Eine Flagge flattert in einem strahlend blauen Himmel ohne eine einzige Wolke. Vor ihr steht Donald Trump. Sein blondes Haar ist zerzaust, seine Wange ist von blutigen Striemen überzogen, sein Ohr ist verwundet. Der Gesichtsausdruck ist hart, die Faust fest in den Himmel gereckt. Wie eine Freiheitsstatue im Designeranzug, die von einem widerspenstigen Schwarm schwarzer Agenten umgeben ist. Fliegen, die um einen Honigtopf schwärmen.
Provokativ blickt der ehemalige Präsident in die Ferne. In Richtung der Öffentlichkeit, in die Zukunft. Als würde er mit dem Mann sprechen, der versucht hat, ihn zu töten. Als würde er ihm sagen: «Niemand kann mich erschiessen».
Ein bereits unauslöschliches Bild. Schockierend. Ikonisch. Repräsentativ für unsere Zeit. Dazu bestimmt, in Schulbüchern prominent abgebildet zu werden. Wie etwa das Bild von Jackie Kennedys himbeerfarbenem Anzug, auf dem das Blut ihres Mannes klebt, oder das Bild von Neil Armstrong mit Helm auf dem Kopf und Fuss auf dem Mond.
Evan Vucci, ein erfahrener Fotograf der Associated Press, hat dieses beeindruckende Foto von Donald Trump aufgenommen. Er war einer der Reporter, die an diesem Abend über die Kundgebung des Republikaners berichteten. In Butler, Pennsylvania, ist es sehr sonnig und sehr heiss. Der Ex-Präsident kommt fast eine Stunde zu spät. Ein Tag wie jeder andere, denkt sich der Fotograf, der 2021 den Pulitzer-Preis gewann. Eine gewöhnliche Wahlkampfveranstaltung, die sich nicht sehr von denen unterscheidet, über die er schon früher berichtet hat.
Bis irgendwo über seine linke Schulter hinweg Schüsse fielen.
Kein Platz für Zweifel oder Angst. Nicht der Hauch eines Zögerns. «Von da an richtete ich mein Objektiv auf den ehemaligen Präsidenten Trump», bezeugte Evan Vucci gegenüber der Zeitung Daily Beast einige Stunden nach den Ereignissen.
Das ist sein Moment. Und er lässt ihn sich nicht entgehen, so wie an jenem Tag im Dezember 2008, als er lieber das Gesicht des irakischen Journalisten verewigte, der gerade seinen Schuh auf Präsident George W. Bush warf, während dieser eine Rede hielt. Anstatt das Gesicht des Präsidenten selbst, der dem Schuh ausweicht. Ein Moment, der ihn noch heute frustriert, wie Evan Vucci gegenüber Daily Beast lachend gesteht.
Also stürmt er zur rechten Seite der Bühne, wohin die Agenten des Secret Service ihren Schützling wohl bringen werden. Bingo. Seine Intuition gibt ihm Recht. Und Evan Vucci schiesst eines der eindrücklichsten Bilder des Attentatsversuches.
Ein perfekt komponiertes Bild, das so lyrisch ist, dass es an ein Historiengemälde erinnert. Donald Trump strahlt auf diesem Bild eine bemerkenswerte Stärke und Willenskraft aus. Der Kontrast zu seinem Rivalen Joe Biden, der häufig zerbrechlich und geschwächt erscheint, ist riesig. Wird die Wahl zugunsten des Republikaners entschieden werden? Kann ein einziges Bild das Schicksal eines Landes verändern?
Vom Daily Beast befragt, wehrt sich Evan Vucci gegen jeden Versuch, Propaganda zu betreiben. «Ich fotografiere die Politik, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, Mann. Jedes Foto, das ich mache, bringt die Leute zum Debattieren.»
Was auch immer der Urheber dieses Bildes sagt, eines ist sicher. Dieses Bild wird sich über Generationen hinweg in die Köpfe der Amerikanerinnen und Amerikaner einbrennen.
Ich weigere mich dieses Ereignis mehr aufzuwerten als es ist: Ein weiterer (tragischer) Vorfall mit Schusswaffen in den USA. Unschuldige Kinder tun mir mehr Leid als der Hassprediher und seine Gläubiger.