Um es gleich vorwegzunehmen: Mich zieht es nicht wegen der Nachhaltigkeit in Brockenhäuser. Was für ein leidig gewordenes Wort. Nachhaltig. Es wird einem tagtäglich mindestens 17 Mal um die Ohren gehauen. Es wird nachhaltig grilliert, man pflegt nachhaltige Hobbys, geht zum nachhaltigsten Quartierfrisör und wer raucht, der tut dies im Wissen, dass es nachhaltig die Arterien schädigt. Männer mit Hardware-Problemen kaufen nur noch Apps, die ihnen nachhaltig bei ihren Erektionsstörungen helfen, und während sich irgendwo jemand fragt, wie nachhaltig Pop-Festivals eigentlich sind, ist ein anderer nachhaltig von dir enttäuscht. Wahrscheinlich, weil du nicht nachhaltig genug in eure Freundschaft investiert hast. Dass er eventuell einfach ein nachtragender Idiot ist, der dich obendrein für eine Aktie zu halten scheint, kommt dir dann vor lauter nachhaltigen Schuldgefühlen gar nicht mehr in den Sinn.
Es ist doch so: Sobald die Menschen anfangen, ein einzelnes Wort derart masslos zu zelebrieren, ist ihm nicht mehr zu trauen. Der viele Speichel wäscht es allmählich stumpf, auf falschen Zungen zergeht sein Inhalt, wird restlos zersetzt, bis es nur noch reines Postulat, reine Behauptung ohne jedes Nachdenken ist. Wie ein durch tausend Stimmen wiederholtes Echo, das durchs Tal hallt und meint, auf diese Weise zur Wahrheit zu werden.
So. Genug der Wutrede.
Eigentlich wollte ich nur sagen, dass meine Brockenhaus-Liebe keinem hehren Handlungsprinzip entspringt. Ich mag einfach alten Plunder. Auch alte Geschichten und alte Menschen sind mir lieb, Trockenblumen und so meisterhaft eingetragene Schuhe, dass sie sich wie ein samtener Gipsabdruck an die Füsse schmiegen.
Im Grunde also alles, was alt ist und etwas zu erzählen hat. Und durch dieses Lange-auf-der-Welt-Sein einen eigenständigen Geruch entwickelt hat.
Manche nennen das auch Gestank, Mief oder, wenn sie etwas höflicher sind, sagen sie, während ihre Nase in einem hübschen Jugendstil-Schränklein oder wahlweise auch im Aufenthaltsraum eines Seniorenheims steckt, das «ältele» jetzt aber schon ganz gewaltig.
Ja! Hoffentlich auch!
Wie kann man auch erwarten, dass Dinge und Menschen im Laufe der Zeit keinerlei Geruch annehmen! Das Gehirn nimmt schliesslich auch alles an Erfahrungen und Wissen auf. Zumindest wird das von ihm erwartet. Und wehe dem ignoranten Trottel, der auf seinem Wege nichts lernt!
Warum also nicht: Wehe dem, der sich in Parfum einwolkt, der lieber seinen penetrant übel riechenden Moschusduft auf unschuldige Passantennasen loslässt, anstatt ein bisschen Eigenduft zuzulassen?
Das klingt jetzt wie ein Plädoyer für Schweissgeruch. So ist das natürlich auch wieder nicht gemeint.
Ein Art-déco-Buffet kann noch so hübsch sein, wenn sein einstiger Besitzer sich neben ihm jahrelang seine krummen Brissagos reingepfiffen hat, ist es für alle Zeiten verloren. Da kannst du noch so lange mit Essig, Zitronensaft, Backpulver oder Kafi herumexperimentieren, sag einfach Adieu.
Ich rede vielmehr von einem erlesenen Zwischending, einem, das keine Frische vorgaukelt, wo keine ist – die gibt es in vollendeter Form überhaupt nur an klitzekleinen Babys, wohl um die Bindung zur Mutter zu stärken, während sie dann in der Pubertät so sehr zu stinken beginnen, dass der Abnabelungsprozess auch ordentlich vorangetrieben wird –, von einem Zugeständnis ans Leben, an seine Vergänglichkeit und seine Duftnote.
