Österreich entschuldigt sich. Bei den Heimkindern nach 1945, die von Kirche und Behörden misshandelt worden sind. Die Stimmung im Parlament gleicht einem Trauergottesdienst, Reden werden gehalten und fünf Schauspielerinnen und Schauspieler tragen Originaltexte von Opfern vor.
Einer von ihnen liest deutlich bewegt und mit unterdrückter Wut von einem Knaben, der mit diabolischer Fantasie geschlagen wurde, dem die Heimleiter seine Unterhose in den Mund stopften, wenn sie schmutzig war, der nach den Übergriffen eines Betreuers floh und von der Polizei beinahe totgeprügelt wurde. Der Vorleser ist Florian Teichtmeister, ein beliebter, damals 36-jähriger Schauspieler. Die ganze Veranstaltung nennt sich «Staatsakt» und trägt den Titel «Geste der Verantwortung». Die Öffentlichkeit findet es toll, dass sich Teichtmeister und die anderen so verantwortlich in den Dienst missbrauchter Kinder stellen.
Es ist der 17. November 2016. Seit acht Jahren sammelt Teichtmeister selbst pornografische Darstellungen von Kindern im Darknet. Als Schauspieler weiss er, wie man sich verstellt und verkleidet. Er hat auch schon einmal in einem TV-Krimi einen pädophilen Täter gespielt, der als Kind missbraucht worden war. Und er wird sechs Jahre später, im Oktober 2022, im Burgtheater im Stück «Nebenan» einen Schauspieler spielen, der bei einem Dreh eine 16-Jährige vögelt, Regie führt Burgtheaterintendant Martin Kusej. Alles geht.
Doch im Oktober 2022 weiss Teichtmeister bereits seit über einem Jahr, dass bald nichts mehr geht. Denn seit über einem Jahr ist die Polizei im Besitz seiner Dateien und er selbst in Therapie und in Dauerkontakt mit einem Anwalt. Michael Rami ist ein sogenannter «Promi-Anwalt», gut 20 Jahre lang war er der Medienanwalt der FPÖ.
Teichtmeisters Ex-Freundin, eine zwei Jahre jüngere Primarlehrerin, war im Sommer 2021 auf eine von ihm gebastelte Collage gestossen. Darauf war ein Kind zu sehen, das er bei gemeinsamen Dreharbeiten fotografiert und mit einer Sprechblase versehen hatte, in der ein pornografischer Text stand. Die Lehrerin zeigte Teichtmeister an und die Polizei beschlagnahmte bei einer Hausdurchsuchung im August 2021 unzählige Datenträger, darunter 13 externe Festplatten mit (bis jetzt ausgewerteten) 58'000 kinderpornografischen Dateien: mit Fotos, einigen Videos und mehreren Collagen mit Minderjährigen, die mit Teichtmeister gedreht hatten. Überdies zeigte seine Ex ihn wegen Gewalt in der Beziehung an.
Da bis zu einem Schuldeingeständnis oder einem Prozess die Unschuldsvermutung gilt, wurde Teichtmeisters Name in dem Fall, der schnell die Runde machte, anonymisiert. Einigen war klar, dass es sich um ihn handelte, und sie brachen sofort jede Zusammenarbeit ab, etwa der Filmregisseur Sebastian Brauneis. Andere wie Martin Kusej stellten ihn zur Rede, Teichtmeister erzählte allen das Gleiche, nämlich, dass es sich um eine infame Vendetta seiner Ex-Freundin handle.
Alle beteuerten, dass er dies sehr überzeugend und glaubhaft gemacht habe, niemand hielt es für nötig, zu recherchieren oder sich mit der Ex-Freundin in Verbindung zu setzen. Kusej gestand er im Vertrauen, seine Ex und er würden sich einander sogar wieder annähern, sämtliche Gerüchte seien haltlos, es sei kein Ermittlungsverfahren gegen ihn im Gang. Kusej atmete erleichtert auf. Die Mär von der durchgeknallten Ex klang plausibel.
Auch gegenüber der Regisseurin Marie Kreutzer, in deren Sisi-Film «Corsage» Teichtmeister den Kaiser Franz-Joseph spielt, stritt er alles ab. Das Produktionsteam von «Corsage» teilt nun mit: «Florian Teichtmeister steht seit Ende der Dreharbeiten im Juli 2021 in keinem Dienstverhältnis mehr zu uns. Trotzdem hätten wir erwartet, dass er uns spätestens mit dem Beginn polizeilicher Ermittlungen über die Vorwürfe gegen ihn informiert hätte. Das Gegenteil war der Fall: Florian Teichtmeister hat nach dem Auftauchen erster Gerüchte nach dem Ende der Dreharbeiten im Herbst 2021 auf dezidierte Nachfrage – nicht nur für uns glaubhaft – versichert, dass die Gerüchte um seine Person falsch seien.»
