Ihr Lieben, lasst mich kurz persönlich werden: Ich sass im Kino und schaute «MaXXXine» und dachte, wooooow, hier hat ein sehr schlauer und schamloser Algorithmus die perfekte Beglückungsmaschine für mich erfunden. Dann sah ich, dass Martin Scorsese das auch fand. Und Stephen King. Den einen kann man ruhig zu den weltgrössten Kompetenzen in Sachen Kino und Filmgeschichte zählen. Und der andere versteht alles von Horror.
«MaXXXine» ist ein komplett Hollywood-verliebter Horrorfilm. Pornodarstellerin Maxine Minx (Mia Goth) lebt – wir sind im antiken Jahr 1985 – in L.A. und will Filmstar werden. Der Weg aus der Erotikvideo-Gosse führt sie direkt ins Horror-Genre; sie wird dort von einer ambitionierten und äusserst aristokratisch wirkenden Regisseurin (Elizabeth Debicki) angeheuert, die selbst von Arthouse-Filmen träumt und gerne klug schwafelt. Derweil terrorisiert ein Serienmörder die Szene, metzelt Maxines Freundinnen und Freunde dahin. Oder sind es gar zwei Serienmörder?
So einiges scheint sich labyrinthisch zu vervielfältigen, tolle Kulissengassen aus alten Hollywoodklassikern erwachen zu neuem gespenstischen Leben und Hitchcocks originale «Psycho»-Villa wird reaktiviert (Regisseur Ti West durfte dort auch einen Teil seines Drehbuchs schreiben), selbst das Sperrholz auf der Rückseite der bemalten Fassaden atmet Filmgeschichte. Schmierige Handlanger des Bösen (Kevin Bacon) und Detektive (Bobby Cannavale und Michelle Monaghan) tauchen auf und erinnern an Filme aus den 50ern – und was macht ein uraltes Homevideo von Maxine als Kind plötzlich unter dem Hollywood-Schriftzug?
Es verstecken sich wahrscheinlich eine Milliarde von winzigen, funkelnden Liebeserklärungen an Kultfilme in «MaXXXine», die entsprechende Ostereiersuche wird Fans noch lange beschäftigen, und mit Ausnahme einer Szene, die sich Ti West von «Eyes Wide Shut» geliehen hat und die wirklich zu albern ist, um gut zu sein, sind sie äusserst liebevoll und sorgfältig gemacht. Das ist ein nostalgiegeladenes, gelegentlich bluttriefendes Fest, ein bisschen wie Tarantino, bloss mit weniger Geld und viel mehr Herz.
MaXXXine is terrific.
— Stephen King (@StephenKing) July 4, 2024
Dass sich aus dem Phänomen Film an sich plus Horror gerne Horrorfilme ergeben, kennt man ja – die «Scream»-Reihe und alle ihre Ableger haben das wunderbar für den Mainstream aufbereitet, haben die Gelegenheit genutzt, um den Kinosaal als unheimlichen Ort zu inszenieren, an dem das Böse aus der Leinwand kommt und auf die Realität des Publikums übergreift. In «MaXXXine» geht vom Kino selbst nichts Böses aus, im Gegenteil, das Kino muss immerzu gegen pöbelnde Puritaner, die auf der Strasse nach Zensur schreien, ankämpfen. Das Kino, die Filmindustrie, die Leinwand sind für Maxine Minx verheissungsvolle Orte, befreite Paradiese.
«MaXXXine» bildet gemeinsam mit «X» und «Pearl» eine Trilogie der Genialität zwischen dem Regisseur Ti West und der Schauspielerin Mia Goth. «X» spielt in den 70ern, Maxine Minx (Goth) landet da mit ihrer Crew für einen Horrodreh auf der Farm eines mörderischen alten Paars. Die Frau heisst Pearl (ebenfalls Goth) und ihre Geschichte erfahren wir wiederum in «Pearl», einem schaurigen Psychoslasher aus dem Jahr 1918, als die spanische Grippe auch in den USA Tote forderte («X» und «Pearl» wurden während der Covid-19-Pandemie gedreht, daher das Seuchenmotiv).
Pearl ist eine Farmertochter, die davon träumt, ein Filmstar zu werden, aber den Ausstieg aus dem falschen Leben nicht schafft und deshalb böse wird. «Pearl» ist in den satten Farben des Technicolor gedreht und eine ziemlich perverse Neuinterpretation des amerikanischen Klassikers «The Wizard of Oz». Ein endloser Spass. Und der Durchbruch für Ti West und Mia Goth, die am Drehbuch mitgearbeitet hatte.
Mia Goth ist aktuell so was wie die amtierende Göttin im Horror-Genre. Die Britin mit einer brasilianischen Mutter und einem kanadischen Vater wuchs in Rio de Janeiro und London auf, die Mutter war eine alleinerziehende Kellnerin; Goth, die auch heute mit 30 noch grosse Ähnlichkeit mit der blutjungen Kate Moss hat, wurde von der Strasse weg als Model gecastet und kam als 18-Jährige zum Film.
Ihre erste Rolle spielte sie ausgerechnet in Lars von Triers verstiegener Sexorgie «Nymphomaniac», ihr Filmpartner war Shia LaBeouf, ein Jahr später heirateten die beiden in Las Vegas, trennten sich, fanden sich wieder, seit 2022 sind sie Eltern einer Tochter. Sein Drogenkonsum ist legendär, die Verfahren gegen ihn wegen körperlicher Gewalt sind Legion – auch Goth wurde bereits einmal verklagt, sie soll einen Statisten beim Dreh von «MaXXXine» getreten und verhöhnt haben, ihre Produktionsfirma A24 boxte sie raus.
Es steckt etwas satanisch Kompromissloses in ihrem Spiel, sei es in den Filmen von Ti West oder in «Infinity Pool» von David Cronenbergs Sohn Brandon Cronenberg. Da spielt sie an der Seite von Alexander Skarsgard eine Frau, die nach Osteuropa in ein sonderbares Wellnesscamp reist: Superreiche können sich dort klonen lassen und anschliessend werden die Klone an ihrer Stelle bestraft. Ablasshandel vom Feinsten. Die Welt ist schlecht, der Mensch ein Schlächter.
In «Pearl» verfüttert Pearl ganz unverfroren eine Gans an ihr Lieblingskrokodil. In «MaXXXine» steht auf Maxines Schminktisch eine Keramikgans. Sie ist bis oben voll mit Kokain. Zeiten und Inhalte ändern sich. Die Träume bleiben die gleichen.
«MaXXXine» läuft jetzt im Kino.
Tarantino ist doch nicht wegen des Geldes erfolgreich. Desweitern schlachtet Tarantino mit sehr viel Herzblut. Tarantino vwerwandelt seine Schlachtfeste in Opern des Blutes. Er ist der Hohepriester des gepflegten Schlachtens. Es ist nicht nur das Schlachten an sich, sondern die musikalische und visuelle Untermalung des Dezimierens von Menschen.
Man, jetzt muss ich mich gleich selber loben. Eine Laudatio auf Quentin Tarantino, die sich gewaschen hat.
N.Y.P.
Also im echten Leben? Ein Mann wäre dafür in alle Ewigkeit gecancelt worden.
Gruss
Chorche, the worlds greatest Spielverderber