Am Dienstag veröffentlichte die Universität von Tel Aviv ein Video auf ihrem YouTube-Kanal, in dem der Zoologe Omri Bronstein eine Geschichte erzählt, «die im Mittelmeer beginnt». Das Video ist mit dramatischer Musik unterlegt – und dramatisch ist die Geschichte von Bronstein tatsächlich.
Er erzählt davon, wie sich ausgehend vom Mittelmeer gerade eine tödliche Epidemie unter den Diadem-Seeigeln ausbreitet, welche insbesondere die Korallenriffe des Roten Meeres bedroht. Eindringlich sagt der Zoologe am Schluss des Videos:
Der gemeine Diadem-Seeigel (Diadema setosum) gelte in seinem ganzen Verbreitungsgebiet als Schlüsselart an Korallenriffen, heisst es in einer wissenschaftlichen Publikation, die Bronstein und sein Team am Mittwoch veröffentlichten.
Zu den Diadema setosum gehören zwei genetisch eng verwandte Unterarten. Eine ist vorwiegend im Westpazifik und an der Ostküste Afrikas zu finden, die andere beschränkte sich bis vor kurzem auf das Rote Meer und den Persischen Golf. 2006 wurden Individuen der zweiten Gruppe erstmals im Mittelmeer beobachtet. Seit 2018 haben sie sich exponentiell vermehrt, weswegen sie mittlerweile im gesamten Levantinischen Becken anzutreffen sind. Man findet sie an den Küsten Griechenlands, Libanons, Israels und Ägyptens sowie Libyens.
Doch nun breite sich seit Juli 2022 eine Krankheit unter der Population im Mittelmeer und im nördlichen Golf von Akaba aus, die die befallenen Tiere innerhalb von 48 Stunden töte, schreiben die Forschenden. In der Publikation ist sogar von einem «Massensterben» die Rede.
Die Seuche radiere lokal ganze Bestände aus. Zum ersten Mal wurde dieses Phänomen letzten Sommer dokumentiert: Am 22. Juli 2022 sind in der Anthony-Quinn-Bucht bei Rhodos die ersten Todesfälle von scheinbar gesunden Diadem-Seeigeln gemeldet worden, am 1. August war die Population in der Bucht bereits komplett ausgestorben. Mittlerweile gibt es drei Orte, an denen die Epidemie die lokalen Bestände vollständig ausradiert hat, und mehrere Küstengebiete, denen das gleiche Schicksal droht. Gemeldete Fälle von augenscheinlich gesunden, aber dennoch toten Seeigeln gibt es bis hin zur Küste der Südtürkei – somit erstrecken sich die Krankheitsfälle bereits auf über 1000 Kilometer Küstenlinie.
Auch im Golf von Akaba hat sich die Krankheit bereits ausgebreitet. Dort gebe es laut des Zoologen im nördlichen Teil bei der israelischen Küstenstadt Eilat nur noch Skelette von Diadem-Seeigeln und keine lebenden Individuen mehr. Besonders beunruhigend: Sogar die Seeigel, die zu Forschungszwecken in Aquarien in Eilat gehalten wurden, erkrankten und starben.
Derzeit sei der Grund der gehäuften Todesfälle unter Diadem-Seeigeln im Mittelmeer und im Golf von Akaba noch nicht eindeutig identifiziert, heisst es im Bericht der Forschenden.
Als Treiber der Epidemie könnten lokale Umweltverschmutzungen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Die Forschenden begründen diese These damit, dass die Todesfälle auch im tiefen Wasser vorkämen. Dort hätten lokale Umweltverschmutzungen normalerweise nicht so gravierende Folgen wie in seichtem Gewässer.
Dafür offenbarten Beobachtungen im Labor sowie Filmmaterial toter und sterbender Individuen aus allen betroffenen Gebieten eine einzigartige Pathologie: Als erstes beobachtbares Symptom verlieren die sterbenden Seeigel ihre Füsse, mit denen sie sich am Boden festsaugen. Kurz darauf beginnt der Gewebeverlust und die Stacheln fallen aus, sodass kahle Bereiche deutlich sichtbar werden. Schliesslich stirbt der Seeigel. Von den ersten Symptomen bis zum Tod dauert es etwa zwei Tage. «Es ist ein schneller und gewaltsamer Tod», so Bronstein zu Eurek Alert.
