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Tod von Streamer Jean Pormavone: Zwei Psychiater ordnen den Fall ein

Tod von Streamer: «Das Internet verstärkt bereits existierende perverse Bedürfnisse»

Ein Mann wird gefoltert und stirbt, und Tausende sehen sich das im Livestream an. Was bedeutet der Fall um den französischen Influencer Jean Pormavone für die Gesellschaft? Antworten der forensischen Psychiater Frank Urbaniok und Josef Sachs.
22.08.2025, 09:4722.08.2025, 12:02
Deborah Stoffel / ch media
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Für Frank Urbaniok sind die Misshandlung und der Tod des französischen Influencers Jean Pormavone in einem Livestream keine Überraschung. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich der bekannteste forensische Psychiater der Schweiz mit Menschen, welche die Grenze der Brutalität überschreiten und Dinge tun, die man sich nicht vorstellen kann und will.

jean pormanove streamer france frankreich
Raphaël Graven alias Jean Pormavone starb am 18. August.Bild: instagram/jeanpormanove

Der Fall in Frankreich bestätigt in seinen Augen vor allem eines: dass das Internet sich nicht selbst reguliert. «Dass man nur alle Schranken fallen lassen muss, der Markt sich dann selbst reguliert und dann alles gut wird, das ist naiv.» Das Internet habe durchaus positive Seiten, etwa die Demokratisierung der Information, sagt Urbaniok. Doch daneben gebe es nun mal die Schattenseiten: die Verbreitung von Fake News etwa und den Abbau von Hemmschwellen.

Skandalstreamer stirbt im Livestream

Video: watson/Amber Vetter

Urbaniok sieht im Tod von Pormavone ein Beispiel dafür, dass unvorstellbare Dinge möglich würden und sich die Grenzen verschöben, wenn die Hemmschwellen gering seien. Das sei nicht primär das Resultat einer gesetzlichen Lücke, so Urbaniok.

Der Fall Pormavone: Das ist passiert
Raphaël Graven alias Jean Pormavone, 46, starb am 18. August 2025 während eines über zehntägigen Demütigungsmarathons, der auf der Plattform Kick übertragen wurde. Der Livestream zeigte Gewalt, Schlafentzug und Misshandlung. Für den Influencer war es nicht das erste Mal, dass er so in Erscheinung trat. Kurz vor seinem Tod soll er seiner Mutter geschrieben haben, die Misshandlungen gingen ihm zu weit. Die französischen Behörden haben eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.

Nicht der fehlende gesetzliche Rahmen, sondern die fehlende Durchsetzung der bestehenden Gesetze und Regeln sei das Problem, sagt der Psychiater. Und natürlich auch, dass die sozialen Medien, wie die Plattform Kick, auf der die tödlichen Misshandlungen gezeigt wurden, in ihrer gnadenlosen Jagd nach Aufmerksamkeit und Klicks solche gewalttätigen Streams überhaupt zuliessen und die Kontrolle dabei der Community überlassen würden.

Katalysator der Perversion

«Das Internet verstärkt bereits existierende perverse Bedürfnisse und ermöglicht die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten und die internationale Vernetzung von Menschen mit solchen Neigungen», kommentiert der forensische Psychiater Josef Sachs den Fall um Pormavone.

Weil die Plattformen international zugänglich seien, sei die Kontrolle schwierig, ausser man würde die sozialen Medien gänzlich sperren, wie es China vormache. «Will man das nicht, muss man sich international auf ethische Standards einigen und diese auch durchsetzen.» Das ist bisher nicht der Fall.

Im Fall von Pormavone hatte sich tatsächlich bereits Ende letzten Jahres die Justiz eingeschaltet und den Influencer und zwei seiner Kollaborateure nach in Live-Streams zur Schau gestellten Misshandlungen befragt. Die Männer hatten damals alles als ein Spiel bezeichnet, das im gegenseitigen Einverständnis stattfinde.

Es müsse mehr Druck auf die Betreiber der Plattformen ausgeübt werden, sagt Urbaniok. Diese Meinung vertritt auch Josef Sachs. «Fälle wie der von Pormavone sind selten, sie betreffen wenige Menschen, und normalerweise fallen sie immer durch das Raster der Gesetze.» Auch Prävention und Medienerziehung könnten nicht verhindern, dass irgendwann wieder so etwas Schreckliches passiere.

Weniger Hemmungen, auch auf der Strasse

Urbaniok sieht auch die Gesellschaft in der Pflicht. «Wir müssen solche Gewaltausartungen thematisieren, damit sie nicht als neue Normalität anerkannt werden.» Es sei wichtig, diese Fälle und die Beteiligten sozial zu ächten und nicht zu legitimieren. «Es wird immer solche Menschen geben, aber wir sollten es ihnen nicht leicht machen. Wir sollten nicht sagen: Ach, das geht uns nichts an, und die sollen doch machen, was sie wollen. Deshalb glaube ich, die Diskussionen, wie sie jetzt geführt werden, sind wichtig.»

Nicht nur in den sozialen Medien hat die Gewalt an Intensität zugelegt. Urbaniok beobachtet seit mehr als 10 Jahren auch brutalere Gewalt auf der Strasse. Sei es, dass Menschen mit Messern verletzt werden oder ihnen gegen den Kopf getreten wird. Hat das auch mit der Gewalt zu tun, die man live im Internet ansehen kann? Oder einer Gesellschaft, die sich der Möglichkeiten entledigt, Empathie zu lernen?

Die Darstellung brutaler Gewalt im Internet verstärke die Gewaltbereitschaft von Menschen, die Gewalt schon vorher verherrlicht hätten, sagt Sachs. «Diese sind meistens schon seit früher Jugend nicht empathiefähig.» Es seien oft die gleichen Personen, die auch im öffentlichen Raum gewalttätig werden könnten. «Die meisten Menschen können aber durchaus zwischen realer und virtueller Gewalt unterscheiden.»

Urbaniok sieht für die Zunahme der Brutalität verschiedene Ursachen. Die gesellschaftliche Stimmung insgesamt sei polarisierter, enthemmter und im Ton und Verhalten aggressiver geworden. «Sich auch mal zurücknehmen, Respekt und Zusammenhalt sind in vielen Bereichen auf dem Rückzug. Das ist eine schlechte Entwicklung.» (aargauerzeitung.ch)

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