Kim ist die grosse Schwester einer Freundin. Ich sehe Kim nicht sehr oft. Und wenn ich sie mal treffe, dann schimpft sie. Kim motzt über ihre Oberschenkel, ihre Haare, ihren Job, das Wetter, das Steueramt, ihre Mutter und über Männer. Vor allem über Männer.
Das letzte Mal aber trumpft sie wirklich mit einem Knaller auf. Aktuell ist nämlich nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Konto gebrochen.
Sie war letzten Herbst in Tunesien. Alleine. Hier in Zürich geht Kim nicht so gerne in die Badi. Kim ist biz dicker als ihre Freundinnen. In Tunesien sei ihre Figur nicht nur kein Problem, nein, da entspricht sie sogar am Schönheitsideal. «Wenn ich da am Strand spaziere, ziehen mich die Männer mit ihren Blicken aus.»
Aha.
Im Herbst jedenfalls war sie in einem Club mit Animation. Da lernte sie Mohammed kennen. Es funkte am Morgen in der Wasseraerobic-Stunde. Von ersten Blicken bis zum Strandspaziergang nach Feierabend dauerte es gerade mal einen Tag. Und von da bis zu seinen ganz grossen Liebesschwüren noch einmal einen Tag.
«Weisst du, es war wirklich Liebe, es war ganz anders als alles, das ich vorher erlebt habe», sagt Kim. Er sei so zärtlich gewesen, romantisch. Jeden Abend hat er ihr eine Rose auf ihren Tisch stellen lassen. Dann all die SMS durch den Tag, die Blicke in der Hotelanlage und nachts dann der Sex. «Er war so liebevoll, vorsichtig und sehr darauf bedacht, dass ich befriedigt bin.»
Nur das mit dem Oralsex sei biz merkwürdig gewesen. Die Blow Jobs habe er sehr genossen, geleckt hat er sie nicht. «Aus religiösen Gründen.»
Nach zwei Wochen hat er sie an den Flughafen gebracht, Tränen inklusive. Nach der Landung hatte sie schon 20 «I love and miss you, my love»-Nachrichten auf dem Handy. Kim, krass verschossen, sass ein paar Wochen später schon wieder im Flieger Richtung Tunesien.
Wieder verbringt das ungleiche Paar zwei wunderschöne Wochen. Er stellt sie sogar seiner Familie vor. Sagt ihr, dass er sie heiraten will. Kim glaubt ihm jedes Wort.
Dass sie jedes Essen, jede Aktivität und jeden Drink bezahlt, findet sie nicht schlimm. «Weisst du, die verdienen sehr schlecht.» Am Flughafen gibt's dann wieder Tränen.
Daheim angekommen ist es Mohammed, der immer noch weint. Nicht weil er Kim vermisst, sondern weil seine Mutter schwer erkrankt ist. Sie braucht 1000 Franken für eine OP, sonst stirbt sie.
Kim schickt Mohammed das Geld. Und auch als ein paar Tage das Taxi seines Bruders geklaut wird, kommt Kim nicht auf die Idee, dass Mohammed vor allem an ihrem Geld interessiert sein könnte. Wenn sie jetzt nämlich keine 1200 Franken für ein neues Taxi auftreiben können, müssen die Kinder seines Bruder hungern.
Kim überweist auch diesen Betrag.
Mohammed ist so beschäftigt mit dem Elend in seiner Familie, dass er gar keine Zeit für einen weiteren Besuch von Kim hat. Mama braucht nun nämlich Medikamente, nicht teuer, aber sie haben's einfach nicht.
Kim überweist 200 Stutz. Als Mohammed sogleich nach weiteren 300 für eine Reha fragt, wird Kim zum ersten Mal etwas hässig. Was wiederum ihn sehr echauffiert.
«Du hast doch Geld, du bist reich. Wie kannst du nur meine Mutter elend zugrunde gehen lassen?», will er wissen. Wo vor kurzem noch grosse Liebesschwüre formuliert wurden, wird Mohammed jetzt fies. «Meinst du, dass du so schnell einen anderen findest bei deiner Figur?!»
Ich hasse Mohammed. Kims Schwester hasst Mohammed, Und auch Kim hasst jetzt Mohammed. Obwohl sie heimlich immer noch auf ein happy End hofft.
Mohammed entschuldigt sich schliesslich immer sehr herzlich, nachdem er ausgetickt ist. Die Familie, die Probleme, die Distanz zu Kim. Alles biz viel für ihn.
Mir tut die Geschichte fast körperlich weh.
Seit ein paar Wochen herrscht jetzt aber sowieso Funkstille. Kim ist sehr gewillt, es zu schaffen. Allgemein ist sie sehr gewillt, ihr Glück jetzt alleine in die Hand zu nehmen.
Kim geht seit zwei Wochen fast täglich ins Crossfit. Finde ich super und will gerade ausholen, um sie zu loben, als mir ihre Schwester ins Wort fällt. «Sie geht wegen Ali.» Wer ist Ali? «Ein Austausch-Coach aus Ägypten.»
Er ist «mega lieb und herzig», sagt Kim. «Und so einfühlsam, romantisch, er sucht wirklich die wahre Liebe.»
Ich derweil suche jetzt etwas anderes: nämlich das Weite.
Gestern dann treffe ich Kim zufällig. Es ist weder mit Ali noch mit Mohammed zu einem Happy End gekommen. Nicht mal mehr ins Crossfit mag Kim.
Dafür hat sie sich jetzt zwei junge Büsis angeschafft.
Nuff said.
Adieu,
Manche Leute checken's einfach nicht... 🤷♂️
Kein Mitleid.