Florian Teichtmeister ist ein fabelhafter und vielfach ausgezeichneter Schauspieler. Seit 2016 spielt er in der Krimiserie «Die Toten von Salzburg» einen Ermittler im Rollstuhl, eine Rolle, die bei ihm einen grossen Sensibilisierungsprozess in Gang gesetzt habe, wie er gerne erzählt: «Wenn ich heute ein Lokal betrete oder ein öffentliches Gebäude, dann nehme ich sofort wahr: Hier gibt es ja keine Rampe für einen Rollstuhlfahrer.» In seiner Freizeit trainiert er mit einer Rollstuhl-Basketballmannschaft.
Am Freitag, dem 13., fliegt alles auf. Am Freitag, dem 13. Jänner 2023, wie der Januar in Österreich heisst. Über ein Jahr lang hat niemand mehr über die Vorwürfe gegen Teichtmeister gesprochen, der kurze Mediensturm war verebbt, das Burgtheater war froh, dass sein Star ein Star bleiben durfte, und «Corsage» feierte einen Triumphzug auf vielen Filmfestivals (auch auf dem ZFF). So eine Sisi, so einen Franzl hatte man noch nie gesehen, und dass der Film plötzlich auf der Oscar Shortlist für den besten ausländischen Film stand, war super.
Am 13. Jänner 2023 ist alles anders. Teichtmeister hat gestanden. Und mit dem Schuldbekenntnis kann auch sein Name publik werden. Ab dem 8. Februar wird er vor Gericht stehen und auf schuldig plädieren. Das Burgtheater entlässt ihn. Der ORF nimmt alle Filme und Serien mit ihm aus dem Programm, wenig später auch das ZDF. Mehrere Kinos entscheiden sich, «Corsage» nicht mehr zu zeigen.
Es sind radikale Entscheide. Einerseits verständlich, denn nun gilt keine Unschuldsvermutung mehr, und nun werden sich alle fragen, ob die Kinder, mit denen Teichtmeister spielt – etwa in «Corsage» –, auch Teil seiner perversen Collagen geworden sind. Andererseits rauben sie dem Publikum seine Mündigkeit, sich den Filmen samt der traurigen neuen Wahrheit dahinter auszusetzen.
Marie Kreutzer sagt dazu: «Ich bin traurig und wütend, dass ein feministischer Film, an dem mehr als 300 Menschen aus ganz Europa jahrelang gearbeitet haben, durch die grauenvollen Handlungen einer Person so beschmutzt und beschädigt wird. Noch trauriger und wütender macht mich, in welchem Ausmass Videos und Fotos von sexualisierter Gewalt gegen Kinder produziert, verbreitet und konsumiert werden.»
Teichtmeister betont, dass er niemandem direkte Gewalt zugefügt habe, sondern, dass sein Vergehen ein rein «digitales» sei. Eine Strategie, mit der er ein milderes Urteil erhofft.
Am 13. Jänner 2023 sagt die österreichische Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Dr. Dr. Gabriele Wörgötter in der ORF-Nachrichtensendung «ZIB 2»: «Zunächst einmal ist die Angabe von vielen Konsumenten von Kinderpornografie ‹Ich hab's ja nur angeschaut, ich habe ja nichts getan› eine Bagatellisierung des Verhaltens und verharmlost eigentlich das, worum es geht. Kinderpornografie ist ja ein Begriff, der eigentlich als solcher schon verharmlosend ist: Jede kinderpornografische Darstellung, das heisst jede Darstellung eines Kindes in einem sexuell aufreizenden, einem verzerrten Zusammenhang, ist ja für sich genommen schon ein Missbrauch. Und jeder Konsument eines kinderpornografischen Videos oder einer kinderpornografischen Abbildung sieht sich ein missbrauchtes Kind an. Und insofern würde ich hier weniger von kinderpornografischen Darstellungen als von Missbrauchsdarstellungen sprechen.»
Wer wie Teichtmeister aus einem Suchtverhalten heraus riesige Archive dieser Missbrauchsdarstellungen anlegt, sorgt für ihre Multiplikation. Und für einen Bedarf an Nachschub, der erst einmal hergestellt werden muss.
«Corsage» dürfte nun am 24. Januar nicht für einen Oscar nominiert werden. Das ist schade. Und der heute 43-jährige Teichtmeister hat seine eigene Karriere mit aller Macht ins Aus geschossen. Das ist tragisch. Doch die wahren Opfer, schreibt die «Süddeutsche Zeitung» am 15. Januar, «sind nicht Theater und Produktionsgesellschaften, Vorgesetzte und Kollegen», sondern die missbrauchten Kinder aus dem Darknet. Kein Staatsakt, keine «Geste der Verantwortung» kann gross genug sein, um sich bei ihnen zu entschuldigen.
Dieser Artikel beruht auf dem Informationsstand vom 16. Januar 2023.
Das Thema ist ein sehr furchtbares und vielschichtiges. Es muss aufgedeckt und streng geahndet werden. Besonders im Netz. Die schiere Masse ist schon überwältigend.
Es muss viel mehr für die Betroffenen getan werden. Die Mär "der Rache-Ex-Freundin" muss aufhören, denn meistens ist es eine Mär. Unterstützerkreise müssen genauso geahndet werden. "Nur digitales Vergehen" als Minderung, nein, oben gut erklärt (& er hatte Collagen von seinen Kolleg*innen...). Uff, viel anzugehen.