Seit dem 24. Februar 2022 tobt in der Ukraine der blutigste Krieg in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die russische Invasion des Nachbarlandes, vom Kreml als kurze militärische Spezialoperation geplant, entwickelte sich zu einem mörderischen Abnutzungskrieg, in dem Hunderttausende Soldaten und mindestens 10'000 Zivilisten getötet wurden.
Wir blicken zurück auf die wichtigsten Geschehnisse dieser zwei Jahre.
Am frühen Morgen beginnt der Krieg mit russischen Luft- und Raketenangriffen auf ukrainische Ziele; russische Truppen marschieren von mehreren Seiten ins Nachbarland ein, Luftlandetruppen greifen den Flughafen Kiew an. In einer TV-Ansprache spricht der russische Präsident Wladimir Putin von einer «besonderen Militäroperation»; die Ukraine soll «entnazifiziert» und die russischsprachige Bevölkerung geschützt werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängt das Kriegsrecht, drei Tage später ordnet er die vollständige Mobilisierung des Militärs an.
Gleich am ersten Kriegstag erobern russische Truppen die strategisch wichtige Schlangeninsel vor der ukrainischen Schwarzmeerküste, von der aus der gesamte Schiffsverkehr im Umfeld der grössten ukrainischen Hafenstadt Odessa kontrolliert werden kann. Im Juli gelingt es der Ukraine, die Insel zurückzuerobern. Die Russen lassen grosse Bestände an Ausrüstung zurück.
Russische Truppen nehmen die Stadt Cherson im Süden der Ukraine ein. Die Industriestadt nahe der Dnipro-Mündung ist strategisch wichtig, vor allem wegen ihrer Nähe zur russisch besetzten Halbinsel Krim.
Der Kampf um Mariupol beginnt kurz nach der Invasion der russischen Armee. Die Stadt am Asowschen Meer wird von russischen Truppen eingeschlossen und unablässig bombardiert. Am 9. März zerstört ein russischer Luftangriff eine Entbindungsklinik; die Bilder einer verletzten schwangeren Frau, die auf einer Bahre abtransportiert wird, gehen als Sinnbild der rücksichtslosen russischen Kriegsführung um die Welt.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind mehr als drei Millionen Einwohner aus dem Land geflohen. Die Zahl steigt in den folgenden Wochen weiter stark an; Ende März sind es bereits vier Millionen. Dazu kommen mehr als sechs Millionen Binnenflüchtlinge. Im Februar 2024 beläuft sich die Zahl der aus dem Land Geflohenen auf knapp 6,5 Millionen, jene der Binnenflüchtlinge auf 3,7 Millionen.
Die russischen Truppen, die seit Beginn des Einmarschs vergeblich versucht haben, Kiew und Charkiw einzunehmen, werden von der ukrainischen Armee zurückgedrängt. Der «Blitzkrieg» ist damit gescheitert. Die Russen ziehen sich nach schweren Verlusten aus der Umgebung der beiden Grossstädte zurück und geben grosse Teile des eroberten Gebiets auf. Der Kreml verkündet darauf einen Strategiewechsel: Die Armee soll sich auf den Donbass in der Ostukraine konzentrieren.
Nach dem Rückzug der russischen Truppen bietet sich den Befreiern im Kiewer Vorort Butscha ein grausiges Bild: Zahlreiche Leichen von Zivilisten, auch Kindern, liegen auf den Strassen. Manche sind gefesselt, andere wurden offenbar im Vorbeifahren erschossen. Bis August finden Ermittler mehr als 400 massakrierte, zum Teil gefolterte Zivilpersonen. Russische Behauptungen, die Menschen seien von ukrainischen Truppen getötet worden, können durch während der russischen Besetzung gemachte Satellitenaufnahmen entkräftet werden.
Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte, der Lenkwaffenkreuzer «Moskwa», sinkt südlich von Odessa, nachdem es tags zuvor von zwei ukrainischen Seezielflugkörpern getroffen worden und in Brand geraten ist. Das russische Verteidigungsministerium behauptet, an Bord der «Moskwa» sei ein Feuer ausgebrochen, das die Munition entzündet habe. Die Besatzung sei gerettet worden.
