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Wie Putins Waffendealer aus dem Hausarrest nach Russland floh

Spross einer mächtigen Familie: Das Hamburger Unternehmen von Artem Uss soll für Russland brisante Ware geschmuggelt haben.
Spross einer mächtigen Familie: Das Hamburger Unternehmen von Artem Uss soll für Russland brisante Ware geschmuggelt haben.Bild: shutterstock/U.S. Department of the State

Wie Putins Waffendealer spektakulär aus dem Hausarrest nach Russland floh

Von Hamburg aus sollen Russen Waffen- und Ölschmuggel abgewickelt haben. Artem Uss, der Sohn eines Gouverneurs floh, auch sein Partner ist wieder frei.
18.12.2023, 22:23
Jonas Mueller-Töwe / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Die US-Ermittler hatten alles, was es aus ihrer Sicht brauchte, um eine der grössten Schmuggeloperationen für Russlands Kriegsmaschinerie aufzuklären. Sie hatten Geldflüsse nachvollzogen, Chat-Nachrichten abgefangen, E-Mails mitgelesen, sie hatten Zeugenaussagen aufgenommen und in Malaysia ein Unternehmen als Briefkastenfirma enttarnt. Und das Wichtigste: Sie hatten mit der russischen Elite verwobene Tatverdächtige, die ihre Geschäfte von Europa aus betrieben. Eine womöglich einmalige Gelegenheit.

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Verbindungen bis in den Kreml

Nahezu zeitgleich schlug im Oktober 2022 die Polizei in Deutschland, Italien und Lettland zu. Auf dem Weg zum Flughafen in Mailand wurde der Hauptverdächtige verhaftet. Für seinen offenbar engen Vertrauten, der für ihn die Geschäfte über eine Hamburger GmbH führte, klickten die Handschellen in der Nähe seiner dortigen Wohnadresse.

Das war nicht weniger als spektakulär, denn der Hauptverdächtige heisst Artem Uss und ist der Sohn des damaligen Gouverneurs der russischen Region Krasnojarsk. Seinem Vater werden hochrangige Kontakte bis in den Kreml nachgesagt, seine Verbindungen zum bekannten Aluminium-Oligarchen Oleg Deripaska sind weithin belegt. Mindestens Teile der Geschäfte sollen für Deripaska abgewickelt worden sein. Eine vergleichbare Verhaftung gab es seit vielen Jahren nicht.

Russia: Congress of Russian Union of Industrialists and Entrepreneurs held in Moscow RUSSIA, MOSCOW - MARCH 16, 2023: Oleg Deripaska, founder of Rusal, GAZ Group and Volnoe Delo Foundation, attends th ...
Steinreich durch Aluminium: Oleg Deripaska.Bild: www.imago-images.de

Doch so spektakulär der Zugriff war, so spektakulär sind die Ermittlungen mittlerweile gescheitert. Nicht nur setzte sich Uss im Frühjahr mit einer filmreifen Flucht aus Italien nach Russland ab. Informationen von t-online zufolge darf auch der Mann für seine Geschäfte in Hamburg nicht von Deutschland an die USA ausgeliefert werden und ist wieder auf freiem Fuss. Das hochpolitische Verfahren droht zum Fiasko zu werden – und die europäischen Behörden geben dabei bislang kein gutes Bild ab.

Dabei war FBI-Direktor Christopher Wray zuversichtlich, als er im Oktober 2022 die Anklagen mit der Staatsanwaltschaft des Eastern District of New York öffentlich machte: «Das FBI wird mit seinen internationalen Partnern weiterhin offensiv die Beschaffung von Öl, gewaschenem Geld und ungesetzlich von US-Unternehmen erlangter Militärtechnologie unterbinden, die Russlands unprovozierten Krieg in der Ukraine unterstützen.»

«Einfach aus Deutschland rausschaffen»

Ausgehend von Hamburg hatte seine Behörde ein Firmengeflecht aufgedeckt, mit dem Uss und sein Partner den Erkenntnissen zufolge Rüstungsmaterial und venezolanisches Öl nach Russland verschoben haben sollen.

Die Ware war brisant: Mikroprozessoren und Halbleiter für Kampfjets und Raketen, ein computergestütztes Maschinensystem, das in Nuklearprogrammen verwendet wird. Einige der Teile fanden sich wohl später baugleich in russischen Waffensystemen, die Putins Armee auf dem Schlachtfeld in der Ukraine zurückliess. Die veröffentlichte Anklageschrift sparte nicht an Details und liess die Beweislast erdrückend wirken.

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Festgehalten waren sowohl die Kommunikation mit den sanktionierten Rüstungsunternehmen in Russland als auch die Kommunikation mit Lieferanten in den USA und Venezuela. Sogar an interne Nachrichten waren die Ermittler offenbar gelangt: «Lass es uns einfach aus Deutschland rausschaffen und die Lieferung abschliessen», schrieb Uss' Statthalter in Hamburg demnach kurz nach Kriegsbeginn an eine Kollegin.

Dringende Bitte der Amerikaner

Gegenüber venezolanischen Schiebern, mit denen er sanktioniertes Öl für über 32 Millionen Dollar verschifft haben soll, offenbarte er den Nachrichten zufolge sogar seinen eigentlichen Auftraggeber: «Er ist ebenfalls unter Sanktionen. Deswegen handeln wir von diesem Unternehmen [in Hamburg] aus. Als Tarnung.» Gemeint war den US-Ermittlern zufolge: Oleg Deripaska. Sein Aluminiumunternehmen bezeichnete der Statthalter in Hamburg als «Muttergesellschaft».

