Ich hätte es wissen müssen! Ich hätte wissen müssen, dass es eine Scheissidee ist. Weil ich nicht der Typ für so was bin! Weil es nur falsch rauskommen konnte. Ich hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl.
Die wichtigste Info zuerst: Ich war in New York. Ich war tatsächlich da.
Damit könnte dieser Text eigentlich enden, denn was jetzt kommt, ist nur peinlich. Ich schäme mich so sehr für die ganze Aktion, dass ich geneigt bin, alles zu verleugnen. Zum Glück weiss nur Hanna davon. Und ihr. Aber ihr könnt mich nicht direkt darauf ansprechen. (Nein, ich werde die Kommentarspalte diesmal nicht lesen. Ihr könnt lachen und lästern, wie ihr wollt. Big Ben is NOT watching you.)
Ich flog also nach New York und bin um 14 Uhr gelandet. Immerhin bis dahin lief alles nach Plan, keine Verspätung, nur ein beschissener Sitzplatz. Es gibt wenig, das so unbequem für mich ist wie in einem Flieger zu sitzen. Ich muss entweder so breitbeinig sitzen, dass sich die Leute neben mir aufregen, oder die Knie in den Sitz vor mir pressen, was mit der Zeit ziemlich schmerzt. Wenn ich Glück oder das Mitleid der Person beim Check-in habe, kriege ich einen Sitz in der Notausgang-Reihe, wenn ich weniger Glück habe, sitze ich in einem Gangplatz und kann nach dem ganzen Wägeli-hin-Wägeli-her die Beine ausstrecken, und wenn ich absolutes Pech habe, so wie auf diesem Flug, dann sitze ich dort, wo alle sitzen wollen: am Fenster. Die absolute Hölle für meine Gelenke.
Nach acht Stunden Qual stieg ich aus und stand gefühlt nochmals acht Stunden für die Immigration beim JFK an. Was die Amis immer für ein Tamtam veranstalten!
Item.
Um 15 Uhr war ich endlich auf dem Weg zum Hotel und entschied, dass ich keine Zeit verlieren und noch länger zuwarten kann. Ich schrieb also eine WhatsApp an Sie*.
Um 17 Uhr war ich frisch geduscht und ready. Die Nachricht jedoch hatte keine blauen Häkchen. Ich wollte nicht verzweifelt wirken, ging in eine Bar, bestellte ein Bier und dann noch eins und wartete. Um 18 Uhr war es nicht anders. Graue Häkchen, also angekommen, aber ungelesen. Ich schickte noch eine Nachricht und als nichts kam, rief ich an, erfolglos.
Eine Minute nach meinem Anruf hatte ich eine Nachricht von ihr, eine richtige, also eine per iMessage, kein WhatsApp. Sie* schrieb: «Butt call?» Ich antwortete nein. Sie schreibt: «FUCK!!», sie habe erst jetzt meine WhatsApp gesehen, «ich habe die Notifications raus für WhatsApp!» Ich denke, dass dies nicht gaaaaanz die Nachricht ist, die ich habe lesen wollen, aber hey, hatte ja keine Erwartungen. Und wie hab ich das wissen sollen? Sie schreibt nochmals «Fuck» und nochmals. Ich tippe irgendwas, dass es schon okay sei, ich sei ja noch hier, aber bevor ich die Nachricht abschicken kann, schreibt sie: «Du bist so ein Vollidiot! Warum hast du nichts gesagt, verdammt?!?!?!? Ich bin Upstate bis am Montag. Können wir uns dann sehen? Montagabend?» Ich sagte, schauen wir mal, weil ich nicht wollte, dass sie weiss, dass ich nur eine Nacht da war.
Sie fragte, ob alles okay sei, ob ich was brauche, und ich schrieb, dass alles super und New York eine tolle Stadt sei. Dann schickte ich Hanna einen Screenshot.
Ich gebe zu, ein kleiner Teil in mir war erleichtert. Ein grosser Teil in mir war wütend. Auf mich, aber vor allem auf Hanna.
Hanna antwortet innert vier Sekunden. Sie antwortet immer innert vier Sekunden. Egal zu welcher Tageszeit. Vier Sekunden.
«NOOOOOOO!!!!!!! Okay, sorry, das hani nöd als Variante gseh. SORRY! Gibmer 10 Minute und ich machder de beschti Plan, wod chasch ha für New York!»
Wenn ich etwas nicht wollte, war es ein weiterer Plan von Hanna ... Aber gleichzeitig wusste ich auch nicht, was tun. Ich bestellte einen Gin Tonic und wartete auf Anweisungen. Ohne Hanna wäre ich wohl in der Bar sitzen geblieben und hätte einen Gin Tonic nach dem anderen getrunken. So aber war ich um 21 Uhr in einer sehr abgefahrenen Show, wo wir, das Publikum, weisse Masken über die Augen trugen und durch ein düsteres Gebäude wandelten, während in verschiedenen Zimmern Szenen von Macbeth gespielt wurden. Hätte ich Macbeth nicht schon gekannt, hätte ich die Geschichte null verstanden, aber das war egal, es war absolut verrückt und tatsächlich sehr gut. Viel nackte Haut, viel Strobolicht, irgendwie geil. Tickets gekauft hat Hanna und mir den Screenshot geschickt.
So wie auch für die Comedy Show – sie begann nach Mitternacht, aber es war trotzdem rappelvoll, was ich sehr erstaunlich für diese Uhrzeit fand. Danach ging ich in eine Bar, die mir Hanna empfohlen hat, obwohl ich todmüde war, aber ich wollte nicht schlafen, ich wollte wirklich auf gar keinen Fall allein in meinem Hotelzimmer sein. Am nächsten Morgen schleppte ich mich nach zwei Stunden Schlaf in ein Brunchlokal, das sie ein Must fand, und zum Times Square, den sie eine Katastrophe, aber ebenfalls zwingend fand. Den Central Park liess ich aus. Meine Batterien waren leer.
Sie* meldete sich erst, nachdem ich abgeflogen war. Ich sah ihre Nachricht, als ich wieder in Zürich war. Ich fühlte mich wie ein 17-Jähriger nach einem Klassenlager. Völlig übernächtigt, leicht grippig, aufgedreht und apathisch zugleich.
Hanna wartete in der Ankunftshalle, was ich etwas übertrieben fand. Ich meine, es war sieben Uhr morgens! Aber nun gut, sie hat mich auch in diese Misere reinmanövriert. Sie habe kein schlechtes Gewissen, meinte Hanna. Also nicht wirklich. Warum sie denn hier sei, fragte ich und Hanna sagte ernsthaft: «Weil ich so stolz auf dich bin!» Und sie wisse, wie krass das für mich gewesen sein muss. Es bestehe Hoffnung, sagte sie und strahlte, als hätte ich was richtig Gutes und nicht gerade die peinlichsten zwei Tage meines Lebens hinter mir.
(Und jetzt haut in die Tasten und lacht! Ich würd's auch tun.)
So long,
Ben