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Interview

«Conclave»: Grandioser Thriller über «das älteste Patriarchat der Welt»

This image released by Focus features shows actor Isabella Rossellini, left, and director Edward Berger on the set of "Conclave." (Philippe Antonello/Focus Features via AP)
Regisseur Edward Berger (rechts) mit Isabella Rosselini.Bild: keystone
Interview

«Conclave»: Grandioser Thriller über «das älteste Patriarchat der Welt»

Mit «Im Westen nichts Neues» holte der Regisseur Edward Berger vier Oscars. Nun folgt sein Papstwahl-Krimi «Conclave».
28.11.2024, 23:11
tobias sedlmaier / ch media
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Edward Berger verfilmt europäische Stoffe auf amerikanische Art: wuchtig, mit einem Gespür für grosse Bilder und Momente. Mit «Im Westen nichts Neues» stürmte er 2023 Hollywood. Vier Oscars sprangen am Ende bei neun Nominierungen heraus, Rekord für eine deutsche Produktion. Nun folgt erneut eine Romanadaption, «Conclave», nach dem Bestseller von Robert Harris. Dem österreichisch-schweizerischen Regisseur gelingt es dabei, das Ritual einer fiktiven Papstwahl in einen mordsspannenden Thriller zu verwandeln. Wir haben Berger am Zurich Film Festival zum Gespräch getroffen.

Herr Berger, Sie haben einmal gesagt, die wichtigste Frage, die sich Ihnen bei einem neuen Film stellt, lautet: Warum will ich diesen Film überhaupt machen? Also: Warum folgte gleich nach «Im Westen nichts Neues» ein Thriller über das ungewöhnliche Thema Papstwahl?
Edward Berger: Zunächst einmal ist die Vorlage von Robert Harris wirklich ein toller Thriller! Und dazu haben die Scripts von unserem Drehbuchautor Peter Straughan immer eine tiefere Bedeutung, eine zweite Ebene. In diesem Fall war es die innere Reise, die Ralph Fiennes als Kardinal Lawrence durchmacht, die emotionale und intellektuelle Reise des Zweifels: Zweifel an seinem Glauben, am Sinn im Leben, am Dasein als Kardinal. Am Ende findet er eine Art von Befreiung, wird einen Hauch leichter durchs Leben gehen.

Und mit dieser Entwicklung konnten Sie sich gut identifizieren?
Ja, denn Zweifel sind der treibende Faktor in meinem Leben: Warum mache ich den nächsten Film? Was will ich erzählen? Ist die Kamera in der richtigen Position? Das alles fragt man sich ständig, schliesslich ist Filmemachen keine Naturwissenschaft. Wir wissen nicht genau, wie es geht, müssen es bei jedem Film neu herausfinden.

Trailer «Conclave»

Zum Film
Der Papst ist überraschend gestorben, schnell muss sein Nachfolger bestimmt werden. Zuständig für die Leitung des Konklaves ist der in seinem Glauben erschütterte Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes). Die Wahl wird von Machtkämpfen bestimmt, hinzu kommt eine Bedrohung von aussen. Die Adaption hält sich eng an die Romanvorlage des britischen Star-Autors Robert Harris. Mit seiner äusserst eleganten, präzisen Inszenierung und einem hochkarätigen Ensemble (Stanley Tucci, John Lithgow, Isabella Rossellini) schraubt Edward Berger die Spannungsschraube hoch – bis zum überraschenden Ende. «Conclave» ist auf zeitlose Art bestes Unterhaltungskino.

Deutlich wird im Film jedenfalls die Diskrepanz zwischen dem machtvollen Bild der Kirche und den persönlichen Schwächen der Kardinäle ...
Ich fand es wichtig, die Kardinäle als Menschen zu zeigen: Sie haben Telefone, sie rauchen. Der Papst wird in einem Plastik-Body-Bag in den Krankenwagen verfrachtet, er endet so wie du und ich. Ich wollte die Kardinäle auf die Erde bringen mit ihren Zweifeln, Sünden und Fehlern. Dadurch werden sie nahbar, wir verstehen sie und sind traurig, wenn sie scheitern.

Conclave Rome, Italy. Conclave - CBlack Bear / Focus Features - is a 2024 psychological thriller film directed by Edward Berger and written by Peter Straughan based on the 2016 novel by Robert Harris. ...
Männer, mit weissen Hauben, die garantiert keine Köche sind.Bild: www.imago-images.de

Robert Harris bedankt sich im Nachwort seines Thrillers für die Hilfe von Kirchenvertretern bei der Recherche. Inwieweit haben Sie mit dem Vatikan zusammengearbeitet?
Es gibt am Petersplatz eine weisse Linie, hinter der sind keine kommerziellen Aufnahmen erlaubt. Wir mussten also die Sixtinische Kapelle in der römischen Filmstadt Cinecittà bauen. Aber wir haben Kardinäle getroffen. Sie haben uns natürlich nichts über das Konklave erzählt – das ist nicht erlaubt –, dafür über ihren Glauben und ihren Werdegang. Am Set hatten wir religiöse Berater, darunter einen fantastischen Religionslehrer, ein Spezialist für das Prozedere im Konklave: Wie hält man die Hände, wie wird genau gewählt? Natürlich können wir nicht alles wissen, weil die Türen verschlossen sind und das Schweigegelübde nicht gebrochen werden darf. Das ist für mich am Ende aber nicht so wichtig, weil ich es am Film gerne mag, dass man damit eine Realität herstellen kann. Es muss nicht immer alles real oder authentisch sein. Film ist immer Manipulation, eine hergestellte Wahrheit – gerade wenn er realistisch wirkt.