Mit der Kapitulation der letzten knapp 2000 Verteidiger des Asowstal-Werkes in Mariupol erlischt der letzte Widerstand in der ukrainischen Hafenstadt. Mariupol ist eine Trümmerwüste, kaum ein Gebäude ist noch intakt.
Russische Truppen nehmen die Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk ein. Damit steht die Region Luhansk im Donbass vollständig unter russischer Kontrolle. Die Besatzer geben in den eroberten Gebieten russische Pässe aus und führen den Rubel als Zahlungsmittel ein.
Das grösste Atomkraftwerk Europas, das vor dem Krieg fast ein Viertel des ukrainischen Strombedarfs deckte, ist seit Anfang März von russischen Truppen besetzt. Es ist das erste Mal, dass ein AKW beschossen wird. Immer wieder kommt es zu Kriegshandlungen in der Nähe der Reaktorblöcke, was die Angst vor einer Atomkatastrophe weckt. Anfang August zerstören Raketen eine Hochspannungsleitung, ein Reaktor muss notabgeschaltet werden. Im September werden die letzten Reaktorblöcke vom Netz genommen, was die Gefahr einer Kernschmelze verringert.
Die Ukraine zieht im Süden vor Cherson Truppen zusammen, worauf die Russen ihre ohnehin geschwächten Verbände im Norden und im Donbass weiter ausdünnen, um Verstärkungen nach Cherson zu verlegen. Doch die wirkliche ukrainische Gegenoffensive stösst bei Charkiw im Norden vor und durchbricht die russischen Linien auf breiter Front. Bis die Offensive Anfang Oktober zum Stehen kommt, können die ukrainischen Truppen die Russen aus der Umgebung von Charkiw vertreiben und grosse Geländegewinne in den Oblasten Donezk und Luhansk erzielen.
Um den drohenden Verlust der eroberten ukrainischen Gebiete abzuwenden, ordnet Putin mit sofortiger Wirkung eine «Teilmobilmachung» an. 300'000 Reservisten sollen eingezogen werden.
Putin unterzeichnet die Gesetze zur Eingliederung der vier ukrainischen Oblaste Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja in die Russische Föderation, nachdem die Duma die Verträge ratifiziert hat. Die Angliederung erfolgt nach Scheinreferenden im russisch besetzten Teil der Gebiete. Völkerrechtlich gilt die Annexion als nichtig; sie wird von der UNO nicht anerkannt und als illegal betrachtet.
Bei einer Explosion stürzen zwei Teilstücke der 19 Kilometer langen Krim-Brücke bei Kertsch ein, die Russland und die Krim verbindet. Während Moskau die Ukraine beschuldigt, einen Terroranschlag ausgeführt zu haben, nimmt Kiew nicht offiziell Stellung dazu.
Das vermeintliche Ablenkungsmanöver der ukrainischen Armee im Süden entpuppt sich als tatsächliche Offensive: Die ukrainischen Truppen stossen bis zum Dnipro vor. Die russischen Truppen ziehen sich schliesslich unter dem Druck des ukrainischen Vormarsches zurück und geben Cherson am 9. November auf. Damit schwinden die Möglichkeiten für Russland, die Ukraine vom Schwarzen Meer abzutrennen.
Wie bereits im Oktober greift Russland die Energieinfrastruktur der Ukraine mit Raketen an, wobei besonders die Hauptstadt Kiew getroffen wird. Dort, aber auch in anderen Regionen, kommt es zu langen Stromausfällen. Die ukrainische Regierung wirft Russland «Terror» vor – das Ziel sei, die Ukraine in Dunkelheit und Kälte zu stürzen.
Der russische Präsident Putin nimmt eine wichtige Rochade in der Armeeführung vor: Verteidigungsminister Sergei Schoigu entzieht General Sergei Surowikin den Oberbefehl über die Invasionsarmee in der Ukraine, den dieser seit Oktober 2022 innehatte. Der wegen seiner Rücksichtslosigkeit als «General Armageddon» bekannte Offizier wird durch Generalstabschef Waleri Gerassimow ersetzt. Im August entlässt Putin Surowikin auch als Kommandant der Luft- und Weltraumkräfte.
