Leben
Medizin

Medizin-Nobelpreis 2025: Was ist periphere Immuntoleranz?

Medizin-Nobelpreis 2025: Das bedeutet periphere Immuntoleranz

Woher weiss das Immunsystem, was es angreifen soll? Die diesjährigen Nobelpreisträger haben ein Grundprinzip des Immunsystems entdeckt und könnten damit Therapien revolutionieren.
06.10.2025, 14:3006.10.2025, 14:48
Lynn Zimmermann / t-online
Ein Artikel von
t-online

Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wurde an Mary E. Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi verliehen: «für ihre Entdeckungen zur peripheren Immuntoleranz». Aber was bedeutet periphere Immuntoleranz und warum ist sie für den Körper so wichtig?

Die Immuntoleranz schützt den Körper vor Überreaktionen

Das Immunsystem ist ein starker Abwehrmechanismus. Jeden Tag schützt es den Körper vor zahlreichen Krankheitserregern wie Viren, Bakterien, Pilzen oder Parasiten. Ohne das System könnte der Mensch nicht überleben. Entscheidend für seine Schutzwirkung ist auch die Fähigkeit der Immunzellen, Krankheitserreger von körpereigenen Zellen zu unterscheiden – und nur die Krankheitserreger zu bekämpfen. Das wird als Immuntoleranz bezeichnet.

3d rendered medically accurate illustration of white blood cells attacking a cancer cell
Die Entdeckung der regulatorischen T-Zellen könnte bei der Krebstherapie helfen. (Symbobild)Bild: Shutterstock

Aber einige Krankheitserreger können sich als Körperzellen tarnen. Und manchmal greift das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen an. Das bezeichnen Mediziner als Autoimmunreaktion. Wie das Immunsystem den Überblick darüber behält, was bekämpft werden muss und was nicht, ist Gegenstand der Forschung der diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin.

Wie funktioniert die Immuntoleranz?

Das Immunsystem schützt den Körper unter anderem, indem spezialisierte Abwehrzellen – sogenannte T-Zellen – Krankheitserreger erkennen und bekämpfen. Dabei übernehmen verschiedene T-Zell-Typen bestimmte Aufgaben: Helfer-T-Zellen alarmieren andere Immunzellen, wenn sie Viren oder Bakterien entdecken, während Killer-T-Zellen befallene oder entartete Zellen zerstören.

Jede T-Zelle besitzt einen einzigartigen «Sensor» auf ihrer Oberfläche, den T-Zell-Rezeptor. Dieser funktioniert wie ein Schloss, das nur zu bestimmten Molekülen – etwa von Viren oder Bakterien – passt. Da diese Rezeptoren zufällig gebildet werden, entstehen aber auch T-Zellen, die körpereigene Strukturen erkennen könnten. Damit das Immunsystem nicht den eigenen Körper angreift, durchlaufen T-Zellen im Thymus, dem lympathischen Organ im Brustkorb, eine Art Prüfung. Dabei werden jene Zellen aussortiert, die auf körpereigene Proteine reagieren – ein Prozess, den Wissenschaftler zentrale Immuntoleranz nennen. Trotzdem entkommen einzelne fehlgeleitete Zellen dieser Kontrolle.

Osaka University professor Dr. Shimon Sakaguchi reacts as he speaks at a news conference in Suita, near Osaka, western Japan, Monday, Oct. 6, 2025, after he won the Nobel Prize in medicine. (Shohei Mi ...
Einer der diesjährigen Medizin-Nobelpreis-GewinnerShimon Sakaguchi.Bild: keystone

Der japanische Immunologe Shimon Sakaguchi entdeckte, dass es eine Art «Sicherheitsdienst» im Immunsystem geben muss, der solche überaktiven T-Zellen im Zaum hält. In den 1990er-Jahren identifizierte er eine neue Klasse von T-Zellen, die das Immunsystem beruhigen: die regulatorischen T-Zellen. Diese besonderen Abwehrzellen verhindern, dass die Immunreaktion aus dem Ruder läuft. Sie sind damit entscheidend dafür, dass das Immunsystem Freund und Feind unterscheiden kann.

FoxP3-Gen steuert die Entwicklung der regulatorischen T-Zellen

Mary Brunkow und Fred Ramsdell entdeckten in den 1990er-Jahren eine weitere wichtige Komponente in der peripheren Immuntoleranz: das FOXP3-Gen. Es steuert die Entwicklung der regulatorischen T-Zellen. Fehlt dieses Gen oder ist es fehlerhaft, gerät das Abwehrsystem ausser Kontrolle: Es greift gesundes Gewebe an und verursacht schwere Autoimmunerkrankungen.

Diese Entdeckung lieferte Shimon Sakaguchi den entscheidenden Hinweis: Er konnte zeigen, dass das FOXP3-Gen notwendig ist, damit sich regulatorische T-Zellen überhaupt bilden. Damit wurde klar, dass dieses Gen das Gleichgewicht des Immunsystems steuert. Es stellt sicher, dass Abwehrzellen nach einer Infektion wieder zur Ruhe kommen und den eigenen Körper verschonen.

Wie geht die Forschung zur Immuntoleranz weiter?

Die Arbeiten der Preisträger gelten als wegweisend für ein neues Forschungsfeld in der Immunologie. Ihre Erkenntnisse bilden die Basis für innovative Therapieansätze, die derzeit in vielen klinischen Studien getestet werden. Ziel ist es, Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder Multiple Sklerose künftig gezielter behandeln oder sogar heilen zu können.

Auch in der Krebsmedizin und bei Stammzelltransplantationen wecken die neuen Ansätze grosse Hoffnung. Krebstherapien sollen dadurch wirksamer werden und man hofft, schweren Komplikationen nach Stammzelltransplantationen vorbeugen zu können.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Sparverhalten Schweizer:innen
1 / 4
Sparverhalten Schweizer:innen

79 Prozent der Schweizer:innen finden Sparen wichtig.

Auf Facebook teilenAuf X teilen
Stell dir vor, dein Nachbar klingelt und sagt dir, dass du Nobelpreisträger bist
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
5 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wurstgesicht
06.10.2025 14:38registriert Dezember 2018
Ich verstehe kaum was davon... ABER es fasziniert mich, dass diese Leute alles entdecken und forschen! Danke dafür!
221
Melden
Zum Kommentar
5
Das wahre Grauen hinter der Serie «Monster»: Das war Ed Gein
Die neue Staffel von «Monster» handelt von Ed Gein. Der Mörder wurde berühmt, weil er Leichen ausgrub und menschliche Überreste zu Gegenständen verarbeitete.
Ed Gein zählt zu den berüchtigtsten Mördern der USA. Obwohl ihm lediglich zwei Morde nachgewiesen werden konnten, waren seine Taten derart grausam, dass sie zahlreiche Hollywood-Produktionen inspirierten – darunter «Psycho», «The Texas Chain Saw Massacre» und «The Silence of the Lambs».
Zur Story