt der Freiwillige. Die Zeitperioden verschöben sich. Es habe mit der Erwärmung zu tun, mit dem Klimawandel. Der Mann weiss offenbar noch nichts von den neuesten Erlassen der Regierung, die den Begriff des Klimawandels, climate change, aus allen offiziellen Verlautbarungen streichen und seinen Gebrauch untersagen. Auch die Umweltbehörde darf das Wort nicht mehr verwenden, denn für den Trumpismus existiert Klimawandel nicht. Die Vorstellung, dass er durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe vom Menschen hervorgerufen wird, gilt als ideologische Verirrung und Indoktrination. Deshalb die Sprachregelung.
Konversation mit dem Gewährsmann für Trumpismus im Hudsontal. Idylle in einem zweihundert Jahre alten Farmhaus, ohne Heizung, aber wunderbarer porch, Kuh auf der Weide, Hühnergegacker, Riesengarten. Der Hausherr ist ein ausgestiegener Professor, Harvard-Doktortitel, gescheites Haus, erbitterter Feind alles Staatlichen und Gesellschaftlichen, Trump-Anhänger der ersten Stunde. Ein Kauz und liebenswert.
Wir beginnen mit dem Fall Epstein. Ein Spältlein im Panzer des Trumpismus: Der New Yorker Milliardär Jeffrey Epstein hatte sich mit minderjährigen Mädchen verlustiert, diese auch an Freunde aus der globalen Elite verkuppelt, war deswegen strafverfolgt und kam in der Untersuchungshaft auf ungeklärte Weise («Selbstmord») ums Leben. Das Trump-Universum drehte monatelang im Roten, witterte die Verdunkelung eines Menschenhandels unter der verhassten Oberschicht, rief nach Veröffentlichung des gesamten Dossiers. Die Trump-Administration ziert sich, denn der Präsident war ein Freund von Epstein. In klassischer Anwendung von guilt by association wird insinuiert, der Caudillo habe von Epsteins Jungfleischangeboten zumindest gewusst oder gar profitiert. Der verschwörungsaffine Teil seiner Anhängerschaft lässt nicht locker.
«Was denkst Du über den Fall Epstein?»
«Ich weiss nicht, wir müssen sehen, was da rauskommt.»
«Wir wissen doch schon einiges.»
«Epstein war ein Menschensammler. Er hatte es darauf angelegt, interessante und mächtige Menschen um sich zu sammeln, und da setzte er eben junge Mädchen als Lockvögel ein, um seine Partys attraktiv zu machen. Das geschieht doch immer wieder.»
«Ich kenne keine einzige Person, die so vorgeht, und ich weiss von niemandem, dass er jemanden kennt, der das macht.»
Du hast eben keine Ahnung. Du kommst aus einem Dorf in der Schweiz, da weiss man nicht, was in der Welt vorgeht.»
Das Gespräch wandert von Epstein zu Trump.
«Was sagst Du zur Gleichschaltung in der Regierung und in der RepublikanischenPartei? Wer nicht spurt, muss weg.»
«Die Partei setzt nach dem Wahlsieg ihre Macht durch. Das ist normal.»
«Was sagst Du zum Verhalten des Präsidenten? Er übertreibt, sagt offenkundige Unwahrheiten, hält sich nicht immer an Vereinbarungen. Das ist doch schlicht ein Gauner.»
«Trump is a brand. Er ist halt so. Das gehört zur Marke Trump.»
Donald Trump eine «Marke», so etwas wie der Levi Strauss oder das Coca Cola der Politik. Der Markenträger kann nicht anders als dem Image im Markt zu genügen. Zu Levi Strauss gehört die Niete, zu Donald Trump die Widerlichkeit. Und zur Marke gehört die Markenpflege. Von der corporate identity darf, ergo kann, nicht abgewichen werden. Wer Trump wählt, muss Trump nehmen, wie er ist. Mein Trumpist nimmt ihn, warts and all. Solange die Richtung stimmt. Er ist nicht allein.