Der Einschlag einer russischen Raduga Ch-22-Rakete in einen Wohnblock in der ostukrainischen Grossstadt Dnipro fordert 45 Todesopfer, darunter sechs Kinder. Es ist der tödlichste Angriff auf Zivilisten in der Ukraine seit Monaten.
Die Schlacht um die seit einem halben Jahr heftig umkämpfte Stadt Bachmut in der Oblast Donezk entwickelt sich immer mehr zu einem wahren Massaker. In der verlustreichsten Schlacht in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sterben Zehntausende Soldaten. Im Februar geraten die ukrainischen Verteidiger zunehmend unter Druck. Den russischen Truppen – mehrheitlich unerfahrene Sträflinge der Söldnertruppe Wagner – gelingt es schliesslich, die völlig zerstörte Stadt bis Ende Mai einzunehmen.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag erlässt einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ihm wird vorgeworfen, für das Kriegsverbrechen der Deportation ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich zu sein. Damit wird zum ersten Mal der Staatschef eines ständigen Mitgliedslandes des UNO-Sicherheitsrats auf diese Weise gesucht. Auch gegen die russische Präsidialkommissarin für Kinderrechte, Marija Lwowa-Belowa, wird ein Haftbefehl erlassen.
Die NATO nimmt Finnland offiziell als 31. Mitgliedstaat auf. Damit verdoppelt sich die Landgrenze der NATO zu Russland und die Nordflanke des Bündnisses wird deutlich gestärkt. Finnland hat seinen Beitrittsantrag gemeinsam mit Schweden im Mai 2022 eingereicht, kurz nach Kriegsbeginn. Die Aufnahme Schwedens wird jedoch zunächst von der Türkei und Ungarn blockiert.
Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldnergruppe Wagner, die die Hauptlast der Kämpfe um Bachmut trägt, verschärft den schon länger schwelenden Konflikt mit der russischen Militärspitze, namentlich mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu. In einer Botschaft an die Armeeführung und Präsident Putin droht Prigoschin: «Ich ziehe die Wagner-Einheiten aus Bachmut ab, denn ohne Munition sind sie dem sinnlosen Tod geweiht.»
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko bestätigt, dass die Verlegung taktischer Atomwaffen von Russland nach Belarus begonnen hat. Dies hatte der russische Präsident Wladimir Putin Ende März angekündigt. Die ehemalige Sowjetrepublik Belarus, die mit Russland verbündet ist, grenzt an die NATO-Staaten Polen, Litauen und Lettland.
Der wichtige Kachowka-Staudamm am Dnipro wird gesprengt. Die Wassermassen überfluten die von Russland besetzte Stadt Nowa Kachowka unmittelbar beim Damm und die Gebiete der Oblast Cherson weiter flussabwärts, darunter auch Teile der Stadt Cherson selbst. Viele Experten glauben, russische Truppen seien für die Sprengung verantwortlich; Moskau dementiert dies.
Der Anführer der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ein erklärter Gegner der Militärführung um Verteidigungsminister Sergei Schoigu, erteilt seinen Truppen den Befehl, militärische Objekte in der südrussischen Stadt Rostow am Don zu besetzen. Während Teile der Söldnergruppe auf Moskau vorrücken, erklärt Präsident Putin in einer Fernsehansprache, die «bewaffnete Meuterei» sei Hochverrat und ein «Dolchstoss in den Rücken». Wer an der Meuterei teilgenommen habe, werde bestraft. Auf Vermittlung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko bricht Prigoschin den Marsch auf Moskau ab und erhält dafür Straffreiheit für sich und seine Söldner.
Am 23. August stürzt ein Geschäftsflugzeug der Söldnergruppe Wagner auf dem Flug von Moskau nach St.Petersburg ab, alle zehn Insassen kommen dabei ums Leben. Unter ihnen befinden sich Jewgeni Prigoschin, der Anführer der Gruppe Wagner, und sein Vertrauter Dmitri Utkin. Ursache des Absturzes dürfte eine Explosion an Bord gewesen sein, die vermutlich durch eine Bombe ausgelöst wurde. Laut westlichen Geheimdiensten hat der russische Sicherheitsrat das Attentat angeordnet.
