
Hilfskräfte in Schutzkleidung im Messezentrum von Shanghai, das in eine Quarantäne-Station umgewandelt wurde.Bild: keystone
Analyse
Chinas Kommunisten behaupten, ihr System sei dem Westen politisch und wirtschaftlich überlegen. Im Umgang mit Pandemie und Ukraine-Krieg aber wirkt die Regierung ratlos.
07.04.2022, 15:3907.04.2022, 16:12
Im Herbst will sich Xi Jinping am Parteikongress der chinesischen Kommunisten für eine dritte fünfjährige Amtszeit als Staatsoberhaupt wählen lassen. Das genaue Datum steht noch nicht fest, und es wäre ein Bruch mit der Tradition. Bislang durfte ein Präsident maximal zehn Jahre regieren, um eine zu grosse Machtkonzentration zu verhindern.
Der 68-jährige Xi hat diese Regel abgeschafft und die Partei von möglichen Rivalen «gesäubert». Wie Staatsgründer Mao Zedong scheint er auf Lebenszeit an der Macht bleiben zu wollen. Unter seiner Herrschaft hat China seine Zurückhaltung abgelegt. Das Reich der Mitte tritt geopolitisch immer offensiver, um nicht zu sagen aggressiver auf.

Xi Jinping will sich im Herbst für einer dritte Amtszeit wählen lassen.Bild: keystone
Im Zentrum steht die Überzeugung, das staatlich gelenkte System sei jenem des Westens überlegen. Es hat Hunderte Millionen aus der Armut befreit und verlangt im Gegenzug die totale politische Unterwerfung. Dennoch hat es auch im Westen viele Bewunderer. SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher hat Chinas «Kompetenz» wiederholt gelobt.
Nun erhält dieses Image tiefe Kratzer. Im Umgang mit drei grossen Problemen der Gegenwart wirkt Peking ratlos und planlos:
Corona
Der Ursprung der Pandemie, die die Welt in den letzten zwei Jahren in Atem hielt, liegt sehr wahrscheinlich in der chinesischen Metropole Wuhan. Nach harten Lockdowns bekam China die Lage während langer Zeit unter Kontrolle. Seine Null-Covid-Strategie galt als weiterer Beweis für die Überlegenheit gegenüber dem «chaotischen» Westen.
Dann kam Omikron. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die hochansteckende Variante auch die Volksrepublik erfassen würde. Jetzt scheint die Lage endgültig eskaliert zu sein. Mehrere Millionenstädte, deren Namen im Westen kaum jemand kennt, befinden sich im Lockdown. Am schlimmsten aber hat es das Wirtschaftszentrum Shanghai erwischt.
Die Megacity mit rund 25 Millionen Einwohnern wird durch den Fluss Huangpu in zwei Teile geteilt. Ursprünglich sollten sie abwechselnd je fünf Tage in den Lockdown. Jetzt wurde er auf unbestimmte Zeit verlängert. Es ist ein Indiz dafür, dass die Pandemie ausser Kontrolle geraten ist. Die Situation sei «extrem düster», sagte der zuständige Funktionär.
Shanghai gleicht laut westlichen Korrespondenten einer Geisterstadt. Tausende medizinische Hilfskräfte wurden aus dem ganzen Land herangekarrt. Gleichzeitig scheinen immer mehr Einwohner mit ihrer Geduld und den Nerven am Ende zu sein. Darauf deuten Videos in den sozialen Medien hin, die von der Zensur schnell gelöscht werden.
Darin klagen Menschen, dass ihnen Nahrung und Medikamente ausgehen. Bewohner eines abgeriegelten Quartiers sollen die strikte Ausgangssperre gebrochen und eine spontane Demonstration organisiert haben. Für Entsetzen sorgte die Vorschrift, dass Kinder und selbst Babys nach einem positiven Test den Eltern «entrissen» und isoliert werden.
«Wir werden nicht durch Covid getötet, sondern durch die Covid-Massnahmen», hiess es laut CNN in einem auf Weibo geposteten Kommentar. Die Regierung aber klammert sich an die Null-Covid-Strategie. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Sun Chunlan forderte Shanghai am Montag zu einem «entschlosseneren und härteren Vorgehen» auf.
Eine Kehrtwende ist für die Regierung nach Ansicht von Beobachtern aus ideologischen Gründen kaum denkbar. Immerhin scheint sie Lockerungen zu erwägen, etwa bei den Isolations- und Quarantäne-Regeln. Auch eine Zulassung des Impfstoffs von Pfizer/Biontech ist offenbar im Gespräch. Bislang wollte China von westlichen Vakzinen nichts wissen.
Wirtschaft

