Fast zwei Monate ist es nun her, als Fernsehen plötzlich sehr geisterhaft wurde: Shows fanden ohne Publikum statt, Abstände wurden vergrössert, alles wurde plötzlich so geisterhaft wie die Geisterspiele im Sport. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Stefano Semeria: Das war die Abbildung der Realität. Alle haben den Shutdown so erlebt. Vielleicht klingt es eigenartig, wenn ich sage: Insofern passte es. Aber unter Berücksichtigung aller Vorgaben war aktuelles Fernsehen nicht mehr anders möglich. Wir waren verpflichtet, zu reagieren. Und dann versuchten wir, die Stimmung im Land einzufangen. Und merkten: Es betrifft alle gleich. Vielleicht mit mehr oder weniger Platz, aber mit der Perspektive, dass man jetzt über einen nicht absehbaren Zeitraum enger zusammenrückt in einer Form, in der man sonst als Gemeinschaft nicht unbedingt zusammen ist.
Da beschreiben Sie den Slogan «Stay the fuck home!» jetzt sehr nett.
Es war ja nicht wie Ferien, da kann man raus. Den Shutdown konnte man nicht antizipieren, dafür gab's keine Anleitung. Programmatisch stemmte man aus der Situation heraus Neues, begegnete den Leuten plötzlich viel privater, das machte neugierig, weil es mit Voyeurismus zu tun hatte, aber auch mit Empathie, alle versuchten, das Beste aus der Situation zu machen. Was mich am meisten erstaunte, war, dass ich niemanden jammern hörte.
TV- und Online-Beiträge werden öfter auch zuhause gemacht, Moderatoren müssen ihr Wohnzimmer aufräumen, weil es zu einem kleinen Studio wird, die Technik muss neu organisiert werden, Redaktionen, die man sonst um sich hat, existieren jetzt auch nur online. Hat das eine Auswirkung auf die Teamdynamik?
Es klingt paradox, aber die Entfernung hat mehr Nähe gebracht. Weil man nicht beieinander sein kann und weil physisches Interagieren nicht möglich ist, müssen sich die Leute sehr viel mehr abstimmen und sich darauf konzentrieren, wer wo genau welche Verantwortung hat und wie wir etwas umsetzen. Es herrscht jetzt eine erhöhte Form der Aufmerksamkeit.
Sie sind der Abteilungsleiter Jugend, Familie und Unterhaltung bei SRF. Das heisst, Sie verantworten auch das Schulfernsehen und das Kinderprogramm. War bei den Letzteren im Shutdown ein Quoten-Quantensprung zu beobachten?
Ja, wir konnten einen sehr signifikanten Zuwachs erkennen. Bisher hielt ich Schulfernsehen, also Unterrichtsinhalte am TV, für einen Anachronismus – welcher Schüler schaut schon zum Frühstück SRF? Normalerweise brauchen Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler vor allem Inhalte, die zum Download bereit stehen. Während der Schulschliessung machte es unserer Ansicht nach aber Sinn, vor allem unser Angebot am TV auszubauen. Wenn der normale Unterricht weitergeht, ist die Notwendigkeit, das Schulfernsehen am TV derart aufrecht zu erhalten, jedoch hinfällig. Das gilt auch für das Kinderangebot, das sonst besonders online gefragt ist.
Wenn ich mir das Sommerprogramm 2019 von SRF anschaue, dann sehe ich dort lauter Sendungen, die heuer nicht stattfinden können: «Eusi Landchuchi», «DOK: Schweizer in L.A.», «DOK: Mein unbekanntes Amerika», «Reporter Spezial – Das ganze Leben», Sendungen zur Fêtes des Vignerons, den Bregenzer Festspielen und so weiter. Das kann ja jetzt alles nicht produziert werden. Was also bleibt?
Die «Landchuchi» wird’s tatsächlich nicht geben, und um die Welt zu reisen geht auch nicht. Aber anderes ist schon abgedreht und befindet sich in der Postproduktion. Und neue Formate sind auch möglich: Viola Tami wird zum Beispiel an Türen von Häusern klingeln, die eine ungewöhnliche Geschichte vermuten lassen. Und den «Donnschtig-Jass» wird’s mit einem angepassten Konzept ebenfalls geben.
Okay, das klingt nach keiner grösseren Krise im gewohnten Unterhaltungsangebot.
Ziel ist, so weit es geht, ein reguläres Programm anzubieten. Die Strukturen, denen das Fernseh- und Radioprogramm unterliegt, sind ja auch deshalb so wichtig, weil sie Verlässlichkeit im Alltag bedeuten. Das heisst nicht, dass wir keine Sondersendungen produzieren wollen, gerade dies ist ja eine Kernaufgabe der öffentlichen Sender und für das Publikum wichtig, aber wir wollen immer so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren. Fernsehen ist auch eine Gewohnheitshandlung, das müssen und wollen wir bedienen.
Wenn wir von verlässlichen Programmpunkten und damit vom berühmten Lagerfeuercharakter des Fernsehens reden, müssen wir auch über Fiktion reden. «Tatorte» können jetzt nicht gedreht werden, die dritte Staffel «Wilder» pausiert. Und was ist mit den Serien «Frieden» von Petra Volpe und «Neumatt» von Volpe und Pierre Monnard? Versinken wir jetzt monatelang in einem schwarzen Loch aus Wiederholungen?
