Unerwarteter Nebeneffekt des CEO-Mords: Das Revival des guten alten Protestsongs
Bild: wikicommons
Der Mord an Brian Thompson hat im Internet eine breite Wut gegen die Ungerechtigkeiten des US-Gesundheitssystems ausgelöst – und offenbar den kreativen Nerv von Singer-Songwritern getroffen.
Rein von der Sachlage her könnte man erwarten, dass ein Mord an einem CEO auf offener Strasse in New York zwar eine interessante, gar sensationelle, News-Story wäre – aber letztendlich nur von grösserer Bedeutung für die unmittelbar Involvierten. Für Familien und Umfeld von Opfer und Täter, etwa. Aber: Das Opfer Brian Thompson ist CEO der Gesundheitsversicherung UnitedHealthcare. Und somit bekam der Tötungsakt einen Symbolgehalt von nationaler Bedeutung. Gesundheit geht alle etwas an.
Selten waren die United States of America derart «united» wie in den Tagen nach der Erschiessung von Brian Thompson – und zwar in ihrer Sympathie für den Täter. Zwar versuchten konservative Kommentatoren wie die Podcaster Ben Shapiro und Matt Walsh den Mord an einem CEO des Gesundheitswesens in eine linke Gefahr für die Gesellschaft umzumünzen («The EVIL Revolutionary Left Cheers Murder» – «BÖSE revolutionäre Linke bejubelt Mord», titelte Shapiro). Doch dieser Schuss ging nach hinten los.
Ihr eigenes (konservatives) Publikum entpuppte sich als fest auf der Seite des Schützen. «Ben, hier geht es nicht um links gegen rechts – hier geht es um UNS», so ein Kommentar. «Wütend auf das Gesundheitssystem zu sein, ist keine linke Sache. Es ist eine Sache für alle», so ein weiterer.

Bild: keystone
Und so hat der Mord auch auf Social Media unglaubliche Wellen geschlagen, wo es seither Memes, Reaktionen und Kommentare hagelt.
Und auch: Songs.
Wer hätte das gedacht? Der Mord an einem Krankenversicherungs-CEO hat der altehrwürdigen Kunst des Folksongs zu einem Revival verholfen.
Hier, etwa, ist Jesse Wells aus Arkansas mit seinem Song «United Health», der aktuell ziemlich viral geht.
Folksongs des englischsprachigen Raums haben eine jahrhundertealte Tradition, gesellschaftliche Themen zu kommentieren und dabei Ungerechtigkeiten anzuprangern. Die Sachlage um die Erschiessung eines Krankenversicherungs-CEOs hat demnach sämtliche Zutaten, die einen guten Folksong ausmachen.
Oder hier, Singer-Songwriter Philip Labes:
Ebenfalls in der Tradition des Folksongs ist die Nacherzählung einer dramatischen Newsstory. Ein historisch bekanntes Beispiel wäre etwa der beliebte Folk- und Kindersong «The Titanic», der kurz nach dem Untergang des Schiffs gleichen Namens erstmals veröffentlicht wurde. Eine spannende Untergattung sind die sogenannten «murder ballads», die, mal aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, mal aus auktorialer Erzählsituation, die Geschichte eines Mordes nacherzählen. Einige berühmte Beispiele wie «The Knoxville Girl» können ihre Wurzeln bis ins England des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Bitte sehr – «UnitedHealthcare CEO Murder Ballad» von Joseph Terrell aus North Carolina:
Dass beim Thompson-Mord die Polizei die Aufschriften «deny», «defend» und «depose» auf den Patronenhülsen fand (zu Deutsch: «leugnen», «verteidigen» und «absetzen»), gibt der Tat eine weitere geradezu literarische Komponente. Eine beliebte Redewendung in der Versicherungsbranche lautet «delay, deny, defend», was so viel wie «verzögern, leugnen, verteidigen» heisst.
Hier ist Joe DeVito mit «Deny, Defend, Depose»:
«United Health» von Jesse Welles kannst du
HIER streamen.
Philip Labes gibt es
HIER zum Streamen.
«DenyDefendDepose – The UnitedHealthcare CEO Murder Ballad» von Joseph Terrell kannst du
HIER streamen.
«Deny, Defend, Depose» von Joe DeVito gibt's
HIER.
Und HIER, zum Mitsingen, der Text von «United Health» von Jesse Welles!
Mit deutscher Übersetzung unten!
There's an office in a building and a person in a chair
And you paid for it all, though you may be unaware
You paid for the paper and you paid for the phone
You paid for everything they need to deny you what you're owed
There ain't no you in United Health
There ain't no me in the company
There ain't no us in the private trust
There's hardly humans in humanity
Now the procedure that you're needing ain't the cost-effective route
And only 2% of people end up winning a dispute
So if you get sick, pray to god for help
Because your doctor's got to pray to United Health
Way back in 70 and 7, Mr. Richard T. Burke started buying HMOs, putting federal grants to work
Made 50 billion buckaroos last year
The Warren Buffet of health, the Jeff Bezos of fear
Now CEOs come and go and one just went
The ingredients you got bake the cake you get
But if you get sick cross your fingers for luck
Because old Richard T. Burke ain't giving a f*ck
Commoditized health, monopolized fraud
«Here's the doctors we own and the research we bought»
They own the pharmacies and a lot of the meds
They should start buying graves to sell us when we're all dead
There ain't no you in United Health
There ain't no me in the company
There ain't no us in the private trust
There's hardly humans in humanity
There's hardly humans in humanity
Jesse Welles, 2024.
Deutsche Übersetzung:
In einem Gebäude gibt's ein Büro und eine Person in einem Stuhl.
Und du hast für all das bezahlt, auch wenn es dir nicht bewusst ist.
Du hast für das Papier bezahlt und du hast für das Telefon bezahlt.
Du hast für alles bezahlt, was sie brauchen, um dir das zu verweigern, was dir zusteht.
Es gibt kein Du bei United Health.
Es gibt kein Ich in der Company.
Es gibt kein uns in der privaten Stiftung.
Es gibt kaum Menschen in der Menschheit.
Die Prozedur, die du brauchst, ist nicht die kostengünstigste.
Und nur 2 % der Menschen gewinnen am Ende einen Disput.
Wenn du also krank wirst, bete zu Gott um Hilfe, denn dein Arzt muss zu United Health beten.
Damals, im Jahr 1977, fing Richard T. Burke an, HMOs zu kaufen und Bundeszuschüsse zu verwenden.
Letztes Jahr hat er 50 Milliarden Dollar verdient.
Der Warren Buffet der Gesundheit, der Jeff Bezos der Angst.
CEOs kommen und gehen und einer ist gerade gegangen.
Die Zutaten, die du hast, backen den Kuchen, den du bekommst.
Aber wenn du krank wirst, drück die Daumen, dass du Glück hast, denn dem alten Richard T. Burke ist das so was von egal.
Kommerzialisierte Gesundheit, monopolisierter Betrug.
«Hier sind die Ärzte, die wir besitzen und die Forschung, die wir gekauft haben!»
Denen gehören die Apotheken und viele der Medikamente.Sie sollten anfangen, Gräber zu kaufen, um uns weiter zu verkaufen, wenn wir alle tot sind.
Es gibt kein Du bei United Health.
Es gibt kein Ich in der Company.
Es gibt kein uns in der privaten Stiftung.
Es gibt kaum Menschen in der Menschheit.
Es gibt kaum Menschen in der Menschheit.
Das musst du zum New Yorker CEO-Mord und Luigi Mangione wissen
Video: watson
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