Szenen der Flucht: Italienische Ermittler haben Uss' Route rekonstruiert und mutmaßliche Helfer verhaftet.
Szenen der Flucht: Italienische Ermittler haben Uss' Route rekonstruiert und mutmaßliche Helfer verhaftet.Bild: Carabinieri Milano

Doch in den Wochen nach den Verhaftungen begann sich das Glück für die US-Ermittler zu wenden. Sowohl Uss als auch sein Partner in Hamburg gingen juristisch gegen ihre geplanten Auslieferungen vor. Die Kremlbehörden und Uss verlangten die Auslieferung nach Russland und das Verfahren zog sich in die Länge. Schon bald wurde Uss in den Hausarrest in einem Mailänder Vorort entlassen – laut «La Stampa» und «Wall Street Journal» entgegen der ausdrücklichen Bitte der US-Botschaft, weil immer wieder Verdächtige diese Gelegenheit zur Flucht nutzten.

«Ich bin in Russland!»

«Uss Hausarrest zu gewähren, erhöht unangemessen das erhebliche Risiko, dass er dasselbe tun wird», zitierten die Medien aus dem Brief an das italienische Justizministerium. Die Bitte blieb ungehört, mit schweren Folgen. Am 22. März, einen Tag nachdem seine Auslieferung an die USA beschlossen worden war, schlug der Alarm seiner Fussfessel Dutzende Male an – angeblich wegen technischer Probleme. Anschliessend war Uss verschwunden.

«Ich bin in Russland!», verkündete er wenige Tage später der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti. «In diesen besonders dramatischen Tagen standen starke und zuverlässige Menschen an meiner Seite.» Sein Vater dankte Putin per Video-Botschaft und wurde wenig später von seinem Gouverneursamt in die nationale Politik berufen. Seitdem spekuliert Italien über die Verwicklung russischer Geheimdienste in den filmreifen Plot.

Gerichtsentscheid in Hamburg

Die Hoffnungen der Ermittler ruhten deswegen auf dem Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Hamburger GmbH, über die die Geschäfte abgewickelt worden sein sollen. Auch er ist Russe und stammt aus der Region Krasnojarsk. Er befand sich damals noch in deutscher Auslieferungshaft. Doch auch diese Aussicht zerschlug sich, wie t-online jetzt erfuhr.

Mitte August lehnte das Hanseatische Oberlandesgericht seine Auslieferung an die USA ab. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt t-online vor. Der Schmuggel des von US-Sanktionen betroffenen Öls aus Venezuela nach Russland und China sei nach deutschem Recht nicht strafbar. Gleiches gelte für die verschleierten Geldflüsse und die falschen Angaben gegenüber US-Banken.

Die mutmasslichen Fluchthelfer

Da die US-Botschaft nicht ausreichend zugesichert habe, dass diese Vorwürfe bei der Strafzumessung aussen vor blieben, sei die Auslieferung auch aufgrund der in Deutschland strafbaren Sanktionsverstösse unzulässig. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg bestätigte die Entscheidung, Untersuchungshaft sei anschliessend nicht angeordnet worden, weitere Auskünfte zum Verfahrenskomplex seien nicht möglich. Noch aus der Haft stiess der Mann seine Anteile am Unternehmen mit Uss ab, auch seinen Geschäftsführerposten gab er auf.

So blieb einstweilen nur, den Fluchthelfern von Uss nachzusetzen: Mittlerweile sicher scheint den Ermittlern, dass die serbische organisierte Kriminalität eine wichtige Rolle spielte. Vor einigen Tagen verhafteten italienische Einsatzkräfte in Kooperation mit dem FBI sechs Verdächtige. Sie sollen den Gouverneurssohn von der Fussfessel befreit und ihn mit wechselnden Autos nach Serbien gebracht haben. Minutiös rekonstruierte die italienische Polizei die Route. Dort angekommen bestieg Uss wohl ein Flugzeug nach Russland.

Es wirkt wie ein eher kleiner Erfolg angesichts der Verdächtigen, die den US-Ermittlern gerade entwischten. Zumindest aber wie einer, der angesichts der neuen Verhaftungen erlaubte, Zuversicht zu verbreiten. «Artem Uss bleibt ein Flüchtiger», sagte Lisa Monaco, die stellvertretende Generalstaatsanwältin des Eastern District of New York. «Egal wie oft er sich Verbindungen mit kriminellen Gruppen in Europa zunutze macht, entgeht er der Verhaftung nur vorübergehend.» Die Behörden setzen nun auf die Macht des Geldes. Für Hinweise, die zur Ergreifung von Uss führen, haben sie 7 Millionen US-Dollar Belohnung ausgeschrieben.

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hans Jürg
18.12.2023 22:57registriert Januar 2015
Bin schon gespannt auf das Exklusiv-Interview, das Köppel mit ihm führt, um seine Heldengeschichte in der Weltwoche gebührend zu würdigen.
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malu 64
18.12.2023 23:08registriert September 2014
Umso mehr Geld im Spiel ist, desto größer ist das Versagen der Justiz!
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Drohne des US-Militärs stürzt im Jemen ab – Huthi-Miliz reklamiert Abschuss für sich

Im Jemen ist eine US-Militärdrohne abgestürzt. Es handelte sich um eine Drohne vom Typ MQ-9, wie ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums am Samstag der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Der Vorfall ereignete sich demnach am frühen Freitagmorgen (Ortszeit). Eine Untersuchung sei im Gange und es gebe keine Informationen über Verletzte. Nach Angaben des US-Kongresses beläuft sich der Gegenwert einer MQ-9-Drohne auf rund 30 Millionen US-Dollar (etwa 28 Millionen Euro). Ein gängiges Modell der MQ-9-Drohnen ist bekannt als «Reaper» (Deutsch: «Sensenmann»).

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