In der bisher grössten Drohnenattacke auf russisches Gebiet trifft die Ukraine den 660 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernten Flughafen Pskow. Vier Transportmaschinen werden zerstört, ein Tanklager geht in Flammen auf. Auch in den Regionen Brjansk, Rjasan, Kaluga, Orjol und der Region um Moskau fliegen die Ukrainer Drohnenangriffe.
Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Invasion spricht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich vor der Generalversammlung der UNO. In seiner Rede fordert er die UNO-Mitgliedstaaten auf, sich gemeinsam gegen die russische Aggression zu stellen. «Es geht nicht nur um die Ukraine», erklärt er. «Wenn Hass als Waffe gegen eine Nation eingesetzt wird, dann hört es nie damit auf.»
Schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs spielen Drohnen eine wichtige Rolle. Im Herbst 2023 zeigt der Verlauf der ukrainischen Sommeroffensive deutlich, dass die Drohnen die moderne Kriegsführung stark beeinflussen. Zum einen werden sie als Angriffswaffe eingesetzt, etwa als kleine Kamikazedrohnen, die eine Sprengladung ins Ziel fliegen. Zum anderen führt die Echtzeit-Überwachung durch allgegenwärtige Drohnen zu einem «transparenten Schlachtfeld». Dadurch ist es nahezu unmöglich, Ansammlungen von Truppen und gepanzerten Fahrzeugen vor dem Feind zu verbergen. Sobald solche Ansammlungen entdeckt werden, werden sie sofort massiv beschossen.
Die Sommeroffensive der ukrainischen Truppen endet ohne bedeutende Erfolge, die Armee stellt auf Defensive um. Armeechef Walerij Saluschnyj erklärt, der Kampf werde jetzt zu einem «Stellungskrieg», der an den Ersten Weltkrieg erinnere. Den Ukrainern ist es zwar gelungen, im südlichen Abschnitt der Front bei Robotyne die erste russische Verteidigungslinie zu durchbrechen, doch die Russen haben diesen Bereich mit Schützengräben, Panzersperren und Minen besonders schwer befestigt.
Der ukrainische Präsident Selenskyj setzt Armeechef Walerij Saluschnyj ab. Die Entlassung kommt nicht überraschend, weil das Verhältnis zwischen den beiden unter anderem wegen der gescheiterten Gegenoffensive als angespannt gilt. Saluschnyjs Nachfolger wird der bisherige Kommandant der Landstreitkräfte, Oleksandr Syrskyj. Dieser war als General etwa für die Verteidigung Kiews und später Bachmuts zuständig.
Die Kleinstadt Awdijiwka in der Oblast Donezk ist bereits im März weitgehend zerstört worden. Im Oktober greifen die russischen Truppen die Stadt erneut an. Die ukrainischen Verteidiger sind bei Soldaten und Material dramatisch unterlegen; zu schaffen macht ihnen vornehmlich die russische Luftüberlegenheit. Nach extrem verlustreichen Kämpfen fällt Awdijiwka am 17. Februar – es ist die schlimmste ukrainische Niederlage seit dem Fall Bachmuts im Mai. Anders als Bachmut ist der Eisenbahnknotenpunkt Awdijiwka jedoch strategisch wichtig.
Nach der gescheiterten ukrainischen Sommeroffensive haben die russischen Truppen an allen Abschnitten der Front wieder die Überlegenheit bei Waffen und Munition. Sie rücken an mehreren Stellen langsam vor, allerdings unter erheblichen Verlusten an Menschen und Material. Die ukrainische Armee verfügt zwar über westliche Waffensysteme von hoher Qualität, doch sie leidet zunehmend unter Munitionsmangel. Zudem gelingt es ihr nicht, ausreichend Soldaten zu rekrutieren, sodass die Einheiten an der Front zu wenig Pausen erhalten. Die Unterstützung aus dem Westen scheint zu bröckeln, wozu auch beiträgt, dass im Nahen Osten seit Oktober ein weiterer Krieg tobt. Die Ukraine gerät deshalb im Abnutzungskrieg stets mehr unter Druck.
Aber hier meinen einige, man müsse verhandeln mit diesem Mistvogel ..