Es gibt um und in diesem Film nichts Dezentes. Die einen – etwa der «Guardian» – geben ihm 5 von 5 Sternen und finden alles waaaahnsinnig super, er würde «brillant zwischen Ernst und Albernheit balancieren». Die andern – etwa der Schauspieler John Barrowman, bekannt aus Produktionen mit paranormaler Tendenz wie «Shark Attack 3: Megalodon» oder «Doctor Who» – twitterte, «Old» von M. Night Shyamalan sei der letzte Dreck und er habe an der Kinokasse sein Geld zurückverlangt. Dabei taggte er den Regisseur in seinem Tweet. Was ihm wiederum einen Shitstorm eintrug, der ihn der Respektlosigkeit und Unsensibilität bezichtigte.
Sagen wir so: Barrowmans Meinung trifft sich mit der der meisten Kritikerinnen und Kritiker jenseits des «Guardian». Nur mussten die keinen Eintritt zahlen, sonst hätten sie ihn vielleicht auch zurückverlangt. Aber ist «Old» wirklich so genial? Nein. Und so grottenschlecht? Nein, auch nicht. «Old» ist ein typischer Shyamalan: Eine tolle Idee wird unterhaltsam, aber schlampig umgesetzt.
M. Night Shyamalan hat einen Film gemacht über einen Strand, an dem man schneller altert und dann stirbt, also genau so wie bei einem Film von M. Night Shyamalan.
— Renato Kaiser (@Renato_Kaiser) July 27, 2021
Die Idee (sie stammt nicht von Shyalaman, sondern aus der Graphic Novel «Sandcastle» von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters) geht so: Ein allzu freundlicher Ressortbetreiber spediert spezielle Gäste an einen Traumstrand, den sie nicht mehr verlassen können, und an dem sie in Rekordzeit altern. 50 Jahre in einem Tag. Wobei der Alterungsprozess für Kinder weit einschneidender ist als für Erwachsene. Die Erwachsenen werden einfach alt. Kinder verändern sich grundsätzlich. Nur wächst ihr Wissen nicht mit dem Körper. Womit sie dann zum Beispiel plötzlich völlig unaufgeklärt in der Pubertät stecken. Dass all dies mit einer höchst erfolgreichen Pharmafirma in Verbindung stehen könnte, wird uns schon in den ersten Minuten aufs Auge gedrückt.
«Old» ist eine Hommage an vieles – an die Mutter-Sohn-Beziehung aus «Psycho», an «Rosemary's Baby», an die Insel-Mystery-Serie «Lost», an Agatha Christies «Und dann gabs keines mehr», vermutlich an die Inselkomödie «Forgetting Sarah Marshall», ganz sicher an all die Filme, in denen Kinder in den Körpern von Erwachsenen stecken und umgekehrt. Und vielleicht – aber nein, dieser Gedanke ist zu ketzerisch – ja auch an Michael Steiners Missgriff «Missen Massaker» ...
Da wird zitiert und zusammengestöpselt, dass sich manche Szenen am Ende so ausnehmen wie die Insta-Barbie Chrystal (Abbey Lee, eine der Model-Amazonen aus «Mad Max: Fury Road»), die sich mit viel Autoagressionspotential selbst zerstört und dann falsch wieder zusammenwächst. Natürlich ist die Schadenfreude, dass ausgerechnet eine wie Chrystal an den Vergreisungsstrand spediert wird, beim Zuschauen immens.
Das Glück dieses Films ist das Ensemble, das im Verlauf eines zehn Wochen lang unter strengster Quarantäne stehenden Drehs in der Dominikanischen Republik eindeutig viel Gespür füreinander und das Insularische entwickelt hat: Vicky Krieps («The Phantom Thread»), die einst ihre Schauspielausbildung in Zürich gemacht hat, und Gael García Bernal spielen die Capas, sie ist die leicht überspannte Kuratorin in einem naturhistorischen Museum, er ein statistikfixierter Versicherungs-Aktuar; Clint Eastwoods schon fast künstlich schöne Tochter Francesca Eastwood ist die roboterartige Gastgeberin im Ressort; und Rufus Sewell («The Man in the High Castel») spielt einen Arzt, dem wirklich niemand vertrauen sollte.
Alle sind ständig mit seltsamen Ablenkungs- und Konzentrationsübungen beschäftigt, versuchen, sich Dinge zu vergegenwärtigen, sich daran zu erinnern oder sie vorwegzunehmen, sind in einem unablässigen Verfertigen von Sinn gefangen, wo sich einfach keiner machen lässt. Der zu Beginn sechsjährige Trent Capa denkt von allen immer gern am weitesten voraus: «Wir können ans gleiche College gehen und werden danach Freunde mit Hypotheken!», schlägt er einem Gleichaltrigen vor, den er gerade im Luxusressort kennengelernt hat. Was für ein frühreifer Geist in einem Kinderkörper.
Aber genau darum gehts in «Old»: Selten sind das Innere und das Äussere von uns Menschen passgenau. Und wenn dann auch noch das eine das andere um Jahrzehnte überholt, verwandelt sich so ein simples Leben in einen Schleudergang der Schrecken.
«Old» läuft ab dem 29. Juli im Kino.