Wenn das schlechte Gewissen kommt, verdränge es nicht, sondern mache einen Gedankenstopp. Statt sich mit Selbstvorwürfen zu geisseln und in eine Art sich selbst erfüllende «Schuld-Masturbation» zu verfallen, wie es der Psychologe und Therapeut Bertold Ulsamer beschreibt, soll man sich konkret überlegen, wie man es in Zukunft besser oder wieder gutmachen kann. «Wir müssen lernen, das Verhalten von unserer Person zu trennen: Wir werden immer Fehler machen, aber sind deshalb keine verurteilenswerten Menschen».
Früher war es der Pfarrer, bei dem sich die Menschen die Seele rein geredet haben, heute fehlt vielen diese Institution. «Reden Sie mit anderen über Ihr schlechtes Gewissen», rät Peter Schneider. Gleiche deinen «inneren Richter» mit jenen deiner Freundinnen und Freude ab, stimme ihn milder. Dafür helfen auch neue Vorbilder. Die eigene perfektionistische Mutter ist dafür vielleicht weniger gut geeignet als die chaotische, aber tiefenentspannte Freundin.
Noch ein Tipp von Psychoanalytiker Peter Schneider: «Üben Sie sich darin, das schlechte Gewissen auszuhalten.» Allerdings nur, wenn du spürst, dass das eigene Verhalten okay, aber dein innerer Richter noch zu scharf eingestellt ist. Etwa, wenn du weniger arbeiten willst, wenn du den Kontakt zu einer anstrengenden Person abgebrochen hast. Dein innerer Richter wird sich ziemlich sicher beruhigen.
Zu sich selbst ein bisschen gnädiger zu sein, ist schwierig, einfacher ist es, bei seinem Umfeld anzufangen. Denn wer bei anderen auf absolute Pünktlichkeit besteht, hat natürlich ein schlechtes Gewissen, wenn er selbst zu spät kommt. Es sind also nicht die Erwartungen der anderen, die uns ein schlechtes Gewissen machen, es sind unsere eigenen Erwartungen, an denen wir zerbrechen. Wer als Chef darunter leidet, immer erreichbar zu sein, muss damit anfangen, das von seinen Mitarbeitenden nicht mehr zu verlangen.
Überprüfe: Wer oder was verursacht das schlechte Gewissen? Ist es die Stimme im Kopf, die ein unangebrachtes schlechtes Gewissen hervorruft, oder gibt es tatsächlich Handlungsbedarf am eigenen Verhalten? Hast du jemanden verletzt, versetzt? Dann bitte um Verzeihung, und überleg dir, was du tun könntest, um dein schlechtes Gewissen abzumildern. Es können auch Ersatzhandlungen sein. Der Sündenablass der Katholischen Kirche funktioniert auch heute noch ganz gut, via Spende.
Oft ist das schlechte Gewissen die Wurzel negativer Überzeugungen bezüglich der eigenen Person. Sie mindern unsere psychische Stärke, und das macht gute Ergebnisse unmöglich. Negative Glaubenssätze über uns, du kannst das sowieso nicht, du hast dich über Wert verkauft: Auch wenn diese Glaubenssätze aus unserer Kindheit sehr stark sein können, wir können sie willentlich überschreiben. Etwa indem wir uns darin üben, dass gut gut genug ist.
Der Verhaltenstherapeut Holger Kuntze plädiert in einem Interview zum Thema schlechtes Gewissen für radikale Ehrlichkeit. Es könne eine ungemeine Befreiung sein, sich einzugestehen, dass man in Wahrheit ein Hallodri sei. Ehrlich zu sich sein, sich klarmachen, wo die eigenen Prioritäten liegen – im Beruf und nicht in der Familie zum Beispiel. Oder darin, mit sich zu sein und nicht mit vielen Freunden. Kuntze sagt: «Die klügste Art, auf schlechtes Gewissen zu reagieren, ist Reflexion und Aktivität.»
Oft haben wir ein schlechtes Gewissen, weil wir eine Pflichtenkollision haben, doch meist sind diese Pflichten nicht gleichwertig und nicht gleichzeitig zu erfüllen. Vater und Chef, Öko und Ferienflieger. Besser wäre, sich zu entscheiden, was einem wirklich wichtig ist. Sich nicht von externen Botschaften beherrschen zu lassen. Der Königsweg beim Umgang mit dem schlechten Gewissen ist, sich die inneren Wertkonflikte, Prägungen und heutigen Prioritäten bewusst zu machen und dann so konsequent wie möglich zu handeln.
(aargauerzeitung.ch)