Dass Sandro Klavier spielt, ist etwas vom Besten, das unserer Streitkultur passieren konnte. Wenn wir uns in die Haare kriegen und Sandro findet, dass es an ihm liegt, sich zu entschuldigen, zieht er sein T-Shirt aus, setzt sich ans Klavier und spielt «Baby Can I Hold You» von Tracy Chapman.
Es ist dann zu 99 Prozent komplett egal, was er verbrochen hat. Spielt er oben ohne, bin auch ich schnell mal oben ohne. Soviel zu unserem Versöhnungssex-Vorspiel.
Heute aber geht's nicht um Sex. Heute geht's ans Eingemachte.
Zweimal im Jahr nämlich spielt Sandro ein Klavierkonzert im kleinen Kreis. Das eine Konzert ist für die Familie. Das andere für enge Freunde.
Früher durfte ich hie und da an das Freunde-Konzert.
Jetzt muss/darf ich ans Familienkonzert. Sandro lädt aber nicht nur mich ein. Er will auch meine Eltern dabeihaben.
Zur Erinnerung: Mein Vater Bruno ist super. Ein Freigeist. Ehemaliger Filou. Mein Vater hat viel gekifft und viel Frauen verführt. Bis er meine Mutter traf. Die ihn ewig nicht wollte, er dann Himmel und Hölle in Bewegung setzte, bis sie doch wollte.
Das Resultat sind bald 50 Jahre Ehe und ich.
Diese bald 50 Jahre verliefen und verlaufen bis heute mit sehr vielen Höhen und nur wenig Tiefen. Meine Eltern, das ist die ganz grosse Liebe. Kriegen es Sandro und ich nur halb so gut hin, sind wir immer noch wie dauerverknallte Turteltauben auf MDMA.
Sandros Eltern, Herr und Frau Fischer, ich darf nicht duzen, sind auch schon über 40 Jahre verheiratet. 39,5 davon schweigen sie sich vor allem an. Oder sind passiv-aggressiv. Oder er mansplaint ihr die Welt, während sie in der Opferhaltung verharrt und sich sicher ist, dass a.) die ganze Welt gegen sie ist, sie b.) ganz viele Krankheiten hat und c.) ich ihr ihren Buben wegnehmen will.
Dazu kommt: Herr und Frau Fischer wählen, logisch, rechts. Sie nennen es «Mitte rechts». Das stimmt nicht.
Meine Eltern, vor allem aber Papa Bruno, ist ein Hippie im Herz. Es wäre ein genauso grosser Hohn, wenn ich von Mitte links reden würde. Ein Wunder eigentlich, dass er noch keine Partei gegründet hat, die sich für Love, Peace und Gras einsetzt.
An einem Donnerstag kommt's nun also in einem dunklen kleinen Keller zum grossen Gipfeltreffen.
Frau Fischer trägt Foulard, eine Buntfaltenhose und eine weisse Bluse. Herr Fischer Jeans und Blazer.
Bruno, ich bin nicht stolz drauf, eine Cargohose und das T-Shirt seines Lieblingsfussballvereins. Darüber eine ziemlich abgewetzte Lederjacke. Meine Mutter kommt im schwarzen Kleidchen, hohe Stiefel, rote Lippen.
Bruno begrüsst Frau Fischer so, wie mein Vater halt Menschen begrüsst: Er umarmt sie herzlich, haut ihr etwas zu fest auf die Schulter, stellt sich mit Vornamen vor und umarmt sie nochmal.
Für Frau Fischer eine unerträgliche Situation.
Meine Mutter ist etwas zurückhaltender. Das äussert sich so, dass sie Herrn Fischer die Hand reicht, sich mit ihrem Vornamen vorstellt, worauf absolut nichts passiert. Die Zwei schweigen sich an.
Das Ding ist gelaufen.
