Mir ist sehr bewusst, dass ich mit folgenden Zeilen dem ein oder anderen «Wir» ans Bein, nein, an die Beine pinkle. Aber ich muss. Weil mein Ärger real und meine Fragen echt sind.
Lasst mich rasch ausholen: Neulich lerne ich beim Yoga Lara kennen. Das mit Lara und mir ist Liebe auf den ersten Blick. Nach der dritten Lektion, vor und nach der wir noch lange zusammen schwatzen, gehen wir auf ein Bier.
Während wir so da am Tresen sitzen und uns aus unseren Leben erzählen, zückt sie das Handy und macht 1758 Selfies von uns. Dann hantiert sie mit vielen Filtern, schneidet das beste Pic am besten zu und fragt, ob sie es posten darf.
Ich bin kein Instagram-Mensch. Ich bin auch kein Twitter-, kein TikTok- und auch kein Facebook- und Weiss-der-Gugger-was-es-noch-gibt-Mensch.
Ob sie mich taggen darf. Ja, ja. Soll sie.
Wir reden weiter. Lara checkt aber ständig, ob und wie viele Likes, und vor allem von wem, sie schon für unser Bild bekommen hat.
Nachdem wir uns verabschieden, setze ich mich in den Bus und tue, was ich halt so tue, wenn ich auf Instagram bin: Ich stalke Profile. Aktuell gerade das von Lara. Wobei, nein, es ist Laras und Stefanos Account. Ich bin nicht ganz sicher, ob es sich offiziell um einen Pärli-Account handelt, aber hier hat's zig Bilder von den beiden.
Wir sehen Lara und Stefano am Strand, am Weihnachtsmarkt, beim Städtetrip, in den Bergen, daheim vor dem Schwedenofen, beim Sonntagsspaziergang am See, beim Dinner-Date, beim Rumalbern mit irgendeinem Hund und dann gibt's noch ganz viele Bilder, auf denen Stefano Lara hochhebt.
Ich weiss nicht, warum man das macht. Warum man seine Liebe zur Schau stellt. Warum man schon fast passiv-aggressiv allen sein Liebesleben aufdrängen muss. Ausserdem frage ich mich, wieso man will, dass der Boss, der Hausabwart, der Nachbar, der Ex, you name it, all diese Fotos sehen.
Das Konto ist nämlich öffentlich. Je mehr dieses Leben sehen, umso besser also.
Warum?
Es sind aber nicht nur die Fotos, die mich irritieren, da ist noch mehr, das partout nicht meins ist: Liebeserklärungen en masse. «You are my everything» ist noch das Harmloseste. Da sind ganze Gedichtbände niedergeschrieben. Soulmate, Herzmensch, best man ever, my love, my life, my blablabla.
Am letzten Valentinstag schenkte er ihr ein Wohnzimmer voller Herzballons, eine Kette mit einem Herzanhänger mit seinem Foto drin. Und Lara: «Oh Gosh, how much I love you, best man ever.»
Ich frage mich: Ist Englisch deeper als Deutsch?
Und dann frage ich mich: Bin ich ein Arschloch, weil ich all das oberpeino finde? Weil ich es verurteile? Weil ich gar einen Schritt weiter gehe und mich frage, ob ich neidisch bin?
Sandro ist nicht mal auf Instagram. Und auf meinem Account hat es gerade mal drei Fotos. Das eine von mir, das mich als Achtjährige im selber gemachten Pippi-Tenue von meiner Mutter zeigt. Das zweite Bild ist meine Küche als Schlachtfeld, als mir mal zuerst ein Glas Honig zu Boden fiel und kurz danach auch noch die Schüssel Mehl.
Das dritte Foto ist von meinem Velochörbli, nachdem das Velo eine Nacht an der Langstrasse gestanden hatte. Darin hatte es Bierdosen (halb voll), Nastücher, ein (gebrauchtes?) Kondom und ein paar Flyer.
Fertig Instagram.
Und auch ein bisschen fertig mit meiner frisch aufkeimenden Liebe für Lara.
Ich zeige Sandro Lara und Stefanos Account. Er guckt husch drüber, sagt, dass ich mit denen kein Pärli-Date abmachen soll und dann reisst er mir das Handy aus der Hand. Er landet auf Beatrice Eglis Profil. Daraus, dass er maximal auf die Gute (und ihre Brüste) steht, macht er kein Geheimnis.
Ich muss lachen.
Das sind wir. Wir und Instagram. Ein Threesome mit Egli.
Im Affekt mache ich ein Selfie von uns. Und in ebendiesem Affekt stelle ich das Resultat tatsächlich auf Instagram. Ohne deepen Spruch. Ohne Hashtag. Ohne Hintergedanken.
Kurz darauf eine Nachricht auf WhatsApp. Sandros Schwester will wissen, ob «bei euch alles gut?» ist. Cleo schickt ein Fragezeichen. Und Sandros Kumpel ein «WTF».
Derweil kommt das erste Like, na, vom wem wohl?
Spoiler: Es ist nicht von Papa Bruno. Obwohl dieser auf Instagram ist.
Ich ertappe mich dabei, dass ich alle zehn Minuten Likes checke. Und leicht beleidigt bin, dass diese nicht über den einstelligen Bereich kommen. Nach zwei Stunden lösche ich den Post wieder. Das Selfie hängt nun an meiner Pinnwand in der Küche. Da macht es die glücklich, die es glücklich machen soll: mich. Und Sandro. Wobei, nein, der hat kein Auge für Wandschmuck. Also mich. Gut so.
Zurück im Yoga will Lara nun ein paar Fotos auf der Matte machen, während wir Paar-Übungen machen. Sie hat eigens dafür Stefano mitgenommen. Der Yoga notabene hasst.
Ich bleib dabei. Ich schnall dieses Liebe-auf-Insta-zur-Schau-Stellen nicht.
Ihr?
(#nobadfeelings)
Ein bisschen cringe, isn't it?
Das ist die Antwort auf deine Frage(n) warum Leute sowas tun 🤷♂️
Ablenkung, Anerkennung, Glückshormone… all diese chemischen Cocktails die unser Hirn oder Ego ständig braucht.
Aber warum man das Bier nicht fertig austrinkt, diese Frage beschäftigt mich jetzt wirklich…