Stromae war 2014 das Konzertereignis des Jahres. Damals, auf seiner Tour «racine carée», hat er uns gezeigt, was eine Konzertshow im 21. Jahrhundert sein kann: Ein faszinierendes multimediales Spektakel aus Musik, Film, Licht und Tanz. Gleichermassen anregend für Hirn, Bauch, Herz und Beine. Eine Sensation der Sinne.
Das war vor seinem Rückzug 2015. Der belgische Maestro war ausgebrannt, geplagt von Depressionen, hat mit sich und der Welt gehadert - und uns warten und schmoren lassen.
Jetzt hat er sich für ein erstes Schweizer Konzert am grössten Openair der Schweiz, dem Paléo Festival in Nyon, zurückgemeldet. Die Erwartungen dementsprechend gross, die Vorfreude noch grösser. Das Konzert restlos ausverkauft und die Grande Scène bereits eine Stunde vor dem Konzert dicht besetzt.
Um 23.15 Uhr ist es soweit. Ein Animationsfilm führt durch eine apokalyptische Kraterlandschaft in die Welt von Stromae. Futuristischer als zuletzt. Es ist eine Welt der Roboter und Stromae wird als Avatar dargestellt. Wir kennen diese Art szenischer Einstieg schon von seiner Show «racine carée». Der Avatar stöpselt ein und Stromae erscheint in echt auf der Bühne. Die Menge jubelt.
Die triumphale Overtüre «Invaincu» erklingt. Die Zeile «Du hast mehr Siege als Niederlagen… Du hast den Krieg nicht gewonnen… solange ich lebe, bin ich ungeschlagen,» erhält erschreckende Aktualität, obwohl es eigentlich um den Kampf der Menschheit gegen Krankheiten und Seuchen geht. Hier wirkt es als heroisches Widerstandslied. Ein Lied der Hoffnung. Stromae reckt seine Faust in den Himmel - wenn unser dünne Held auf der Bühne nur nicht so zerbrechlich und verwundbar wirken würde.
Es ist kein traditionelles Konzert, in welchem sich die Musiker an ihren Instrumenten abschwitzen. Bei Stromae stehen die vier Musiker hinter Designertischen. Alles ist perfekt und minutiös durchgetaktet. Das Konzert wird als Gesamtkunstwerk zelebriert. Kein Zweifel: Stromae kanns noch. Aber hatten wir das nicht alles schon? Tatsächlich knüpft er dort an, wo er vor acht Jahren aufgehört hat.
Er spielt siebzehn Songs in gut anderthalb Stunden. Die Veränderungen sind nicht fundamental, doch es fällt auf, dass die alten Hits wie «Papaouitai» und «Formidable» von raffinierten Lichtinstallationen unterstützt sind. Bei den meisten neuen Songs werden auf der Leinwand dagegen ganze Geschichten erzählt. Es kommt bei der neuen Stromae-Show eine neue Ebene, eine neue filmische und erzählerische Dimension dazu.
Den grössten Unterschied macht heute aber die Musik aus. Afrikanische und orientalische Rhythmen waren schon immer seine Passion. Heute ist seine Musik aber noch ausgefeilter und variabler und lässt Musik aus allen Kontinenten einfliessen. Ein bulgarischer Frauenchor hier, eine türkische Flöte oder ein Balafon da. Aber vor allem der kolumbianische Cumbia-Rhythmus und der Spitze Klang der Andengitarre Charanga haben dem belgischen Weltenbummler angetan. Dazu der wimmernde Klang der zweisaitigen, chinesischen Geige Erhu. Das alles mischt er mit dem Charme und der Poesie des französischen Chansons zu einem weltumspannenden, völkerverbindenden Popsound. Stromae treibt die Lust am musikalischen Fabulieren an. Seine Musik ist heute verspielter denn je.
Stromae liebt es, traditionelle Rhythmen aufzunehmen und dann neue Akzente zu setzen, indem er sie raffiniert verschiebt und verzögert. Wie etwa im zehnminütigen «Sante», wo er die Rhythmen galoppieren und hüpfen lässt, aber auch stolpern, hinken und lahmen. Stromae feiert in Nyon ein Fest der Vielfalt und der Hoffnung. «Ja, lasst uns diejenigen feiern, die nicht feiern», singt Stromae weiter, «ich möchte mein Glas auf diejenigen erheben, die keins haben.»
Es stimmt: Stromae mag uns heute nicht mehr so überraschen wie damals, aber Ereignisse sind seine Konzerte alleweil. Schön ist Stromae zurück. «C'était formidable, maestro!»