Diese Serie ist maximal cringe – und gerade deswegen so grossartig
Wenn im Herbst die ersten Blätter von den Bäumen fallen, beginnt die «La La La La season». So nennen eingefleischte Fans von «Gilmore Girls» die Zeit im Jahr, in der sie die Mutter-Tochter-Serie aus den 2000ern wieder von vorn beginnen, oft zum x-ten Mal. Dazu gehöre auch ich.
Andere gehen ins Yoga, ich gucke «Gilmore Girls». Die charakteristischen «La La La Las», die die Serie musikalisch durchziehen, üben eine beinahe therapeutische Wirkung auf mich aus.
Es ist wohl kein Zufall, dass «Gilmore Girls» gerade in den kälteren Jahreszeiten Hauptsaison hat. «Gilmore Girls» ist wie ein warmes Bad – eine Serie zum Wohlfühlen, zum Anlehnen, zum Auftanken. Eine heile Welt, in die man immer zurückkehren kann.
2023, 16 Jahre nach Ende der Serie, war «Gilmore Girls» in den USA wieder unter den Top 10 der meistgestreamten Shows, sogar noch vor der beliebten Sendung «Friends».
Eine Fortsetzung der Serie ist zurzeit nicht in Sicht. Zum 25. Jubiläum ist laut dem «Hollywood Reporter» aber ein Dokumentarfilm geplant, für den Darstellerinnen und Crew-Mitglieder interviewt wurden.
Im Zentrum der Serie steht eine Mutter-Tochter-Beziehung. Und zwar jene der alleinerziehenden quirligen Lorelai Gilmore (Lauren Graham) und ihrer klugen gleichnamigen Tochter, die nur Rory (Alexis Bledel) genannt wird. Sie wohnen in der überschaubaren und gemütlichen Kleinstadt Stars Hollow.
Die Serie begleitet das Leben der zwei Hauptcharaktere – ihre Alltagsschwierigkeiten, Liebes- und Freundschaftsgeschichten, Trennungen sowie eine Reihe seltsamer Stadtfeste und -traditionen. Dramatische Handlungsstränge oder Episoden gibt es kaum. (Den verheerenden Streit zwischen Mutter und Tochter Ende der fünften Staffel vergessen wir jetzt einmal.)
Lorelai und Rory bezeichnen sich als «beste Freundinnen» – kritische Stimmen sagen: Sie sind co-abhängig. Sie bestellen sich Unmengen an Essen, trinken besorgniserregend viel Kaffee in Luke’s Café und reden immer ein wenig zu viel, zu laut, zu schnell, gespickt mit Popkultur-Referenzen, die kein Mensch jemals alle verstehen kann. Lorelai träumt vom eigenen Hotel, Rory von Harvard.
Das fiktive Städtchen Stars Hollow in Connecticut ist derweil ein Ort voller skurriler Figuren. Da ist zum Beispiel Kirk (Sean Gunn), der jeden Tag einen anderen Beruf ausübt, in seiner Freizeit verstörende Indie-Kurzfilme dreht und trotz alledem in der Kleinstadt in seiner Eigenart akzeptiert wird. Oder Paris (Liza Weil), Rorys forsche und ehrgeizige Mitschülerin, die sich von der fiesen Konkurrentin zur Freundin – oder zumindest so etwas in der Art – entwickelt.
Die Charaktere sind Originale, sie sind unperfekt, oft nervig, aber dennoch oder vielleicht gerade deswegen ungemein liebenswert und echt. Sie sind die erfrischende Antithese in Zeiten von geschliffenen, in Pastellfarben gehaltenen und sich auf gruselige Art ähnelnden Streaming-Serien. Zeiten, in denen man es möglichst vermeiden will, «cringe» zu sein.
Denn «Gilmore Girls» ist maximal cringe. Die Charaktere bugsieren sich immer wieder in Fettnäpfchen hinein und sagen ständig unpassende Dinge. Schlimm ist das trotzdem nicht. Die Serie vermittelt einem damit das Gefühl, dass man auch mal eine Fünf gerade sein lassen kann. Und alles schon irgendwie gut kommt.
Auch wenn der Plot nicht immer nachhallt, anderes aus «Gilmore Girls» bleibt haften: sei es der übersteigerte Kaffeekonsum der Protagonistinnen, Lorelais Kleidungsstil, ihre Gelassenheit oder die Angewohnheit der Gilmore Girls, alles auszusprechen, was ihnen gerade durch den Kopf geht.
Nicht nur Millennials, auch die Gen Z liebt «Gilmore Girls». Auf Instagram und TikTok zelebrieren unzählige Fan-Accounts den Anbruch des Herbsts, träumen sich in die Welt von Stars Hollow hinein und diskutieren darüber, ob Jess, Dean, Logan oder Tristan am besten zu Rory passt.
Diese Begeisterung geht zuweilen so weit, dass die Internet-Fangemeinde von «Gilmore Girls» eine beinahe übersteigerte Sehnsucht nach dem heilen, gegen aussen abgeschlossenen Stars Hollow entwickelt. Und hier lauert möglicherweise auch die Gefahr von Komfortserien wie «Gilmore Girls», in denen Weltpolitik, Klimawandel und Kriege nur als Referenzen am Rande stattfinden: Man muss aufpassen, sich nicht darin einzubunkern.