Der überschuldete Evergrande-Konzern ist nur ein Teil von Chinas wirtschaftlichen Problemen.Bild: keystone
Die Lockdowns schlagen auf die Wirtschaft durch. Es kommt zu Unterbrüchen in der Produktion. Autohersteller wie VW und Tesla mussten ihre Fabriken in China zeitweise stilllegen. Einmal mehr kommt es zu Beeinträchtigungen bei den Lieferketten, auch wenn Berichte über einen Schiffsstau vor dem Hafen von Shanghai übertrieben scheinen.
Wirtschaftsvertreter befürchten, dass die für 2022 erhoffte Normalisierung des Welthandels sich weiter in die Zukunft verschieben wird. Ohnehin klagen westliche Firmen, dass das Geschäft mit China in den zwei Corona-Jahren schwieriger geworden sei. So ist etwa der persönliche Austausch durch die strikte Einreise-Quarantäne stark beeinträchtigt.
Omikron gefährdet auch Chinas Wirtschaft. Die Regierung hat für dieses Jahr ein Wachstum von 5,5 Prozent als Ziel formuliert. Ökonomen zweifeln, dass dies realistisch ist. Ministerpräsident Li Keqiang räumte im März ein, die Risiken und Herausforderungen für die Entwicklung Chinas im laufenden Jahr hätten «deutlich zugenommen».
Peking braucht ein hohes Wachstum, um sein Volk bei Laune zu halten und das Modell «Wohlstand als Gegenleistung für Gehorsam» zu stützen. Deshalb greift die Regierung immer stärker in die Wirtschaft ein, was unter anderem der Tech-Gigant Alibaba zu spüren bekam. Xi Jinping kündigte zudem eine verstärkte Umverteilung von Reich zu Arm an.
Für Kopfzerbrechen sorgt weiterhin der aufgeblähte und überschuldete Immobiliensektor. Die Spitze des gigantischen Eisbergs bildet der mit 300 Milliarden Dollar verschuldete Konzern Evergrande. Einen Konkurs will der Staat offensichtlich vermeiden. Das Unternehmen kündigte im März nicht zum ersten Mal einen Plan zur Umschuldung an.
Ukraine
Ebenfalls Kopfschmerzen bereitet der chinesischen Führung der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Peking scheint den Schulterschluss mit Moskau zu suchen. Die Staatsmedien verbreiten vor allem russische Propaganda. Offensichtlich nimmt die Volksrepublik in Kauf, dass sie eiserne Grundsätze – Nichteinmischung und staatliche Souveränität – torpediert.
Xi Jinping und Wladimir Putin versicherten vor den Winterspielen in Peking im Februar, ihre Freundschaft kenne «keine Grenzen». Doch das Verhältnis zwischen den «Grossmächten» ist traditionell schwierig. Beobachter vermuten, China wolle ein durch den Krieg geschwächtes und isoliertes Russland mit seinen Rohstoffen von sich abhängig machen.

Wladimir Putin und Xi Jinping zelebrierten zum Olympia-Auftakt ihre Freundschaft.Bild: keystone
Diese Strategie ist riskant, denn im Westen gibt es Bestrebungen, sich nicht nur aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen, sondern bei strategisch wichtigen Gütern auch von China. Und sollte der Krieg noch Monate oder Jahre andauern, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag warnte, wird es auch für China zunehmend schwierig.
Das Mantra der Volksrepublik von der Überlegenheit ihres Systems wird angesichts dieser drei Probleme arg strapaziert. Für keines scheint China einen überzeugenden Plan zu haben. Was das für Xi Jinpings «Krönung» im Herbst bedeutet, ist unklar. Eine weitere Eskalation in allen drei Bereichen aber kann Xi mit Sicherheit nicht gebrauchen.
15 Bilder, die zeigen, was gerade in Wuhan vor sich geht
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15 Bilder, die zeigen, was gerade in Wuhan vor sich geht
quelle: epa / stringer
Lärmende Roboterhunde und Bettenlager – so sieht der Alltag im Lockdown in Shanghai aus
Video: watson
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