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Ukraine-Krieg: Putins Kampfpanzer T-72 hat eine Schwachstelle

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Russische T-72 B3M am 9. Mai 2021 in Moskau bei der Militärparade zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland. Bild: Keystone

Putins Kampfpanzer T-72: Er hat eine Schwachstelle – und die Ukraine kennt sie

Der T-72 ist der meistbenutzte Kampfpanzer der Welt. Im Ukraine-Krieg wird er zum Symbol für Putins entzauberte Armee. Das Gerät hat eine Schwachstelle. Und die Ukrainer kennen sie genau.
15.04.2022, 18:07
Christoph Coeln / t-online
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Ein Artikel von
t-online

«Aber sicher», sagte Wladimir Putin im Frühjahr 2020 auf die Frage, ob die russische Armee stark sei und ihre Panzer schnell. «Ich beneide niemanden, der gegen sie kämpfen muss.» Dabei setzte Russlands Präsident ein maliziöses Lächeln auf. «Oh, gegen wen werden wir denn kämpfen?», fragte Andreij Vandenko, Journalist der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS. «Gegen niemanden», versicherte Putin.

Es kam bekanntlich anders. Sowohl was den Krieg betrifft als auch die Unverwundbarkeit der russischen Armee und ihrer Panzer. Laut des Dokumentationsprojekts Oryx haben die russischen Streitkräfte im Ukraine-Krieg bereits 2885 Militärfahrzeuge verloren (Stand: 14. April). Davon allein 505 Panzer. Darunter sind Schützenpanzer, Aufklärungspanzer, gepanzerte Truppentransporter und auch eines der vermeintlichen Prunkstücke des russischen Heeres: der Kampfpanzer T-72.

Russian tank T-72 open fire during a competition 'Safe route' as a part of Army Games 2017 outside the town of Tyumen, Russia, 06 August 2017. The International Army Games 2017 are held from ...
Der T-72 ist ein Exportschlager in aller Welt. Bild: Keystone

Der T-72 ist eine ebenso tödliche wie ikonische Waffe der russischen Streitkräfte. Ein Exportschlager in aller Welt. Doch nun sind im Laufe der vergangenen Wochen schon 314 T-72 von der ukrainischen Armee gestoppt worden. Entweder wurden sie zerstört, oder die Panzer fielen ihr in die Hände, weil die russische Besatzung ihr Fahrzeug aufgegeben hatte.

«Russische Panzer sind enorm verwundbar»

Oft war für das Aufgeben aber keine Gelegenheit mehr. Es kursieren Bilder, auf denen zu sehen ist, wie der noch in der Sowjetunion entwickelte T-72 nach einem Beschuss mit Panzerabwehrwaffen förmlich explodiert ist. Nicht selten hat es dabei den kompletten Gefechtsturm von der Fahrzeugwanne gerissen.

«Dass die russischen Kampfpanzer enorm verwundbar sind, das war im Grunde vorher schon bekannt», sagt Gustav Gressel, Militärexperte von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, «aber das führen die Bilder aus diesem Krieg sehr eindrucksvoll vor Augen.»

Gustav Gressel
ist als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik European Council On Foreign Relations (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmässig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Das ist erstaunlich, schliesslich wird der T-72 von der russischen Militäradministration seit vielen Jahrzehnten weiterentwickelt und verbessert. Der Panzer ist mit einer mehr als zehn Zentimeter dicken Verbundpanzerung verkleidet. Neuere Modelle besitzen zusätzlich sogar eine Reaktivpanzerung, mit der sich gegnerische Projektile eigentlich effektiv neutralisieren lassen. Dennoch, so Gressel, seien die russischen Soldaten ständig in der Gefahr, in ihrem Panzer umzukommen. «Teilweise verbrennen die Soldaten oder die gesamte Besatzung explodiert mit ihren Fahrzeugen.»

Fatale Folgen für die Besatzung des T-72

Der Grund dafür liegt in der besonderen Konstruktion des T-72. Es handelt sich bei dem Modell um einen Panzer mit Selbstlademechanismus. Das spart Platz, denn statt der üblichen vier Mann Besatzung (wie etwa im amerikanischen M1 Abrams), braucht der russische T-72 nur eine Crew aus drei Soldaten – bestehend aus Fahrer, Richtschütze und Kommandant. Ein Ladeschütze, der die 125 mm-Glattrohrkanone mit Munition bestückt, ist damit nicht nötig.

Der Vorteil der kleineren Besatzung liegt auf der Hand: Das russische Modell ist deutlich kompakter und leichter gebaut als viele Kampfpanzer, die im Dienst westlicher Armeen stehen. Es ist schnell, wendig und verfügt über eine hohe Feuerkraft.

