Leben
International

Vom Minister in Kabul zum Essenslieferanten in Leipzig – Sayed Sadaat

Vom Minister in Kabul zum Essenslieferanten in Leipzig – die Geschichte von Sayed Sadaat

Noch vor drei Jahren war Sayed Sadaat der Kommunikationsminister in Afghanistan. Jetzt liefert er in Deutschland auf einem Fahrrad Essen aus. So ist es dazu gekommen.
23.08.2021, 11:1124.08.2021, 06:01
Mehr «Leben»

Er war einst Mitglied im Kabinett des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani. Sein grosses Ziel war es, ganz Afghanistan mit einem Handynetz zu versorgen. Jetzt aber saust Sayed Sadaat mit einem gebrauchten Mountainbike durch die Strassen der ostdeutschen Stadt Leipzig und liefert Essen aus.

Nangarhar im Osten Afghanistans
Sadaat stammt aus der östlichen Provinz Nangarhar angrenzend an Kabul.Bild: Shutterstock

Studieren im Ausland

Aufgewachsen ist der der 50-Jährige mit sieben Brüdern in Nangarhar, im Osten Afghanistans. Seine Eltern waren als Lehrpersonen tätig und konnten es sich leisten, ihm ein Studium im britischen Oxford zu finanzieren.

Nach seiner Ausbildung bleibt Sadaat im Ausland und spezialisiert sich auf die Entwicklung von SIM-Karten. Seine Arbeit führt ihn unter anderem auch in die Schweiz: In Lausanne arbeitete er eine Weile für die Swisscom. Er kann sich nicht beklagen, er verdient gut, hat ein Haus in Oxford – dennoch entschliesst er sich dazu, in sein Heimatland zurückzukehren.

Zurück in die Heimat

Der Grund: Anfang 2016 erhält er einen Anruf aus dem Büro von Präsident Aschraf Ghani. Man habe von ihm gehört, von dem Mobilfunkspezialisten aus Europa, und man habe ein Angebot für ihn.

Er sei heimatverbunden, sagt Sadaat gegenüber der «Leipziger Volkszeitung». Sein Leben in England sei damals zwar komfortabel gewesen, aber auch einsam. Und so tritt Sadaat im Sommer 2016 seine Reise zurück ins Heimatland an.

Bereits nach vier Monaten im Kommunikationsministerium rückt er an dessen Spitze, nachdem dem Chef wegen Korruption gekündigt wurde.

sayed sadaat. ehemaliger afghanischer kommunikationsminister
In kürzester Zeit rückte Sayed Sadaat an die Spitze des Kommunikationsministeriums.facebook

Schätzungsweise 45'000 Festnetzanschlüsse habe das Kommunikationsministerium unter Sadaat geschaltet, schreibt die «Frankfurter Rundschau». Zudem hätten rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan Zugang zu Mobilfunknetzen erhalten.

Doch 2018 tritt Sadaat zurück. Er sei dazu gezwungen worden, erzählt er der «Leipziger Wochenzeitung». Einzelne Regierungsmitglieder hätten Regierungsgelder aus allen Ministerien auf eigene Konten abgezweigt. Sie fürchteten sich vor dem Vormarsch der Taliban und wollten sich finanziell absichern. Sie wollten auch an Sadaats Budget, doch er habe sich gemäss eigenen Angaben dagegen gesträubt. Deshalb habe ihm Ghanis Regierung klargemacht, dass seine Dienste nicht mehr gewünscht seien.

Ein neues Leben

Bis Ende 2020 ist er aber noch als Berater tätig. Dann flieht er im Dezember per Flugzeug nach Leipzig und sucht Arbeit. Er schreibt Bewerbung um Bewerbung, erhält aber nur Absagen. Seine Expertise ist bereits veraltet. «Ich bin technisch auf dem Stand von 2016», so Sadaat. In seinem Job seien das Jahrzehnte.

Schliesslich beginnt er bei einem Essens-Lieferdienst zu jobben. Er führe jetzt ein einfaches Leben, sagt er. Seine Träume hat er aber nicht aufgegeben: Er möchte sparen, Deutsch lernen, Weiterbildungen besuchen und eines Tages für die Telekom arbeiten.

Mit seiner Heimat bleibt er nach wie vor verbunden – und überrascht mit Taliban-freundlichen Äusserungen in den sozialen Medien. Er sehe mit der Taliban-Machtübernahme Grund zur Hoffnung. Auf Facebook schreibt er: «Eine neue Phase beginnt. Und mit ihr das Hoffen auf ein fortschrittliches und sicheres Afghanistan.» (saw)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
1 / 18
Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
Am 15. August 2021 haben die Taliban ihr Ziel erreicht: Sie sind in der Hauptstadt Kabul einmarschiert und haben den Präsidentenpalast in ihrer Kontrolle.
quelle: keystone / zabi karimi
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Anti-Taliban-Demo in Zürich: Das fordern die Afghanen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
28 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hierundjetzt
23.08.2021 11:35registriert Mai 2015
Ich lasse jetzt mal den schönen Text so stehen und mache nicht auf die offensichtlichen Ungereimtheiten darin aufmerksam.

Ich wünsche Ihm viel Glück und Erfolg für sein neues Leben in Europa.
8015
Melden
Zum Kommentar
avatar
Purscht
23.08.2021 13:33registriert Oktober 2017
Als ich in der Gastronomie gearbeitet habe, hatten wir immer wieder Abwascher, welche ursprünglich mal Chemie oder Sprachen studiert haben. Aber die Diplome waren in der Schweiz nicht anerkannt und Geld war keines vorhanden.
Viel verschenktes Potenzial.
6413
Melden
Zum Kommentar
avatar
Who knows
23.08.2021 12:09registriert April 2019
Dass er selbst als ehemaliges Mitglied der Regierung hoffnungsvoll in eine Zukunft unter der Herrschaft der Taliban blickt, zeigt für mich vor allem, dass die Korruption der Regierung zu einer völligen Chancenlosigkeit für eine Zukunft geführt hat. Etwas unverständlich ist dann aber schon, wie wenig Mitleid er mit all jenen ehemaligen Kollegen zu haben scheint, die jetzt Gefahr laufen, von den Taliban verfolgt zu werden. Gerade weil diejenigen, die nicht korrupt waren, wohl am wenigsten Geld für eine Flucht ins Ausland haben...
464
Melden
Zum Kommentar
28
König Charles beruft Kate in exklusiven Orden

Der britische König Charles III. (75) hat seine Schwiegertochter Kate in den Orden der «Companions of Honour» berufen. Mit der Auszeichnung werden Menschen geehrt, die sich auf den Feldern Kunst, Wissenschaft, Medizin und im öffentlichen Dienst verdient gemacht haben.

Zur Story