Es sind Stücke gelebten Lebens, solche alten Dinge – und sie gehören gefeiert.
Finden tut man sie darum auch selten in den hip kuratierten, piekfeinen Brockis mitten in der Stadt, jenen überteuerten Stylo-Secondhand-Hochburgen, wo keiner anderen Formgestaltung mehr gefolgt wird als den klaren Linien des Mid-century modern. Hier hat man dann auch den ganzen Vergangenheitsstaub von den Möbeln gefegt, all die Kratzer, Scharten, Brandlöcher und die Ringe, die einst übers Glas geschwapptes Bier auf dem alten Horgenglarus-Beizentisch hinterlassen hat, rausgeschliffen und die Oberflächen poliert.
Nichts stinkt, alles erscheint neuwertig und herausgeputzt. Daran ist nichts Verwerfliches, es ist gut, wird hier alten Dingen neuen Glanz verliehen.
Nur ist es nicht das, was für mich ein wahrhaftiges Brockenhaus ausmacht. Ich will kein durchinszeniertes Möbelmuseum besuchen, sondern mich durch ein wimmelbuchartiges Durcheinander wühlen, vollgestopfte Regale vorfinden, die von keiner ästhetisch versierten Kennerhand gelichtet worden sind. Ein Ort, wo sich Hässlichkeit neben schierer Unbrauchbarkeit türmt, wo sich ganze unsortierte Haushalte geräumter Wohnungen stapeln, mitsamt dem daran haftenden Unflat und den längst verblassten Chläberli, mit denen ein Kind einst seine Schätze verschönert hat.
Das ist Brockenhaus-Feeling! Und nur so kriegst du diesen ganz besonderen Finder-Kick, wenn du zwischen all dem Ramsch und dem Schmuddel einen wunderbar gearbeiteten Kerzenständer, einen schön-schwulstigen Barock-Bilderrahmen oder einen wahrhaft meisterlich ausgestopften Siebenschläfer findest.
Mit zittriger, fast ungläubiger Hand greifst du nach dem Wunschobjekt, holst es aus seinem Versteck hinter der etwas schauerlichen afrikanischen Maske. Jetzt nur noch den pausbackigen Kitsch-Engel beiseiteschieben, dann hast du es geschafft. Vorsichtig versuchst du, den Staub von deinem Kleinod zu blasen, doch er bleibt, wo er ist. Über die vielen Jahre der Vernachlässigung allmählich braun und altersstur geworden, will er sich nicht mehr so einfach von seinem angestammten Platz lösen.
Dann gehst du zur Kasse, dem Tisch, der wie ein gut getarnter Bunker in der Mitte des Raumes steht, umrahmt von schützenden Vitrinen voller antiker Goldmünzen, Uhren und Broschen. Dahinter steht die Verkäuferin mit ihrer feuerroten Wildfrisur, die wie das haarige Spiegelbild dieses ganzen charmanten Laden-Gewimmels wirkt, und ihr feuerroter Mund fragt dich die rhetorische Brocki-Frage:
Du versuchst, deine Euphorie darob zu verbergen, die Tatsache, dass du für deinen aufgestöberten Schatz alles zu zahlen bereit bist, bangend, dass sie dies mit spielender Leichtigkeit an deinem inexistenten Pokerface abliest, um dann schamlos deine Unfähigkeit in Sachen Feilschen auszunutzen. Doch sie sieht dich gar nicht an, sie begutachtet bloss dein Fundstück, wiegt es in der Hand, dreht und wendet es, und verlangt dann so unerwartet wenig dafür, im Grunde gar nichts, woraufhin du ihr noch einen Batzen draufgibst.
Das ist formvollendetes Glück. Und jedes Mal, wenn du dein Juwel auf dem Sofa sitzend erspähst, strahlt ein wenig von jener selig-magischen Brocki-Kraft zu dir herüber.
So ein Glück – man kann es nicht anders sagen – ist geradezu nachhaltig.