Und plötzlich war alles eine Frage der Farbe. Als am vergangenen Donnerstag Harry und Meghan weitere drei Stunden lang sich selbst und ihre Rolle als royale Outcasts beweinten, trat der Rest der Firma abends in der Westminster Abbey zum Weihnachtskonzert an. Und machte genau das, was Meghan beklagt hatte: Sie demonstrierten nicht nur Zusammengehörigkeit, sondern eine modische Form der Gleichberechtigung, die es so, laut Meghan, gar nicht geben darf.
Mehrere Damen trugen nämlich Weinrot. Oder, wie die Engländer sagen: Burgunderrot. Oder, wie die Franzosen, die in ihren Rotweinen subtilere Nuancen erkennen als andere, auch sagen: Bordeauxrot. «Mehrere» bedeutet: Prinzessin Kate, ihre Tochter Charlotte, ihre Schwester Pippa, ein paar weniger bekannte Verwandte – und Williams Krawatte nicht zu vergessen.
Laut der britischen Modefachpresse, trugen sie allesamt denselben Farbton und zwar nicht irgendeinen, sondern eine minimal gedämpfte Fassung der «Farbe des Jahres 2023», jedenfalls hat dies die Farbbibel Pantone so beschlossen. Sie heisst «Viva Magenta» oder «Pantone 18-1750». Natürlich hat Viva Magenta auch einen Sinn, sie sei «frech, witzig und bezieht alle mit ein», sagt Pantone, «eine Farbe, die vor Schwung und Elan vibriert, die ein neues Signal der Stärke demonstriert, das wir alle für eine optimistischere Zukunft brauchen». 2023 soll ein einziges «Magentaverse» werden.
Ein alle inkludierendes Signal der Stärke also, fertig mit dem leicht kränklichen Violett (oder «Very Peri») von 2022. Und dies, nachdem Meghan erneut erzählt hatte, dass es den Damen der Firma als Sakrileg gelte, die gleiche Farbe wie deren Chefetage (in diesem Fall Kate) zu tragen. Dass sie, Meghan, sich deshalb mit Ausnahme ihrer Abschiedstour immer für mausige Nichtfarben entschieden habe. Und jetzt? «Ein Meer aus Burgunderrot», wie der «Guardian» titelte. Und dazu Umarmen, Abküssen, Gesang, strahlende Gesichter, alle angeblich entspannt und lieb zueinander.
Die Firma mag in vielem ungenügend sein, aber in symbolischen Aktionen war sie schon immer gut. Statt die beiden Nervvögel – oder auch sich selbst – zu kritisieren, demonstrierte man Festtagsminne. Und die Frage, ob eigentlich irgendwas die Royal Family ganz grundsätzlich zu erschüttern vermag – Diana-Gate, Andrew-Gate, Harry-&-Meghan-Gate – lässt sich mal wieder ganz grundsätzlich mit Nein beantworten. Oder mit: Vielleicht, doch sie werden sich nichts anmerken lassen. Denn das haben sie von der Queen gelernt: Das Private darf dem Öffentlichen niemals in die Quere kommen, und wenn es doch der Fall ist, muss man das eben aussitzen und in einem burgunderroten Mantel Stärke demonstrieren.
Weinrot gilt übrigens seit Jahrhunderten als die Farbe der Oberklasse. Und sehr lange – dazu steht auch Pantone ungeniert – war es eine tierische Farbe, gewonnen aus getrockneten und gekochten Cochenille-Schildläusen. Deren Rot sich übrigens auch heute noch in Naturkosmetik und Lebensmittelfarben befindet, etwa in Lippenstiften, Konfitüren, Gummibärchen, Wurstwaren oder roten Getränken wie Campari. Man muss bloss nach dem Zusatzstoff E 120 suchen.
Die ursprünglich aus Südamerika stammende Technik wurde im 16. Jahrhundert von den spanischen Eroberern nach Europa gebracht, das Rot der Läuse war weit leuchtender und haltbarer als europäische Färbemittel. Und es war Queen Elisabeth I., die sich als Anhängerin kolonialer Praktiken (Expansion, Sklaverei) besonders für das lausige Rot begeisterte.
Die royalen Ladies in Red einigten sich an jenem Schicksalsdonnerstag also nicht nur auf eine klassische Weihnachtsfarbe oder auf den letzten Schrei der nächsten Saison, sondern auch auf die traditionellste Farbe, die die Firma zu bieten hatte. Sie demonstrierten quasi im burgunderroten Block ihre unerschütterliche familiäre Einigkeit.