Conclave Rome, Italy. Conclave - CBlack Bear / Focus Features - is a 2024 psychological thriller film directed by Edward Berger and written by Peter Straughan based on the 2016 novel by Robert Harris. ...
Normalerweise sind Schirm-Wälder wie dieser in Filmen schwarz, im Vatikan wird himmlisches Weiss bevorzugt.Bild: www.imago-images.de

Ralph Fiennes ist dafür bekannt, häufig den Bösewicht zu spielen. Warum wurde er hier eher gegen den Strich als Identifikationsfigur besetzt?
Ich bin eines Morgens aufgewacht und dachte: Ralph muss diesen Mann spielen! Er ist jemand, der uns in sein Inneres einlädt, egal, ob er böse oder gut spielt. Seine Figur steht in der siebten Reihe, soll nur organisieren, ist der Manager. Er hat nicht den meisten Dialog, hört viel zu. Da ist es wichtig, dass man jemanden hat, der uns hilft, seine Gedanken zu lesen – und das kann Ralph.

Die Gretchenfrage: Wie halten Sie es selbst mit dem Glauben?
Ich bin evangelisch, gehe höchstens einmal im Jahr zu Weihnachten mit den Kindern in die Kirche. Aus Traditionsbewusstsein, also mehr aus geschichtlichen denn religiösen Gründen. Wenn ich mir aber überlege, wir hätten keine Kirchen, keine Tempel, keine Synagogen oder Moscheen – was hätten wir? Dann würden wir einen grossen Teil unserer Wurzeln und unserer Herkunft verlieren. Egal, wo man herkommt, ist die Religion ein wichtiger Bestandteil unserer Identitätsfindung.

Eine essenzielle Frage, der sich die katholische Kirche stellen muss und auf die «Conclave» eine überraschende Antwort gibt: Soll sie sich weiterhin als Fels in der Brandung gegen den Zeitgeist positionieren oder sich doch progressiven Bestrebungen öffnen?
Ich bin kein Theologe und sehe es nicht als meine Aufgabe, religiöse Richtungen mitzubestimmen. Aber ein Grund, weshalb ich diesen Film gemacht habe, ist dieser: Die katholische Kirche ist das älteste Patriarchat der Welt, nach wie vor extremer als viele andere Institutionen. Frauen sind praktisch ausgeschlossen. Für mich ist Fortschritt immer wichtig. Am Ende des Films kann sich das Publikum vorstellen, dass die Zukunft auch anders aussehen könnte.

This image released by Focus Features shows Br�an F. O'Byrne, left, and Ralph Fiennes in a scene from "Conclave." (Focus Features via AP)
Ralph Fiennes (in Rot), der Mann, dessen Gedanken wir angeblich lesen können.Bild: keystone

Im März steht die Oscarverleihung an, bei der «Conclave» ziemlich sicher wieder mitmischen wird. Freuen Sie sich darauf?
Ich musste ja lustigerweise während der ganzen Vorbereitung für «Conclave» die Promotion für «Im Westen nichts Neues» machen. Das habe ich am Anfang fast bereut, ich wünschte mir ständig, ich hätte mehr Zeit, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Aber dann merkte ich: Es ist eine unheimliche Erleichterung, dass ich meinen nächsten Film schon gewählt habe. So muss ich nicht zu den Oscars gehen – und gewinne auch noch was –, und plötzlich ist da der Druck, oh Gott, was mache ich als Nächstes? Ich kann einfach weitermachen, egal ob Oscar oder nicht. So ist das jetzt auch, ich denke nicht an die Verleihung nächsten März, sondern arbeite an weiteren Filmen.

Ihren nächsten haben Sie ja mit «The Ballad of a Small Player» auch schon abgedreht. Inzwischen werden Sie im Boulevard als möglicher nächster James-Bond-Regisseur gehandelt, wiegeln jedoch zuverlässig ab ...
In der Boulevardpresse ist immer wahr, dass nichts wahr ist. Ich kann deutlich sagen: Da ist nichts dran, es gab keine Gespräche. Wer würde nicht James Bond machen wollen? Ich bin mit dieser Figur aufgewachsen und liebe sie. Es wäre eine unheimlich grosse Ehre, einen Bond-Film zu drehen. Aber es gibt keine Pläne dafür.

«Conclave» läuft jetzt im Kino.

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