«Frieden» ist abgedreht. Der «Wilder»-Dreh musste tatsächlich unterbrochen werden. Dreharbeiten anderer Produktionen sind entweder erfolgt oder starten erst im Herbst, und da muss man schauen, was im Herbst möglich sein wird. Ich verstehe, was Sie meinen, aber ich sehe das Loch nicht. Vielleicht haben wir auch einfach Glück gehabt, in welche Phase der Shutdown zufälligerweise fiel.
Pierre Monnard hat neulich gesagt, er führe das Casting für «Neumatt» per Zoom durch. Unter kreativ-produktiven Prozessen stelle ich mir etwas Anderes vor.
In Amerika ist der Serienmarkt seit einiger Zeit derart in Umwandlung, dass oft gar keine Castings stattfinden, sondern die Talente direkt verpflichtet werden, bevor sie von einer anderen Produktion weggeschnappt werden. Klar ist eine Zoom-Sitzung nicht gerade der traditionelle Weg. Und natürlich kann ein Film oder eine Serie nicht aus Distanz gedreht werden. Aber wenn man vorbereitende Massnahmen mal anders angeht, muss das nicht heissen, dass das Produkt schlechter wird. Es ist eine kurzfristige Form der Suche nach Alternativen, damit ein Produkt trotzdem so entstehen kann, wie es geplant war. Das gilt ja nicht nur für uns in den Medien, das gilt ja gerade für alles. Man muss sich jedes Projekt sehr genau angucken und sich fragen: Was ist jetzt noch wie möglich?
Gibt es auch spontane, neue, kreative Formate, die aus der jetzigen Situation heraus entstehen?
Natürlich gibt es Projekte, die wir machen, weil sie genau jetzt möglich sind. Und die machen wir dann auch nur jetzt. Man muss mit der Absurdität umgehen, auch das ist eine Form von Flexibilität. Letzte Woche lancierten wir via SRF Virus die Sendung «Haargast». Die Moderatorin Marina Fischer, die zufälligerweise auch noch ausgebildete Coiffeuse ist, frisiert Gäste, natürlich mit Mundschutz, und spricht mit ihnen über die Situation. Eine simple Idee, die in drei Wochen, wenn alle beim Coiffeur gewesen sein werden, auch wieder vorbei ist. Die Frage ist doch: Wie kann ich zur Normalität zurückkehren und wie kann ich die Besonderheit des Moments nutzen?
Apropos Besonderheit des Moments: Ist das Publikum von den unzähligen Corona-Sondersendungen nicht langsam erschöpft? Sehnt es sich nicht zunehmend nach dem Eskapismus einer fast schon nostalgischen Normalität?
Die Publikumsreaktionen, die bei unserem Kundendienst eingehen, beinhalten beides: Je länger je mehr entstand der Wunsch nach einer Normalprogrammierung, die Sondersendungen wurden aber gleichzeitig gelobt. Diese wurden inzwischen zurückgefahren. Falls sich die Situation aber noch einmal verschärfen würde, würden wir programmlich selbstverständlich darauf reagieren. Wie gesagt, das Publikum wünscht sich grundsätzlich eine Rückkehr zur Normalität. Auf der anderen Seite entstehen auch wahnsinnig viele schöne Geschichten im Corona-Kontext.
Erzählen Sie uns eine!
«Happy Day» am vergangenen Samstag hatte zum Beispiel eine enorm hohe Quote. Es war komplett ohne Publikum, und die Geschichten hatten alle mit Corona zu tun. Der Zuspruch zeigt mir, dass das Publikum auch daran ein Interesse hat. Es gibt den Überdruss, aber auch das Bedürfnis nach emotionalen Geschichten, die einen anrühren, weil sie vielleicht auch wiederspiegeln, was man selber durchgemacht hat.
Gut, «Happy Day» verspricht natürlich Happy Ends. Davon kann man jetzt gerade nicht zu wenig haben.
«Happy Day» ist einerseits Eskapismus, andererseits Teilhabe. Da wird Menschen gehuldigt, weil sie anderen helfen, ohne jemals dafür Dank zu wollen. Eine der grossen Erzählungen und Leistungen von «Happy Day» ist, dass man diesen Menschen, auf die die Gesellschaft ja angewiesen ist, auch mal Dank ausspricht. Und dann gibt’s die anderen, die sehr, sehr schwere Schicksale hinter sich haben, und denen man auch versucht, zu helfen. Und ich glaube, diese Teilhabe braucht man eben auch. Wenn es nur Eskapismus wäre, würde das Format nicht funktionieren. Aber es ist interessant, dass die Sendung jetzt, in der Krise, beide Nervenenden des Publikumsbedürfnisses so gut bedient.
Anstelle von WC-Papier währe das Alu für Aluhüte ausverkauft gewesen.
Anstelle von Herr Koch hätten uns C-Promis und dubiose Impfkritiker das Leben erklärt.
Aber das krasseste, was uns die Politiker ALLE verschwiegen haben .... bleiben sie dran. Sie erfahren es nach einer 20 Minütigen Werbepause.