Mehr als nur Genuss? So gesund ist Schokolade wirklich
Niemand isst mehr Schokolade als wir Schweizerinnen und Schweizer: elf Kilogramm, umgerechnet 110 Tafeln, verputzt jede Person im Jahr. Lange galt das süsse Vergnügen vor allem als Sünde, mit schlechtem Ruf bei Zahnärztinnen und Ernährungsberatern. Doch in letzter Zeit hat sich das Bild gewandelt, zumindest für dunkle Schokolade.
Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit, in die 18 Studien eingeflossen sind, kommt zum Schluss: Dunkle Schokolade wirkt entzündungshemmend, kann Blutzucker, Blutdruck und schlechte Blutfette bei Menschen mit Diabetes oder Übergewicht senken. Sie könnte sogar Schmerzen und Symptome der hormonellen Störung PCOS, unter der viele Frauen leiden, lindern. Einzig bei Akne scheint Vorsicht geboten. Hier, so berichten die Forschenden um den Mikrobiologen Markus M. Heimesaat von der Charité in Berlin, könne dunkle Schokolade die Symptome verschlimmern. Eine andere Studie aus Kalifornien legt ausserdem einen Zusammenhang zwischen verringertem altersbedingten Gedächtnisabbau und den pflanzlichen Bestandteilen der Schokolade nahe.
Besonders im Fokus stehen dabei die Polyphenole. Das sind bioaktive Pflanzenstoffe, die in Kakao in Form sogenannter Kakaoflavanole vorkommen. Sie regen die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) an, was zu einer Entspannung und Erweiterung der Blutgefässe führt.
Wie viel ist zu viel?
Ein guter Grund also, jetzt hemmungslos zu naschen? Patrick Diel, Biologe, Biochemiker und Endokrinologe an der Deutschen Sporthochschule Köln, lacht und schüttelt den Kopf. Er sagt: «Um die in Studien spürbare Wirkung zu erzielen, ist eine tägliche Zufuhr von mindestens 200 Milligramm Kakaoflavanolen notwendig.» Das wären umgerechnet 720 Tafeln hochprozentige Bitterschokolade im Jahr, bei Milchschokolade wären es sogar 1800 Tafeln.
Dies zeigt zweierlei: Erstens ist die hochprozentige Bitterschokolade, Forschende empfehlen mindestens 70 Prozent Kakaoanteil, gesünder. «Ich persönlich mag nur weisse Schokolade», gesteht Diel. «Aus rein ernährungsphysiologischen Gründen kann man das aber gleich lassen. Die enthält nämlich praktisch keine Flavanole mehr.»
Zweitens vertilgt man selbst mit dunkler Schokolade nicht nur wertvolle Pflanzenstoffe, sondern auch jede Menge Zucker, Fett und Kalorien. Das kann zu einer Gewichtszunahme und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Genau jene Erkrankungen also, bei denen Kakaoflavanole eigentlich helfen könnten.
Hinzu kommt: «Die Verarbeitung von Kakao beeinflusst die gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe erheblich», sagt Diel. Röstung, Fermentation und andere Schritte der industriellen Verarbeitung könnten zentrale Wirkstoffe zerstören. Laut Fachleuten gilt daher: Wer bisher keine dunkle Schokolade isst, muss nicht damit anfangen. Wer sich gelegentlich ein Stück gönnt, kann das weiterhin tun – aber vor allem zum Genuss und weniger aus gesundheitlichen Gründen.
Pflanzenstoffe werden nicht zerstört
In seiner Forschung testen Patrick Diel und sein Team nun aber, ob ein hoch dosierter Kakaoextrakt in Tablettenform die Gesundheitsversprechen einlösen könnte. Zum Einsatz kommt ein soeben lanciertes Produkt des Pharmaunternehmens Max Zeller Söhne AG, das mit einem Team der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften entwickelt wurde. Das Besondere: Die Flavanole werden durch sogenannte Kaltextraktion bei maximal 55 Grad gewonnen. Danach findet eine kurze Pasteurisation im Bereich von 75 Grad statt. Herkömmliche Verfahren arbeiten mit deutlich höheren Temperaturen – bis zu 130 Grad – und können die empfindlichen Stoffe zerstören.
Ob sich dieses Verfahren gesundheitlich wirklich auszahlt, soll Diels Studie zeigen. Er untersucht, ob eine Kakaoextrakt-Tablette am Tag – kombiniert mit Bewegung – kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Frauen nach der Menopause senken kann. Diese Zielgruppe hat er bewusst gewählt. «Frauen sind vor den Wechseljahren hormonell geschützt», erklärt er. «Doch dieser Schutz bricht danach schlagartig weg.» In der Öffentlichkeit sei das Bewusstsein dafür noch gering. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gälten nach wie vor als Männerproblem.
Erste Ergebnisse aus der Studie erwartet Diel im Sommer 2026. Klar ist für ihn aber schon jetzt: Einzelne Inhaltsstoffe allein können gesunde Lebensgewohnheiten nicht ersetzen. «Man kann nicht eine Tablette schlucken, weiterrauchen, sich nicht bewegen und glauben, man tue etwas für seine Gesundheit», sagt er.
Vielmehr brauche es ein Gesamtkonzept: gute Ernährung mit wenig Salz und Zucker, viel Vollkornprodukten, Früchte und Gemüse, tägliche Bewegung, plus dreimal pro Woche gezieltes Sporttraining. Kakaoflavanole und andere Supplemente wie bestimmte Vitamine oder Omega-3-Fettsäuren könnten das Ganze sinnvoll ergänzen, die Effekte womöglich verstärken. Von besonderer Bedeutung sei dies für Menschen, die über die normale Ernährung nicht genug von derartigen Stoffen aufnehmen und/oder nicht in der Lage seien, Bewegungsempfehlungen nachhaltig umzusetzen. (aargauerzeitung.ch)