Gott an der Front – wie Trump & Co. den Glauben als Waffe nutzen
Pete Hegseth nennt sich neuerdings Kriegsminister. Der alte Name für seine Behörde, Verteidigungsministerium, war ihm und Präsident Donald Trump nicht kämpferisch genug. Also entschied sich das Weisse Haus für eine Umbenennung, zumindest im inoffiziellen Sprachgebrauch.
Am Sonntag aber, an der Trauerfeierlichkeit für den ermordeten Aktivisten Charlie Kirk, da gab sich Hegseth lammfromm. Aus dem Kriegsminister wurde ein Laienprediger. Hegseth, 45 Jahre alt und in dritter Ehe verheiratet, sagte: «Nur Christus ist König, unser Herr und Retter. Unsere Sünden werden durch das Blut Jesu reingewaschen.» Und er sagte, dass sein ermordeter Freund nicht nur die politischen Ziele der modernen Republikanische Partei geteilt habe. Charlie Kirk habe auch verstanden, dass «wir mehr Gott brauchen».
Das sind, vorsichtig formuliert, höchst ungewöhnliche Töne für einen hochrangigen Regierungsvertreter. Zwar garantiert die amerikanische Verfassung das Recht auf freie Religionsausübung. Auch ein Kriegsminister darf deshalb über seinen evangelikalen Glauben sprechen. Gleichzeitig ist im ersten Zusatzartikel zur Verfassung aber auch ein Verbot verankert, das die Einführung einer Staatsreligion verbietet.
Republikaner teilen die Politik in Gut und Böse ein
Dieser Verweis auf die Trennung von Staat und Kirche diente lange Jahre als Bremse für allzu eifrige religiöse Rechtspolitiker, bei denen es sich übrigens meist um Protestanten handelt. Sie mussten unterscheiden zwischen persönlichem religiösem Glauben und offiziellen Handlungen.
Das ist nicht erst seit dem Tod von Charlie Kirk augenfällig. Jüngst haben die politischen Versuche zugenommen, das Verbot zur Einführung einer Staatsreligion zu ignorieren. So entschieden die Republikaner im Bundesstaat Texas im Juni, dass die Zehn Gebote von nun an in sämtlichen Klassenzimmern in öffentlichen Schulen zur Schau gestellt werden müssten.
Das Attentat auf Kirk feuert diese religiöse Leidenschaft nun noch stärker an. Republikanische Offizielle erwecken den Eindruck, als sei der junge Aktivist einen Märtyrertod gestorben. Folglich glauben sie, nun die Erlaubnis zu haben, ihre politischen Ziele in religiösen Begriffen zu kleiden – wobei Hegseth, Trump und andere Freunde von Kirk dabei jeweils an das Christentum denken.
Dies führt naturgemäss zu einer Ausgrenzung von Andersgläubigen. Das ist das eine. Die andere erschreckende Entwicklung ist, dass führende Rechtspolitiker behaupten, im amerikanischen Politbetrieb stünden zwei Kräfte gegenüber, die sich in Gut und Böse einteilen liessen – als beruhe der politische Wettbewerb zwischen den beiden Grossparteien auf biblischen Versen. Gut und gottesfürchtig sind demnach die regierenden Republikaner, böse und dämonisch die oppositionellen Demokraten.
Trauerfeier diente auch als Rekrutierungsevent
Selbst moderate Trump-Freunde greifen neuerdings auf dieses Vokabular zurück. So sagte Glenn Youngkin, der republikanische Gouverneur von Virginia, vorige Woche an einem Wahlkampfauftritt: Sein Staat stehe an einer Weggabelung. Auf der einen Seite warte der Pfad der Wahrheit und des Lichtes. Auf der anderen Dunkelheit und Lüge. Die implizite Botschaft: Ein Sieg der Demokraten bei der anstehenden Gouverneurswahl in Virginia führe zu einer Machtübernahme der Sünder.
Führende republikanische Politiker spekulieren damit, dass diese einfachen Botschaften in einer komplizierten Welt auf Anklang stossen könnten, gerade bei jungen Menschen. Und tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass es den christlichen Glaubensgemeinschaften gelingt, ein neues Publikum anzusprechen. Gemäss einer renommierten Umfrage bekennen sich aktuell 62 Prozent der rund 265 Millionen Erwachsenen, die in den USA leben, zum Christentum. Das Wachstum der Säkularisierung scheint damit gebremst.
Die Trauerfeier für Charlie Kirk diente deshalb auch als Rekrutierungsveranstaltung. Rob McCoy, der Pastor des Ermordeten, sagte: Sein enger Freund Charlie habe in der Politik eine «Auffahrt zu Jesus» gesehen, sei Gott doch die Quelle der Freiheit.
Und dann sagte McCoy zu den mehr als 70'000 Menschen, die sich in der Football-Arena versammelt hatten:
Dutzende von Menschen nahmen sich die Aufforderung zu Herzen und erhoben sich. Zumindest ein Mann trug den roten Hut, der ihn als Mitglied der Trump-Bewegung identifizierte. «Make America Great Again» stand auf seiner Kappe. (aargauerzeitung.ch)
