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Russlands Wirtschaft läuft heiss und im Westen steigen die Schulden

Blüten der Kriegswirtschaft: Russland läuft heiss und im Westen steigen die Schulden

Die immensen Militärausgaben bescheren Russland einen eigentümlichen Wirtschaftsboom. Auch im Westen wird die Rüstungsindustrie mit Aufträgen zugedeckt.
10.01.2024, 10:4110.01.2024, 10:41
Daniel Zulauf / ch media
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Frankreich und die Europäische Union seien in eine «Kriegswirtschaft» eingetreten, in der man sich dauerhaft werde organisieren müssen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron verwendet gern markante Worte, wenn er sich, wie im Juni 2022 an der internationalen Pariser Rüstungsmesse Eurosatory, an seine Wählerinnen und Wähler wendet.

Rheinmetall würde die in der Schweiz produzierte Munition noch so gern in die Ukraine liefern – wenn das Kriegsmaterialgesetz nicht wäre.
Rheinmetall würde die in der Schweiz produzierte Munition noch so gern in die Ukraine liefern – wenn das Kriegsmaterialgesetz nicht wäre.Bild: Urs Flueeler/Keystone

Von Autarkie, Nahrungsmittelrationierung, staatlicher Planung der industriellen Produktion und all dem, was sich ein Babyboomer (wie der Verfasser dieses Artikels) unter dem Begriff Kriegswirtschaft vorstellt, sind Europa und die ganze westliche Welt zum Glück aber noch weit entfernt.

Militärausgaben steigen wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Trotzdem dürfte Macrons Wortwahl kein Fauxpas, sondern viel eher ein gezielter Aufruf zu einem kollektiven Aufrüstungswettlauf gewesen sein, wie er in Europa nun auch richtig in Fahrt zu kommen scheint. Gemäss dem Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) sind die Militärausgaben in Zentral- und Westeuropa (ohne Ukraine und Russland) 2022 so stark wie «seit mindestens 30 Jahren nicht mehr» gestiegen.

«Die vorläufigen Zahlen für das Jahr 2023 legen nahe, dass sich der Aufwärtstrend im vergangenen Jahr fortgesetzt hat», sagt Amelie Lutz, die Sprecherin des renommierten Friedensforschungsinstituts, ohne dem im April zu veröffentlichenden Bericht über die weltweiten Militärausgaben 2023 konkret vorzugreifen.

Wenig überraschend haben die am nächsten bei Russland gelegenen Länder ihre Militärausgaben viel früher und stärker erhöht als andere Nationen – allen voran das neue Nato-Mitglied Finnland mit einem Plus von 36 Prozent zwischen 2021 und 2022. Aber auch Litauen (+27 Prozent), Schweden (+12 Prozent) oder Polen (+11 Prozent) erhöhen ihre Ausgaben für die Verteidigung seit Russlands Besetzung der Krim (2014) konstant in hoher Kadenz.

«Es ist schade aber leider opportun, wenn der Staat in diesen unsicheren Zeiten mehr Steuergelder für das Militär statt für produktive Investitionen in die Gesellschaft verwendet.» Mit dieser Meinung befindet sich Heli Simola in Finnland in guter Gesellschaft. Als Ökonomin der Bank of Finland verfolgt sie den Verlauf der russischen Kriegswirtschaft. Selbst Expertinnen wie Simola werden immer wieder überrascht von den sonderbaren Blüten, welche die russische Ökonomie im kriegerischen Ausnahmezustand gerade treibt.

Russlands sonderbarer Wirtschaftsboom

Noch vor weniger als einem Jahr hatten viele Ökonomen damit gerechnet, dass die mit überaus scharfen internationalen Sanktionen belegte russische Wirtschaft auch 2023 in der tiefen Rezession bleiben würde, in die sie im ersten Jahr nach dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 auch sofort gefallen war. Doch es kam anders. Dem populären ukrainischen Medienportal RBC zufolge waren die Moskauer Restaurants in den Tagen und Wochen vor der orthodoxen Weihnachtsfeier heillos ausgebucht. «Die Leute wollen Spass haben», zitiert RBC einen Sprecher der Moskauer Gastrovereinigung.

Es sei nicht so, dass eine Mehrheit der Russen den Krieg befürworte. «Die meisten Leute möchten, dass er beendet wird, aber kaum jemand wehrt sich dagegen, dass er weitergeht», sagt Heli Simola unter Verweis auf Umfragen, deren Ergebnisse allerdings zu relativieren seien: «Natürlich sagen kritische Russinnen und Russen nicht offen, was sie wirklich denken, denn wer sich öffentlich gegen den Krieg ausspricht, muss mit drakonischen Strafen rechnen.»

Für die finnische Ökonomin ist aber auch die gute ökonomische Lage im Land ein nicht unwesentlicher Grund für die relative Ruhe in der russischen Bevölkerung. Die Wirtschaft dürfte 2023 um die drei Prozent gewachsen sein, schätzt Simola, abermals deutlich mehr als die Bank of Finnland und viele Ökonomen noch im Herbst erwartet hatten. Während Finnland, die baltischen Länder und sogar Deutschland in einer zähen Rezession verharren, legt Russland eine erstaunliche ökonomische Performance an den Tag.

Subventionen halten die Bevölkerung bei Laune

Das habe vor allem mit dem Ausgabeverhalten der russischen Regierung zu tun, erklärt Simola das Phänomen. Russland investiere derzeit extrem viel in die eigene Waffenproduktion. Die Militärausgaben dürften 2024 mehr als 30 Prozent des russischen Budgets beanspruchen und um die sechs Prozent der gesamten russischen Wirtschaftsleistung erreichen.

