Aaron Carter ist tot. Er wurde am Wochenende leblos in der Badewanne seines Domizils in Lancaster im US-Bundesstaat Kalifornien gefunden. Er wurde nur 34 Jahre alt.
Es ist das Ende eines jungen, aber bewegten Lebens. Es ist das Ende seiner komplizierten Familienfehde, die bereits das Leben von Aarons Schwester Leslie kostete. Zwei tote Kinder, ein toter Ehemann – die Carters bezahlen einen hohen Preis für den Erfolg im Showbusiness. Doch hinter der Fassade von Millionen verkauften Alben brodelt es schon lange.
Erste Risse erhält diese, als Backstreet-Boy Nick 2002 zum ersten Mal verhaftet wird. Er liefert sich alkoholisiert vor einem Club in Tampa, Florida, ein lautes Wortgefecht mit einer Frau. Als der Blondschopf sich auch nach mehreren Anweisungen der Polizei nicht beruhigt, wird er in Handschellen abgeführt. Ausgerechnet er, der blonde Traumschwiegersohn der Zuckerpop-Band, schreibt negative Schlagzeilen. Dabei war seine Karriere von seiner Mutter doch so akribisch vorbereitet worden: Gesangsunterricht im frühen Alter, dazu Tanz- und Ballettstunden. Schon als Kind wird klein Nick von Casting zu Casting geschleppt.
«Ich habe mein ganzes Leben für dieses Kind geopfert – und für das andere», erklärt Mutter Jane später in der TV-Sendung 20/20 ihr Verhältnis zu ihren Söhnen. Ihre Töchter erwähnt sie nicht. Die fühlen sich benachteiligt und nennen ihre Brüder nur «Cashcows».
Mutter Jane ist eine typisch amerikanische Momagerin – eine Mischung aus Mutter und Managerin –, wobei das Muttersein laut Aaron zu kurz kommt. «Ich will doch einfach nur eine Mutter haben, mit der ich mich über Teenagersachen streiten kann», beklagt er sich in derselben TV-Show, «bei unseren Gesprächen dreht sich immer alles nur ums Geld». Dafür veröffentlicht Mutter Jane zwei Bücher über ihre Söhne – «mit Geheimnissen, die nur eine Mutter wissen kann».
Zu diesem Zeitpunkt ist das Verhältnis der beiden Jung-Stars zu ihrer Mutter bereits zerrüttet: «Bei jeder Show habe ich zwischen 40'000 und 50'000 Dollar verdient», behauptet Aaron weiter. «Dieses Geld ist einfach weg. Dafür hat meine Mutter zwei Wohnwagen voller Kleider.»
2003 wird es auch Vater Robert zu bunt. Er will sich scheiden lassen. Mutter Jane interpretiert die Situation anders, dringt während des laufenden Scheidungsprozesses in der Nacht in Roberts Eigenheim ein und erwischt ihn mit einer anderen Frau. Diese zieht sie an den Haaren aus dem Bett und schlägt mit einer Fernbedienung auf sie ein: «Als ich beim Haus ankam, waren überall Scherben. Blut tropfte von der Türfalle. Ich hörte Schreie», beschreibt Aaron die Situation später. «Im Schlafzimmer versuchte ich, meine Mutter festzuhalten, doch sie trat mir ins Gesicht und warf mich ab. Da rief ich die Polizei.»
Danach versuchen sich wenigstens die fünf Kinder zusammenzuraufen. 2006 ziehen sie für House of Carters zusammen in eine WG in Los Angeles. Reality-TV als Beziehungskitt? Es funktioniert nicht. Die jungen Erwachsenen scheitern an ihren Egos und an einer völlig unterentwickelten emotionalen Intelligenz. Aaron wird später zu Protokoll geben, er leide an Schizophrenie, einer bipolaren Störung und Angstzuständen. Ausserdem sei er schwer alkoholabhängig und benötige Hilfe. Hilfe bräuchte auch Schwester Leslie. Doch während Mutter Jane Aaron zum ersten Mal in die bekannte Betty-Ford-Entzugsklinik einliefert, kommt für Leslie jede Hilfe zu spät.
Leslie Carter, auch sie hatte sich als Sängerin versucht, wird 2012 tot im Appartement ihres Vaters in New York gefunden. Ein Cocktail an rezeptpflichtigen Medikamenten führte zu einem Herzstillstand. Sie hinterlässt die zehn Monate alte Tochter Alyssa Jane. Leslies Medikamentensucht war in der Familie bekannt gewesen. Eine Woche zuvor hatte ihr der finanziell ebenfalls angeschlagene Aaron angeboten, die Behandlung ihrer Sucht zu bezahlen. Und sie hatte eingewilligt.