A tank damaged during fighting is seen at the foundation pit for a house under construction in an area that Russian-backed separatists claim to control in the Ukraine city of Mariupol, Wednesday, Apri ...
Beschädigter T-72 in einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Teil von Mariupol. Bild: keystone

Seine Schwachstelle ist der Selbstlademechanismus. Zwar gilt das Hauptgeschütz als ausgesprochen zuverlässig. Doch wird die Hälfte der insgesamt 44 Schuss umfassenden Munition in einem sogenannten Ladekarussell im Boden des Kampfraumes gelagert, in dem sich eben auch die Besatzung befindet. Es kommt vor, dass sich die Munition – sie besteht aus Geschoss und Kartusche mit einer Teilabbrandladung – beim Abfeuern entzündet und ein Feuer im Kampfraum des Panzers auslöst. Mit fatalen Folgen für die Besatzung.

Gressel: «Eine Vorführung russischer Militärtechnik»

Ukrainische Schützen wissen in der Regel, wo die Munition im T-72 lagert und zielen darauf. Trifft ein Geschoss die entsprechende Stelle und durchschlägt die Panzerung, explodiert die gesamte Munition im Inneren des Fahrzeugs. Nicht selten wird dabei der gesamte Gefechtsturm des Panzers von der Wanne gerissen und in die Höhe geschleudert (auch bekannt als «Jack-in-the-Box-Effekt»). Wer drinnen sitzt, hat kaum eine Überlebenschance. 

Trotz dieser Schwachstelle ist der T-72 der am meisten verwendete Kampfpanzer der Welt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat die westlichen Länder erst kürzlich wieder um die Lieferung schwerer Waffen, darunter auch T-72. Oder ähnliche Panzer aus westlicher Produktion, wie Selenskyj betonte.

Wladimir Putins Militär erweckt in der Ukraine bislang nicht den Eindruck technologischer Überlegenheit. «Dieser Krieg ist keine Werbung für die russische Armee», sagt Gustav Gressel. «Da war Syrien ein viel besseres Versuchsfeld, weil der Gegner dort schwächer war und man leichter die Überlegenheit der eigenen Waffensysteme demonstrieren konnte. Der Ukraine-Krieg ist eine Vorführung der russischen Militärtechnik.»

Und das gilt nicht nur für die Panzer. Die Bilder von im tiefen ukrainischen Boden festgefahrenen Truppentransportern und Versorgungsfahrzeugen mit zerbröselten Reifen gingen um die Welt. Nach wie vor fehlen Belege dafür, dass die von Präsident Putin hochgelobten Hyperschallwaffen wirklich funktionieren. So feiert die russische Propaganda zwar hartnäckig deren erfolgreichen Einsatz, wie effektiv sie wirklich sind, zeigen die bisher bekannten Satellitenbilder aber nicht.

Gehen Olaf Scholz bald die Argumente aus?

Und nun musste der Kreml auch noch den Untergang der «Moskwa» einräumen, dem Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte . «Insofern hat hier schon eine Entzauberung stattgefunden», sagt Militärexperte Gressel.

Und noch etwas stellt der Kenner der russischen Streitkräfte fest. Etwas, das in Deutschland Beachtung finden dürfte. So habe der Ukraine-Krieg eindrucksvoll gezeigt, dass die ukrainischen Verteidiger nicht nur sehr gut ausgebildet sind und strategisch klug vorgehen, sie könnten auch mit westlichen Waffensystemen umgehen.

Genau diese adaptiven Fähigkeiten werden derzeit von deutschen Politikern, auch von Bundeskanzler Olaf Scholz, immer wieder infrage gestellt, wenn es um die Frage nach der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geht. «Alle Argumente, dass die ukrainische Armee nur alte Systeme bedienen könne und mit den neuen Systemen nicht umgehen könne, die ziehen jetzt nicht mehr», sagt Gressel.  

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138 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Leverage
15.04.2022 19:10registriert Dezember 2017
Ich kenne mich mit Panzern nicht sonderlich aus, aber mir zeigt der Bericht einmal mehr, dass im russischen Gedankengut Menschenleben einfach keinen Wert haben.
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Eidg. dipl. Kommentarspalter
15.04.2022 18:40registriert Dezember 2015
Wir haben doch noch so viele eingemottete Leopard II-Panzer. Es soll da einen Recycling-Spezialisten in der Ukraine geben, der diese rostenden Metallbüchsen zu Demokratiemaschinen umbaut. Wir könnten sie ja der Ukraine für ein, zwei Jahre ausleihen. Ist auch besser für die Motoren, Standschäden können so minimiert werden.

Frau Amherd, übernehmen Sie!
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wipix
15.04.2022 19:21registriert Oktober 2015
Panzer sind für die Besatzung immer ein Sarg im Kampf. Darum kommt ein Panzer niemals ohne Soldaten / Grenadiere dahergedonnert! Die grösste Schwachstelle ist daher, wenn die feindlichen Soldaten mit entsprechender Ausrüstung in die Nähe komme. 600 m ist eine kleine Distanz um einen Panzer anzugreiffen.
Hier haben die Ukrainer sich auf heimischer Erde gut verteidigt.
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