Die russische Kriegsindustrie brummt

Kriegsausgaben Russland 2019
Bild: Bank of Finland, Grafik: trs/ch media

Die höheren Militärausgaben werden zwar die Sozialausgaben von ihrem traditionell ersten Platz im russischen Budget verdrängen, aber Russland ist weit davon entfernt, die Kosten des Krieges mit Einsparungen bei den Sozialausgaben zu finanzieren. Ganz im Gegenteil: Die Bevölkerung wird mit grosszügigen Subventionen, beispielsweise zur Finanzierung von Hypothekarkrediten, bei der Stange gehalten.

Derzeit werden etwa die Hälfte aller neuen Immobilienkredite vom Staat subventioniert, «das befeuert die Bauwirtschaft und ist auch Werbung für Vladimir Putin, der im März erneut zur Wahl für eine sechsjährige Amtszeit als Präsident antreten wird», erklärt Simola.

Das Geld zur Finanzierung dieser Kriegswirtschaft ist trotz der internationalen Sanktionspolitik vorhanden. Das Land hat sich nach der Rubel-Krise von 1998 auf eine strikte Sparpolitik verlegt. Die Staatsverschuldung liegt mit etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung sogar tiefer als jene in der Schweiz und die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und anderen Rohstoffen fliessen aus Abnehmerländern wie China, Indien oder der Türkei kräftig genug, um das Rad am Laufen zu halten.

Doch das grosse Leid und die immensen Schäden, die der Krieg in der Ukraine verursacht, könnte schnell einmal auch den sonderlichen Wirtschaftsboom in Russland zu einem Ende bringen. Der russische Arbeitsmarkt ist fast gänzlich leergefegt. Die Armee rekrutierte Hunderttausende von Soldaten mit finanziell lukrativ erscheinenden Verträgen, die Waffenfabriken setzen ihrerseits auf Lohnanreize, um genügend Leute für den Dreischichtbetrieb zu finden und die staatliche Subventionspolitik trägt das ihrige zum starken Lohnwachstum bei. Im Dezember sah sich die russische Notenbank gezwungen, den Leitzins auf 16 Prozent zu erhöhen, um die Inflation von 7,5 Prozent (November) einzudämmen.

Eine Kriegswirtschaft steht auf tönernen Füssen

Derweil dürften die Militärausgaben in der restlichen Welt seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober noch stärker zunehmen, als dies ohnehin schon zu erwarten ist. In den USA wird für 2024 mit direkten und indirekten Militärausgaben (inkl. Unterstützungsleistungen für die Ukraine und Israel) in Höhe von 1000 Milliarden Dollar gerechnet.

Gleichzeitig bleibt die US-Administration auf dem Gaspedal, was die zivilen wirtschaftspolitischen Projekte anbelangt. Der Inflation Reduction Act, ein grosses Infrastrukturprogramm, und der steigende Militäretat haben 2023 in Verbindungen mit einem deutlichen Rückgang der Fiskaleinnahmen zu einer spektakulären Erhöhung des US-Budgetdefizits (bereinigt um Studentenkredite) im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von 3,9 Prozent (2022) auf 7,5 Prozent (2023) geführt. Auch in Europa deutet derzeit vieles darauf hin, dass die geplanten Erhöhungen der Militärausgaben primär mit Schulden finanziert werden sollen.

Während eine Kriegswirtschaft für das längerfristige ökonomische Wohlergehen der breiten Bevölkerung wenig Gutes bedeutet, darf man sich in der privaten Rüstungsindustrie schon mal die Hände reiben. «Die kurzfristige Bestellungsflut ist gut für die Preissetzungsmacht der Unternehmen», sagt Raiffeisen-Ökonom Alexander Koch.

Aber viel werden die Militärausgaben zum allgemeinen Wirtschaftswachstum nicht beitragen. «Die Rüstungsindustrie hat in den meisten Ländern nur einen geringen Anteil an Wirtschaftsleistung und Beschäftigung. Und ein Grossteil der Bestellungen dürfte vor allem den Auftragsbestand erhöhen und erst nach und nach abgearbeitet werden», sagt Koch. (aargauerzeitung.ch)

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quelle: epa / stringer
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200 Kommentare
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Remus
10.01.2024 11:15registriert Dezember 2016
Der grosse "Schock" für die Russen kommt dann nach dem Krieg. Aber wenn man halt nur 10cm weiter denkt ist klar, dass man sich keine Sorgen macht
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Grüner Kobold
10.01.2024 11:02registriert Oktober 2018
"Selbst Expertinnen wie Simola werden immer wieder überrascht von den sonderbaren Blüten, welche die russische Ökonomie im kriegerischen Ausnahmezustand gerade treibt"

Dann sollte sich die Expertin mal gründlich mit der sowjetischen und postsowjetischen Ökonomie befassen, dann gibt es auch keine Überraschungen.
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Hierundjetzt
10.01.2024 11:30registriert Mai 2015
Es gilt weiterhin festzuhalten:

So günstig wird der Ukrainekrieg für uns alle nie mehr.

Denn fällt die Ukraine und Russland steht an der Grenze zu Polen, haben wir in der Schweiz 1-2 Mio ukrainische Flüchtlinge, was jährlich 5 - 10 Mrd kosten wird.

Dann ist dann fertig mit Luxusartikel wie Windräder, Wolf, Bauernsubventionen oder 13. AHV Rente.

Das geht dann ans eingemachte. Auch für SVP‘ler und Grüne, also diejenigen, die sich mit aller Kraft gegen die Hilfe für die Ukraine stemmen
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