Vor ein paar Tagen lernte ich einen Mann kennen, der behauptete, vor zwei Jahren afghanischer Kommunikationsminister gewesen zu sein. Ich fragte, was er in #Leipzig mache. „Ich fahre für Lieferando Essen aus.“ pic.twitter.com/nafutTTXqP
— Josa Mania-Schlegel (@JosaMania) August 21, 2021
Er war einst Mitglied im Kabinett des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani. Sein grosses Ziel war es, ganz Afghanistan mit einem Handynetz zu versorgen. Jetzt aber saust Sayed Sadaat mit einem gebrauchten Mountainbike durch die Strassen der ostdeutschen Stadt Leipzig und liefert Essen aus.
Aufgewachsen ist der der 50-Jährige mit sieben Brüdern in Nangarhar, im Osten Afghanistans. Seine Eltern waren als Lehrpersonen tätig und konnten es sich leisten, ihm ein Studium im britischen Oxford zu finanzieren.
Nach seiner Ausbildung bleibt Sadaat im Ausland und spezialisiert sich auf die Entwicklung von SIM-Karten. Seine Arbeit führt ihn unter anderem auch in die Schweiz: In Lausanne arbeitete er eine Weile für die Swisscom. Er kann sich nicht beklagen, er verdient gut, hat ein Haus in Oxford – dennoch entschliesst er sich dazu, in sein Heimatland zurückzukehren.
Der Grund: Anfang 2016 erhält er einen Anruf aus dem Büro von Präsident Aschraf Ghani. Man habe von ihm gehört, von dem Mobilfunkspezialisten aus Europa, und man habe ein Angebot für ihn.
Er sei heimatverbunden, sagt Sadaat gegenüber der «Leipziger Volkszeitung». Sein Leben in England sei damals zwar komfortabel gewesen, aber auch einsam. Und so tritt Sadaat im Sommer 2016 seine Reise zurück ins Heimatland an.
Bereits nach vier Monaten im Kommunikationsministerium rückt er an dessen Spitze, nachdem dem Chef wegen Korruption gekündigt wurde.
Schätzungsweise 45'000 Festnetzanschlüsse habe das Kommunikationsministerium unter Sadaat geschaltet, schreibt die «Frankfurter Rundschau». Zudem hätten rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan Zugang zu Mobilfunknetzen erhalten.
Doch 2018 tritt Sadaat zurück. Er sei dazu gezwungen worden, erzählt er der «Leipziger Wochenzeitung». Einzelne Regierungsmitglieder hätten Regierungsgelder aus allen Ministerien auf eigene Konten abgezweigt. Sie fürchteten sich vor dem Vormarsch der Taliban und wollten sich finanziell absichern. Sie wollten auch an Sadaats Budget, doch er habe sich gemäss eigenen Angaben dagegen gesträubt. Deshalb habe ihm Ghanis Regierung klargemacht, dass seine Dienste nicht mehr gewünscht seien.
Bis Ende 2020 ist er aber noch als Berater tätig. Dann flieht er im Dezember per Flugzeug nach Leipzig und sucht Arbeit. Er schreibt Bewerbung um Bewerbung, erhält aber nur Absagen. Seine Expertise ist bereits veraltet. «Ich bin technisch auf dem Stand von 2016», so Sadaat. In seinem Job seien das Jahrzehnte.
Schliesslich beginnt er bei einem Essens-Lieferdienst zu jobben. Er führe jetzt ein einfaches Leben, sagt er. Seine Träume hat er aber nicht aufgegeben: Er möchte sparen, Deutsch lernen, Weiterbildungen besuchen und eines Tages für die Telekom arbeiten.
Mit seiner Heimat bleibt er nach wie vor verbunden – und überrascht mit Taliban-freundlichen Äusserungen in den sozialen Medien. Er sehe mit der Taliban-Machtübernahme Grund zur Hoffnung. Auf Facebook schreibt er: «Eine neue Phase beginnt. Und mit ihr das Hoffen auf ein fortschrittliches und sicheres Afghanistan.» (saw)
Ich wünsche Ihm viel Glück und Erfolg für sein neues Leben in Europa.
Viel verschenktes Potenzial.