Zur Markenpflege kommt die Markentreue. Anhänger des Caudillo sind markentreu. So treu wie Anhänger des Grasshopper Club oder Mercedesfahrer oder Colatrinker. Auf Petitessen wie überteuerte Milch oder einen noch nicht halbierten Benzinpreis kommt es da nicht an. Umso weniger, als die dunkleren Prophezeiungen der Gegner gar nicht eingetroffen sind. Die amerikanische Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen. Die Inflation steigt nicht ins Unerträgliche, ebenso wenig die Arbeitslosigkeit, auch wenn die Zahlen weniger Morgenröte anzeigen als verheissen. Und im Aussenpolitischen hat Trump einen Lauf. Amerikanische Friedensstiftungen sind zustande gekommen. Vielleicht sind sie weniger wert als verkündet, aber die Waffen schweigen zwischen Indien und Pakistan, zwischen Thailand und Kambodscha, zwischen Rwanda und Kongo, zwischen Aserbaidschan und Armenien. Die Bombardierung von Iran hat den ewig beschworenen «Flächenbrand» nicht entfacht, und in der Ukraine sind neuerdings die Dinge in Bewegung. Der Rechtstalk am Radio wird nicht müde, diese Leistungen herauszustreichen. Der Friedensnobelpreis wird dem Publikum vorgehalten wie eine Wurst einem Hund.
Es kommt eine unangenehme Wahrheit hinzu: Ein paar Facetten des Trumpismus finden im Lager seiner Gegner heimlichen Anklang. Der Gesundheitsminister Robert Kennedy ist nicht nur ein Antivaxer, der die Gelder für die Impfforschung streicht, sondern auch einer, der die grossen Nahrungsmittelkonzerne aufs Korn nimmt, die Verwendung künstlicher Farbstoffe unterbindet und den Kampf gegen den Zucker führt. Das ist Wind in grünen Segeln. Noch mehr Zuspruch findet Trumps Kritik an den Auswüchsen der woke-Benimmmandate und sein Vorgehen gegen diversity, equity and inclusion – die ausgewucherten DEI-Programme an Unis, in Verwaltungen und Unternehmen, die Angehörige aller möglichen Minderheiten bei der Vergabe von Aufträgen, Arbeitsplätzen oder Beförderungen gezielt bevorzugen. Ich habe mehrere Trump-Gegnerinnen und -gegner getroffen, die gar nicht so klammheimliche Freude ausdrückten, dass hier ein Riegel geschoben wird.
Noch mehr: Die Grundelemente des Trumpismus gehören zum amerikanischen Selbstverständnis. Sie sind keine Verirrungen, sondern «in der Mitte der Gesellschaft» präsent – übrigens auch in den europäischen Gesellschaften.
Trumpismus heisst: Leben ist permanenter Wettbewerb und Kampf. Es gibt Sieger und Verlierer. Alle Macht gehört dem Stärkeren. Der Starke ist am mächtigsten allein. Es gibt «uns» und «die anderen». Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer nicht hören will, muss fühlen. Und den Letzten beissen die Hunde. Das ist keine neue Gedankenwelt, sondern entspricht einer tief verankerten Befindlichkeit, die sich beharrlich durch die amerikanische Geschichte zieht, bis hin zum Scheusal Roy Cohn (always hit back, never apologize), Guru des jungen Donald Trump. Meistens war derartiger Prä-Trumpismus zweiter Sieger hinter dem ebenso tief verankerten kollektiven Willen, Gutes zu tun und die Welt an den amerikanischen Segnungen zu beteiligen. Aber das Gespenst war stets präsent. 1935 dachte sich Sinclair Lewis im Roman «It can’t happen here» eine hitlereske Machtübernahme aus, und die Parallelen zu den jetzigen Geschehnissen sind verblüffend. In Donald Trump hat sich politisch Bahn gebrochen, was lange angelegt war. Der Trumpismus wird Amerika auf Jahre hinaus prägen.
Donald Trump ist ein sehr amerikanischer Präsident, und zurzeit ein ziemlich erfolgreicher. Der Caudillo ist im Begriff, zum Imperator zu werden. Wohl kein Augustus – aber ein Augustulus schon.
Der Geldadel in den USA hat entschieden, dass die Demokratie den autokratischen Systemen unterlegen ist.
Um die Regierung umzubilden, nutzen sie Trump als Abrissbirne, wo er sich im Gegenzug die Taschen füllen darf.
Dabei ist es egal, wer danach Präsident wird, die Zeiten der USA als die vermeintlich Guten ist für lange Zeit vorüber. Die Amis ergötzen sich wie kleine Kinder an ihrer Macht und der Aussicht, es "den anderen mal so richtig zu zeigen"
Dazu noch diese unsägliche Opfermentalität. 🙄
Fazit: Der Trumpismus ist gekommen, um zu bleiben.