Der Notruf kam kurz nach 1.30 Uhr Lokalzeit. «Die ganze Key Brücke ist in den Hafen gefallen» meldete ein Rettungshelfer aus Baltimore (Maryland) - und weil das so unfassbar klang, wiederholte er sich noch einmal.
Ship appears to have lost power twice before impact with the bridge.
— Brick Suit (@Brick_Suit) March 26, 2024
In this sped up clip, note that the ship's lights are on at first, then turn off. After the lights return, the ship appears to lose power one more time before the power returns again, but by then it's too late. https://t.co/SUxKsO9hPa pic.twitter.com/v7jN8CWI1u
So wie dem ungenannten Polizisten oder Feuerwehrmann ging es am frühen Dienstag vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Ostküstenstadt. Sie konnten es fast nicht fassen, dass ein Containerschiff über Nacht eines der Wahrzeichen von Baltimore zerstört hat. «Schockierend» und «herzzerreissend» nannte Wes Moore, der junge Gouverneur von Maryland, die Katastrophe. Der Demokrat sagte: Die Behörden würden alles daransetzen, die sechs Menschen, die zu diesem Zeitpunkt noch vermisst wurden, zu finden.
«Unvorstellbar» sei der Vorfall, sagte ein Schaulustiger, «ich bin doch erst gestern über die Key Bridge gefahren.» Seit 1977 war die Stahl-Brücke Teil der Ringautobahn von Baltimore. Täglich überquerten rund 35'000 Autos und Lastwagen die Brücke - die von Einheimischen vor allem aufgrund des eindrücklichen Ausblicks auf den imposanten Hafen der Millionen-Metropole geschätzt wurde. «Und nun ist sie total zerstört», sagte eine andere Schaulustige, die aus grosser Distanz einen Blick auf die Stahlruine ergattern wollte.
Gemäss ersten Erkenntnissen prallte das Containerschiff DALI, das in Singapur registriert ist, gegen 1.27 Uhr Lokalzeit in einen Brückenpylon. Das Schiff, gegen 300 Meter lang und beladen, war zu diesem Zeitpunkt angeblich mit einer Geschwindigkeit von fast 15 Kilometern pro Stunde unterwegs. Gesteuert wurde es von einem erfahrenen Kapitän: Die Ein- und Ausfahrt zum Hafen von Baltimore ist derart knifflig, dass die Containerschiffe das Kommando jeweils einem einheimischen Spezialisten übergeben.
Dennoch befand sich das Boot nicht auf Kurs; angeblich waren dafür Stromausfälle auf der DALI verantwortlich, hiess es in einer ersten Einschätzung. Der Kapitän habe im letzten Moment auch noch ein Notruf-Signal ausgesendet, als der Zusammenprall mit der Key Bridge unvermeidlich schien.
Dieses «Mayday!» rettete vielleicht zahlreichen Menschen das Leben. Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr blockierten nämlich geistesgegenwärtig die Fahrbahn der (gebührenpflichtigen) Autobahn 695, wie Gouverneur Moore erzählte. Im Gespräch mit CH Media sagte Baltimores Stadtpräsident Brandon Scott, er habe den Morgen damit verbracht, zahlreichen Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften für ihre Arbeit zu danken. «Wir sind gesegnet, dass so viele Menschen so schnell reagiert haben.»
Der Gouverneur betonte in seiner Stellungnahme auch, dass es keine Hinweise auf einen terroristischen Anschlag gäbe.
Während die Crew des Containerschiffs den Zusammenstoss unverletzt überstand, wurden am Dienstagnachmittag in Baltimore noch sechs Menschen vermisst. Dabei handelte es sich um Strassenbauer, die über Nacht den Belag der Key Bridge flickten. Hochspezialisierte Taucher suchten im kalten Wasser des Hafenbeckens von Baltimore verzweifelt nach Lebensspuren. Bei Wassertemperaturen von 7 bis 10 Grad Celsius aber bestand wenig Aussicht darauf, dass sich diese Menschen noch am Leben befanden. Ein weiterer Strassenarbeiter befand sich vorderhand in Spitalpflege. Ein achter Mann schliesslich überlebte die Katastrophe unverletzt.
Die Suche nach diesen Menschen habe Priorität, sagte Gouverneur Moore am Dienstag. Und Stadtpräsident Scott sagte: Brücken könnten wieder aufgebaut werden, Menschenleben aber seien für immer verloren. Dennoch müssen sich die Behörden natürlich Gedanken über die Aufräumarbeiten machen. Denn die Stahlträger der Key Bridge blockieren die einzige Ein- und Ausfahrt des «Port of Baltimore», wie der Hafen offiziell heisst.
«Derzeit wissen wir nicht, wie lange der Schiffsverkehr ausgesetzt werden muss», teilte die Hafenverwaltung in einer ersten Stellungnahme mit. Der «Port of Baltimore» ist einer grössten und wichtigsten Ostküsten-Hafen in den USA, beliebt bei Autoimporteuren und Möbelhändlern. (aargauerzeitung.ch)