Die Wut der Familie konzentriert sich nun auf Nick. Ihm wird vorgeworfen, seine (finanziellen) Möglichkeiten nicht zum Wohle der Familie eingesetzt zu haben. «Zu einem gewissen Grad habe ich das damals auch selbst geglaubt», gibt er später in der TV-Show von Dr. Phil zu. Deshalb bleibt Nick der Beerdigung seiner Schwester fern.
Ein Jahr später meldet Aaron Carter Konkurs an. Zu diesem Zeitpunkt hat er 3,5 Millionen Dollar Schulden. Bis zu seinem 18. Lebensjahr hatten seine Eltern seine Finanzen verwaltet. Mit dem 18. Lebensjahr erhielt der ehemalige Kinderstar zwei Millionen Dollar – aber auch vier Millionen Steuerschulden: «Meine Eltern haben wenig richtig gemacht damals», sagt er später gegenüber «20/20», «Ich hätte eigentlich 20 Millionen erhalten müssen». Tatsächlich gelingt es Aaron aber, sämtliche Schulden bis 2014 zurückzubezahlen – auch wenn seine Karriere bereits arg stottert.
2017 stirbt Vater Bob an einem Herzinfarkt. Aaron greift erneut zur Flasche, erneut liefert er sich in eine Entzugsklinik ein. Schlagzeilen schreiben schon länger nur noch seine Eskapaden. Dank Social Media bleibt er wenigstens im Gespräch. In einer längeren Erklärung outet er sich als bisexuell. Er habe als 17-jähriger, nach mehreren Beziehungen mit Frauen, «ein Verhältnis mit einem Mann gehabt». Seine Freundin Madison Parker verlässt ihn darauf. Ein Jahr später rudert Aaron zurück: «Die Sache wurde missinterpretiert. Es war ein einmaliges Ereignis als 17-Jähriger. Ich sehe mich selbst mit einer Frau, Kindern und einer Familie.»
Bei Bruder Nick ziehen derweil düstere Wolken auf. Verschiedene Frauen werfen ihm Gewalt und sexuellen Missbrauch vor. Am prominentesten die Sängerin Melissa Schuman. Doch die Sache ist verjährt und das Verfahren wird eingestellt, was Nicks Anwälte als Freispruch werten. Schuman hingegen doppelt nach: «Es war das beste, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.»
2019 erscheint Aaron Carters letztes Album. Es floppt und schafft es in keine relevanten Top-100-Charts. In den Niederungen des Reality-TV lässt er sich in «The Doctors» untersuchen, eröffnet, dass ihn seine verstorbene Schwester Leslie dazu brachte, Haushaltsmittel zu schnüffeln. Auch das Verhältnis zu Bruder Nick wird immer vergifteter. Es kommt so weit, dass Nick und Schwester Angel gegen Aaron ein Kontaktverbot verfügen: «Wir sind zu diesem traurigen Schluss gekommen, weil Aaron sich immer eigenartiger verhält. Ich hoffe, er kriegt die nötige Behandlung, bevor er sich oder andere verletzt», schreibt Nick auf Twitter. Zuvor hatte Nick Aaron vorgeworfen, er habe gedroht, Nicks schwangere Partnerin zu töten.
Aaron reagiert noch am selben Tag und nennt seinen Bruder einen Serienvergewaltiger: «Ich habe mit dir abgeschlossen – fürs Leben.» Ausserdem äussert er Befürchtungen, dass ihm etwas zustossen könnte: «Ich habe in meinem Leben so viel Missbrauch von meinem Bruder erfahren, dass ich ihm alles zutraue.»
2021, eine Woche nach der Geburt seines Sohnes Prince Lyric Carter, trennen sich Aaron Carter und seine Partnerin Melanie Martin, ein Hobby-Pornosternchen. Schuld an der Trennung sei seine Schwester Angel. Sie habe die alten Drohungs-Vorwürfe gegenüber seinem Bruder wieder aufgewärmt und damit die Familie zerstört. Melanie Martin äussert sich nicht und löscht sämtliche Social-Media-Kanäle.
«Mein Bruder und ich hatten eine komplizierte Beziehung», schrieb Nick Carter nach dem Tod von Aaron auf verschiedenen Social-Media-Kanälen, «meine Liebe zu ihm hat jedoch nie nachgelassen». Die Wahrheit sei, «dass Sucht und psychische Krankheit hier der wahre Bösewicht sind». Nun habe Aaron die Chance, im Jenseits endlich Frieden zu finden: «Gott, bitte kümmere dich um meinen kleinen Bruder.» Man kann es auch für den Rest der Familie nur hoffen.
Guckt da der Staat einfach mal weg?