Eine gewisse Ähnlichkeit hat Jude Law tatsächlich. Blass ist er. Das aschblonde Haar hat er quer über den Kopf gekämmt. Die Mundwinkel zeigen nach unten. Im Grunde hat er die Ausstrahlung eines unscheinbaren Beamten und nicht wirklich das Äussere eines Monsters – obwohl viele diese politische Figur trotzdem für eines halten würden, seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
In Olivier Assayas‘ Wettbewerbsbeitrag «The Wizard of the Kremlin» in Venedig schlüpft der Brite schliesslich in die Rolle des russischen Herrschers Wladimir Putin. «Es ging nicht darum, Putin zu imitieren oder dass ich mich hinter einer Maske verstecke», sagte Law auf dem Festival. «Vielmehr wollten wir die Ähnlichkeit in mir erkennen. Es ist erstaunlich, was man mit einer Perücke machen kann.»
Der französische Regisseur hat mit dem Film den gleichnamigen Roman des italienisch-schweizerischen Autors Giuliano da Empoli adaptiert, der mit diesem Debüt 2022 für Aufsehen sorgte. Deutlich mehr als zwei Jahrzehnte zeichnet er darin Putins Umbau Russlands nach: von Chaos, Kapitalismus und der Freiheit mit scheinbar unendlichen Möglichkeiten der Post-Sowjetjahre bis zum autoritären Staat der Gegenwart.
Es dauert allerdings eine knappe Stunde, bis der Kreml-Chef zum ersten Mal auf der Leinwand erscheint, denn eigentlich stellt der Film den Architekten dieser Politik, den Macher des Monsters, den Rasputin des Zaren, ins Zentrum: den Strategen Vadim Baranow, eine Figur, die Putins Chefberater Vladimir Surkow nachempfunden ist. Assayas zeigt ihn als überlegten Mann, der über Umwege im wilden Moskau der 90er in der Politik landet und als Mann in Putins Hintergrund die wichtigsten Strippen zieht.
«Für mich war der schwierigste Part, dass das öffentliche Bild, das wir sehen, sehr, sehr wenig preisgibt», sagte Law über die Herausforderungen, Putin zu spielen. Im Hinblick auf ein mögliches Nachspiel mit Reaktionen aus dem Kreml macht er sich keine Gedanken. «Ich war hoffentlich nicht naiv, aber ich hatte keine Angst vor Auswirkungen.»
Er sei zuversichtlich gewesen, dass die Geschichte in den Händen von Assayas und mit dem Drehbuch intelligent und nuanciert erzählt werden würde. «Wir suchten nicht nach Kontroversen um der Kontroverse willen. Putin ist ein Charakter in einer breiteren Geschichte», fügte der 52-Jährige hinzu. «Wir haben nicht versucht, irgendetwas über irgendjemanden zu definieren.»
Assayas verzichtet darauf, Putin und Co. als Monster zu zeichnen. Vor allem beobachtet er viele Gespräche, Manöver und die Schritte, die die Machthaber zum Ziel bringen. Es ist ein seltener Kino-Blick ins russische Zentrum der Macht, der die Entwicklung zum heutigen Russland herleitet. «Diese spezifische Geschichte trifft auf viele autoritäre Führer zu», erklärte Assayas. Generell gehe es um die Transformation der Politik während unserer Lebenszeit. «Was gerade passiert, ist nicht nur erschreckend. Wir haben auch noch keine Antwort darauf gefunden.»
Was macht ein Menschen zum Monster – und umgekehrt? Über diese Frage landete man in Venedig am Wochenende ganz schnell bei Guillermo del Toros Löwen-Konkurrenten: seiner Version von «Frankenstein». Der mexikanische Filmfantast ist dieser Frage wiederholt nachgegangen; es ist die Essenz seines Kinos, das bevölkert ist von menschlichen Monstern wie etwa bei «Pans Labyrinth» und «The Shape of Water», dem Gewinner des Goldenen Löwen 2017. Dass del Toro da irgendwann bei Mary Shelleys Schauerromanklassiker «Frankenstein» landen musste, ist nur konsequent. «Das war wie eine Religion für mich», sagte er in Venedig.
Die Geschichte erzählt er vor allem in zwei langen Rückblenden: Zunächst etwas zu ausgedehnt die Schöpfungsgeschichte aus der Sicht des brillanten Wissenschafters Victor Frankenstein (Oscar Isaak), der in seinem Geldgeber Harlander (Christoph Waltz) einen ähnlich besessenen Verbündeten hat. Die zweite, deutlich spannendere Hälfte nimmt die Perspektive des einsamen, gequälten Monsters ein. Es ist eine im Kern gute Aussenseiterfigur, die voller Sehnsucht nach Nähe ist, bei der Ablehnung aber Wut und Gewalt erzeugen.
«Viele visuelle Interpretationen der Kreatur erinnerten bislang eher an Verkehrsopfer. Mir aber ging es um Schönheit», sagte der Regisseur in Venedig. Jacob Elordi verkörpert den Hünen athletisch und modelhaft, wie einen von Narben überzogenen Adonis, der sich so reflektiert entwickelt wie keiner seiner Vorgänger. Da erstaunt es auch nicht, dass hier das Monster bekommt, wonach es sich so sehr sehnt: Liebe. (aargauerzeitung.ch)