Gut möglich, dass diese Bruderliebe für immer zerstört ist. «Es geht in meiner Familie so oft darum, wie etwas aussieht, nicht, wie es sich anfühlt. Es sah kalt aus und es fühlte sich auch kalt an», sagt Harry über das Zusammentreffen mit den Royals an der Beerdigung von Prinz Philipp am 9. März 2020.
Vater und Bruder sind für ihn komplett vom institutionellen Pflichtbewusstsein imprägniert und «auf die Fehlinterpretation» der Ereignisse «fokussiert». Eine Fehlinterpretation, die wer wohl in die Welt gesetzt hat? Natürlich die böse britische Presse. Wenn Harry sich bei Charles darüber beschwert, sagt dieser: «My darling boy! Leg dich bloss nicht mit den Medien an! Die Medien werden immer die Medien sein.»
Und William verfasst hinter Harrys Rücken ein Pressestatement in ihrer beider Namen, nachdem die Brüder, Charles und die Queen auf Schloss Sandringham entschieden haben, dass es nun «Goodbye Grossbritannien» heisst für Harry und Meghan. Immer setzen sich alle über die beiden hinweg. Nur sie setzen sich ständig für sich ein.
Nach sechs Stunden «Harry & Meghan» steht fest: Die echten Royals sind noch selbstmitleidiger als die in «The Crown». Harry ist die exakte Kopie seines Uronkels König Eduard VIII., der aus Liebe zu einer geschiedenen Amerikanerin auf den Thron verzichtete und dennoch wie ein König behandelt werden wollte. Und er ist ganz fest der Sohn seiner Mutter Diana – vermutlich der einzige Mensch vor Meghan, der Harry authentisch begegnete. Sie brauchte einerseits die Öffentlichkeit, um darin ihren Gatten Charles zu übertrumpfen, und wurde andererseits von ihr verschlungen.
Harry und Meghan sind sich sicher, dass sie in ihrer kurzen Zeit in England die besseren, erfolgreicheren und beliebteren Royals waren als William und Kate. Dass sie, die «Nebendarsteller» also, dem künftigen König und seiner Frau die Show stahlen. Denn dass sie gut sind, daran zweifeln die beiden nicht. Die Monarchie hätte mit ihr «stärker, schneller» und überhaupt viel toller werden können, meint Meghan. Die Selbstüberschätzung des Paars ist so grandios wie der anhaltende Ausverkauf ihres Martyriums.
Ebenfalls grandios ist, wie sehr die beiden keinen Plan haben. Immer stolpern sie in irgendwas hinein und wundern sich dann, dass sich schon wieder jemand darüber lustig macht. Sie fliehen nach Kanada in eine Villa auf Vancouver Island und können es nicht fassen, dass Paparazzi in Booten die Insel ansteuern. «Es ist eine Insel!!!», ruft Harry, der im Ernst glaubte, dass Inseln pressesicher seien. Hat er von seiner Mutter nichts gelernt? Auf Mundart ist einer wie er ein Glögglifrosch.
Auch die Netflix-Doku dürfte so eine Stolperei sein, die Häme, die sich über die beiden entlädt, ist einhellig und global, aber hey, sie sind jung und brauchen das Geld, wenn sie schon den ganzen Tag über nichts machen als Vögel zu beobachten und mit Hunden, Hühnern und Kindern zu spielen. Einmal kommt Harrys Cousine Eugenie vorbei und alle haben viel Spass, einmal simst Beyoncé, und Serena Williams findet es umwerfend, wie viel Meghan geleistet habe. Hat sie das?
In Details hat man Mitleid. Wenn Meghan aus lauter Stress eine Fehlgeburt hat. Wenn der Rassismus der Klatschpresse überschäumt, oder der Drang, wieder und wieder die gute Kate gegen die böse Meghan auszuspielen. Wenn ihr Vater einen Brief von ihr der «Daily Mail» verkauft. Wenn herauskommt, dass zwölf der 83 hocheffizienten Anti-Meghan-Twitteraccounts von ihrer Halbschwester Samantha betrieben werden.
Ein Lichtblick der Doku ist ihre Hochzeit, immerhin, da habe sie zuvor einen Mimosa getrunken und ein Croissant gegessen und sei ganz happy zur Kirche gefahren, und auch Charles sei «äusserst bezaubernd» gewesen, sie habe ihm gesagt, dass sie im Lauf ihrer Liebe zu Harry «den Vater verloren» habe, und er habe dies verstanden und sei der beste Ersatzvater gewesen. Für eine kurze Zeit.
Netflix habe ich schon, aber soll ich dieses Theater wirklich anschauen?