Nicht für Bruno. Der will für alle Anwesenden eine Runde Bier schmeissen. Die Fischers trinken kein Bier. Ausser Sandro. Also trinken Bruno und Sandro. Und Bruno umarmt Sandro und schwärmt Frau Fischer vor, wie schön es doch ist, dass seine Tochter und ihr Junge nach so vielen Jahren des unverbindlichen Sex doch zueinander gefunden haben.
Er hat das jetzt wirklich grad gesagt, das mit dem unverbindlichen Sex.
Hat ihm Sandro mal im Suff erzählt.
Ich nehme ihn zur Seite, um ihm zu befehlen, ihnen ja nicht von der Story zu erzählen, als er und meine Mutter Sandro und mich mal in flagranti erwischt haben. Das war noch während der unverbindlichen Vögel-Zeit.
Bruno lacht. SUPER STORY, findet er. Könne er doch so unter Männern mal Sandros Vater erzählen. «Männer untereinander feiern sowas, Schatz», sagt er. Ich schaue ihn sehr böse an.
«Gott, bist du unentspannt. Von wem du das wohl hast!?»
Meine Mutter steht immer noch bei Herr Fischer und sie haben sich immer noch nichts zu sagen.
Zum Glück geht das Konzert los.
Ich nehme meine Eltern in den hinteren Teil des Raumes. Die Fischers stehen vorn.
Dann geht Bruno Drinks für meine Mutter und mich holen. Meinen wir.
Er kauft eine Flasche Sekt und stellt sich zu den Fischers. Er jubelt und klatscht Sandro zu. Ein Wunder, dass er ihm keine Kleidungsstücke auf die Bühne schmeisst.
Ich will nicht mehr existieren.
Dann holt Bruno meine Mutter. Sie tanzen zu Sandros Musik.
«Komm auch, Schatz», ruft mir Bruno zu.
Ich stammle was von WC und haue ab.
Ich hasse es, dass ich nicht mehr rauche.
Eine Stunde später haben zwei massiv einen sitzen. Es sind Bruno und Sandro.
Der eine johlt, dass er mich heiraten will. Der andere umarmt alle und alles und sagt in Endlosschlaufe, wie schön es ist, dass wir jetzt alle eine riesige Familie sind.
Am Ende des Abends, wir sind schon längst zuhause, leuchten unsere Handys auf. Sandro und ich sind jetzt Mitglieder der «Herz-Familie»-Gruppe. Erstellt hat sie, logisch, Bruno. Wie er zu den Nummern von Herr und Frau Fischer kam, wissen wir noch nicht.
Einmal Filou, immer Filou halt.
Am nächsten Tag ruft Frau Fischer Sandro an. Sie macht das immer, nachdem wir sie getroffen haben. Anrufen und mit Unterton Kritik anbringen. Dieses Mal kommt's knüppeldick: Frau Fischer ist sich sicher, dass Bruno sie angebaggert hat.
Ich will bereits ausholen, als mir Sandro zuvorkommt. «You wish», sagt er ihr und lacht. Ich bin irritiert. «Schau, es wäre das Beste, das ihr passieren könnte. Einmal von einem Typen wie deinem Vater angebaggert zu werden.»
Bruno hat Frau Fischer aber gar nicht angebaggert. Bruno ist so. Bruno ist Liebe. Ich bin Team Bruno. Für immer und ewig. Ganz egal, wie viele Fremdscham-Momente er mir noch beschert. Der Auftritt von Frau Fischer wird am Ende immer peinlicher sein.
Ich lieb dich, Bruno. Und dich auch, Sandro.
Und Sie, Frau Fischer, Äxgüsi, können mich mal.
PS: Der verbindliche Sex mit ihrem Sohn ist genau so super wie es der unverbindliche war!
Biene_Maja
Frau Fischer hat er doch mit Absicht so begrüsst! Meine Katze geht auch immer extra zu den Leuten, die Katzen nicht ausstehen können.
*Butterfly*
Und so wie ich die Zeilen lese, ist Sandro auf deiner Seite und kontert gegenüber seiner eigenen Mutter....
So schön, was willst du mehr!
Rosenresli