Die Forschenden gehen darum davon aus, dass die anhaltende Todeswelle im Mittelmeer und im Golf von Akaba durch Krankheitserreger verursacht werde. Bronstein sagt:
Die Forschenden vermuten, dass es sich beim mutmasslichen Erreger um einen Parasiten handeln könnte. Denn ein solcher hat bereits in den 1980er-Jahren die gesamte Seeigelpopulation in der Karibik ausgerottet.
Mit dieser These könnte auch erklärt werden, warum Tiere in der Forschungsanstalt in Eilat starben, so Bronstein gegenüber Eurek Alert. Die Erreger hätten nämlich über die Pumpsysteme in die Aquarien kommen können. Dies untermauere die Vermutung, dass der Krankheitserreger nicht nur durch Kontakt zwischen den Tieren, sondern auch durch Wasser übertragen werde.
Zudem gibt es noch weitere Wege, wie Krankheitserreger innerhalb mariner Ökosysteme rapide verschleppt werden können. Zum einen tragen Aas-fressende Fische die Skelette der toten Seeigel mit sich und verteilten sie so. Zum anderen treiben kranke oder tote Seeigel auch mit den Strömungen von Ort zu Ort. Zuletzt gibt es noch eine dritte Möglichkeit: das Verschleppen von Krankheitserregern über den Schiffsverkehr.
Über alle diese Wege könnten Krankheitserreger relativ schnell von der Levante über den Suezkanal oder via den Golf von Akaba ins restliche Rote Meer getragen werden – und die dort einheimischen und vorherrschenden Diadem-Seeigel ausrotten. Dies könnte «katastrophale Folgen» für die Korallenwelt im Roten Meer haben, warnen die Forschenden.
Seeigel sind die marinen Gärtner: Sie weiden ständig auf Gestein und Korallen Algen ab. So schaffen sie zum einen Raum für die Ansiedlung von Fisch-Larven und halten zum anderen das Algenwachstum in Schranken. Auf diese Weise verhindern sie, dass langsamer wachsende Organismen – wie Korallen – von Algen verdrängt werden. Die langsam wachsenden Korallen konkurrieren nämlich mit den schnell wuchernden Algen um Sonnenlicht.
Als die Seeigel in der Karibik in den 1980ern verschwanden, trug das Korallenriff irreversible Schäden davon. Eines der verheerendsten Ereignisse in der Geschichte der Meeresökologie. Eine Gruppe von Forschern der Cornell University identifizierte die Todesursache der Seeigel in der Karibik: ein pathogenes Wimperntierchen. Bronstein vermutet, dass es sich auch beim Krankheitserreger im Mittelmeer und im Golf von Akaba um ein pathogenes Wimperntierchen handeln könnte.
Vergangenes Jahr brach die Krankheit in der Karibik erneut aus und tötete die überlebenden Seeigelpopulationen. Die Korallen dort gelten deswegen noch immer als bedroht, erklärt Bronstein. Und eine solche Katastrophe gilt es für das Rote Meer – eines der artenreichsten marinen Ökosysteme – zu verhindern.
Es gibt noch Hoffnung, aber nur, wenn sofort gehandelt werde, betonen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Tel Aviv.
Wenn nichts getan wird, werde «in nur kurzer Zeit die gesamte Population dieser Seeigel sowohl im Mittelmeer als auch im Roten Meer ausgestorben sein. Das Rote Meer wird krank werden und sterben», prophezeit Bronstein.
Er fordert darum eine sofortige Zusammenarbeit der betroffenen Länder und Gebiete, damit der Krankheitserreger möglichst rasch identifiziert und anschliessend in Echtzeit überwacht werden kann.
Als erste und dringendste Massnahme müsse eine Brutpopulation für die Diadem-Seeigel aufgebaut werden, damit man sie zukünftig bei Bedarf wieder in die Natur zurückbringen könne.
Na dann, schade um die spannenden Lebewesen. Sofort wird nun mal in diesem Bereich erfahrungsgemäss nichts umgesetzt..wenn überhaupt was gemacht wird..