Dieser Satz mag etwas komisch anmuten. Er beschreibt aber perfekt, was in diesen Tagen in Washington los ist: Vieles steht auf dem Tapet – und dennoch wird gerade heiss diskutiert über vermeintlich harmlose Dinge wie eine Kleiderordnung.
Aber von vorn. Am Montag verkündete der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, dass die Mitarbeitenden des «Sergeant-at-Arms» – der offiziellen Kleiderpolizei des Senats – nicht länger eine Kleiderordnung im Senat durchsetzen werden. Diese Änderung war eine indirekte Konsequenz von folgenden Szenen: Der demokratische Senator aus Pennsylvania, John Fetterman, trug bei der Ausübung seines Amtes regelmässig und relativ unbeeindruckt kurze Hosen und Kapuzenpulli – mittlerweile ein Markenzeichen des im letzten Jahr überraschend gewählten Senators.
Um wegen seiner legeren Kleidung und der geltenden Regelungen nicht in Schwierigkeiten zu geraten, stimmte er jeweils im Türrahmen des Saals ab. «Es gab eine informelle Kleiderordnung, die durchgesetzt wurde», sagte Schumer also in einer Erklärung. Neu könnten die Senatorinnen und Senatoren wählen, was sie im Senat tragen. «Ich werde weiterhin einen Anzug tragen», fügte er hinzu.
If those jagoffs in the House stop trying to shut our government down, and fully support Ukraine, then I will save democracy by wearing a suit on the Senate floor next week.
— Senator John Fetterman (@SenFettermanPA) September 20, 2023
Die neue Regelung löste im anderen Spektrum der Politik, unter Republikanerinnen und Republikanern, grosse Empörung aus. So meinte ein Senator aus Kansas, Roger Marshall, es sei ein «trauriger Tag im Senat» und dass die Leute, die Fetterman und Schumer vertreten, beschämt sein sollten. «Ich vertrete das Volk von Kansas, und so wie ich mich für eine Hochzeit in Schale werfe, um die Braut und den Bräutigam zu ehren, so wirft man sich für eine Beerdigung in Schale, um die Familie des Verstorbenen zu ehren», sagte Marshall. Senatoren sollten ein gewisses Mass an Anstand haben, fügte er hinzu.
Die republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine stimmte dem zu und argumentierte, dass die lockeren Regeln «die Institution des Senats entwerten». Und: «Ich habe vor, morgen im Senat einen Bikini zu tragen», scherzte Collins.
Thankfully, the nation's lower chamber lives by a higher code of conduct: displaying ding-a-ling pics in public hearings. https://t.co/a4sLQ7nSBL
— Senator John Fetterman (@SenFettermanPA) September 18, 2023
Auch die Republikanerin Marjorie Taylor Greene empörte sich. Allerdings ist sie selber nicht gerade bekannt für tadelloses Verhalten: Die Trump-Anhängerin hat auch schon eine Parteikollegin als «kleines Miststück» bezeichnet und Sex-Fotos von Joe Bidens Sohn Hunter in einem Ausschuss gezeigt. Auf der Online-Plattform X schreibt sie: «Dass der Senat die Kleiderordnung für Senatoren nicht mehr durchsetzt, um Fetterman zu besänftigen, ist eine Schande.» Der Dresscode sei einer der gesellschaftlichen Standards, der die Etikette und den Respekt für die Institutionen festlege.
Fetterman liess sich daraufhin nicht zweimal bitten und antwortete: «Zum Glück gibt es im Unterhaus des Parlaments einen höheren Verhaltenskodex: das Zeigen von Penis-Fotos in öffentlichen Anhörungen.»
Dabei hatte sich Fetterman in seiner ersten Amtszeit Anfang des Jahres eigentlich viel Respekt von beiden Seiten erworben, als er sich selbst wegen klinischer Depressionen ins Krankenhaus einweisen liess. Für seine Diagnose, die er nach einem Schlaganfall erhielt, und seinen öffentlichen Umgang damit erntete er überparteiliches Lob. Als er aus der Behandlung zurückkehrte, begann er, sich legerer zu kleiden – offenbar, weil er sich damit wohler fühlt.
I figure if I take up vaping and grabbing the hog during a live musical, they'll make me a folk hero. https://t.co/Tx6wTbWalJ
— Senator John Fetterman (@SenFettermanPA) September 19, 2023
Nun hat sich der Goodwill ihm gegenüber aber offenbar ins Gegenteil verkehrt. Mit der Kritik hat es Fetterman aber ähnlich wie mit seiner Kleidung: Er nimmt es locker. Auf die Kritik angesprochen, antwortete er: «Sie flippen aus, ich verstehe das nicht. Gibt es nicht wichtigere Dinge, an denen wir gerade arbeiten sollten, anstatt dass ich mich wie ein Tölpel anziehe?»
Derweil kann auch Fetterman sich gewisse Seitenhiebe nicht verkneifen. So antwortete er auf X auf die Kritik des konservativen Senders «Fox News»: «Ich denke, wenn ich mit dem Rauchen anfange und während eines Live-Musicals in die Vollen greife, machen sie mich zum Volkshelden.» Es ist eine Anspielung an das – tatsächlich – unrühmliche Verhalten von Lauren Boebert, einer republikanischen Amtskollegin.
Als er am Montagabend in einem kurzärmeligen Hemd und Shorts zur Abstimmung kam, sagte Fetterman, er sei sich noch nicht sicher, ob er schon jetzt von den neuen Regeln Gebrauch machen werde: «Es ist schön, diese Möglichkeit zu haben, aber ich werde sie sparsam einsetzen und nicht übermässig nutzen.» (lak)
PS: Wenn er im Senatssaal wieder mal einen Anzug tragen sollte, hoffe ich doch schwer, dass es dann ein beigefarbener wird. Dann würden einige GOPler wohl wirklich ein Aneurysma bekommen 🤭