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«Ripley» auf Netflix: Highsmith-Verfilmung ist wunderschönes Slow TV

Andrew Scott USA. Andrew Scott in the CNetflix new series : Ripley 2024. Plot: A grifter named Ripley living in New York during the 1960s is hired by a wealthy man to begin a complex life of deceit, f ...
Traumhaft schön komponierte Bilder: Andrew Scott als Tom Ripley. Bild: www.imago-images.de
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Netflix im Psychopathen-Rausch: «Ripley» ist wunderschönes Slow TV

Man braucht Zeit. Und Geduld. Für die neuste Highsmith-Verfilmung auf Netflix. Dafür wird man auch grosszügig belohnt.
10.04.2024, 18:04
Simone Meier
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Treppen, tote Köpfe, Katze, Regen. Marmortreppen in Rom, Feuertreppen in New York, Steintreppen in Atrani, wo einst Treppen-Verrwirrspiel-Maler-Meister M. C. Escher lebte. Tote Steinköpfe von Engeln, Sphinxen, alten Helden und von Dickie Greenleaf auf dem Kaminsims seiner Eltern. Die römische Katze, die Ripleys aufmerksamste Zeugin ist. Wieder und wieder und wieder. Als wären die Treppenstufen Kommata, die Köpfe Punkte und die Katzenaugen Ausrufezeichen im Drehbuch. Und dazu Italien im meteorologischen Ausnahmezustand. Immer hat es gerade geregnet. Immer sind alle Strassen nass.

Und so wird die Reise des Psychopathen Tom Ripley (Andrew Scott), der sich so gerne in den Leben anderer spiegelt und sie sich schliesslich aneignet, zu einem Tripp voller subtilen Spiegelflächen: Er selbst beobachtet sich in Spiegeln, Fenstern und Pfützen und wähnt sich von steinernen Häuptern beobachtet, Scheinwerferlicht reflektiert auf nassen Pflastersteinen.

Das sieht wunderschön aus, denn die Netflix-Serie «Ripley» von Steven Zaillian (er schrieb und drehte die düstere Miniserie «The Night of» und war Co-Drehbuchautor von «Schindler's List») ist bis auf ein winziges, sekundenknappes Detail in Schwarz-weiss gefilmt. Da nimmt sich dieser Glanz, mit dem der Regen alles Irdische überzieht, besonders schön aus.

Der Trailer zu «Ripley»

Das ist misanthropischer Film Noir in höchster Vollendung. Bild um Bild ein majestätischer Genuss. Hochästhetisches Schwelgen, Luxusurlaub für die «Bachelorette»-geplagten Augen. Aber man kennt das schon, wenn Netflix Kunst machen will, dann wird schwarz-weiss gedreht, das war so bei «Roma» von Alfonso Cuarón, bei «Mank» von David Fincher und oft bei «Blonde» von Andrew Dominik.

Der verhängnisvolle Auftrag

«Ripley», der Achtteiler nach «The Talented Mr. Ripley» von Patricia Highsmith aus dem Jahr 1955, beginnt wie gewohnt in New York, wo Tom Ripley vom reichen Reedereibesitzer Herbert Greenleaf angeheuert wird, um endlich dessen nutzlosen Sohn Dickie (Johnny Flynn) aus seinem italienischen Flohnerleben zu reissen und zurück nach Amerika zu spedieren.

Ripley. Andrew Scott as Tom Ripley in Ripley (episode 104) Cr. Philippe Antonello/Netflix © 2023
Die Kameraarbeit von Robert Elswit (er gewann einen Oscar für «There Will Be Blood») erinnert an die grosse Zeit des Film Noir.Bild: Philippe Antonello/NETFLIX

Ripley reist und spürt an der Amalfiküste erfolgreich das goldene Paar auf, den Möchtegern-Maler Dickie, der einen Picasso zuhause hängen hat, und seine Freundin, die Amateur-Autorin Marge (Dakota Fanning). Sie sind zwei ausnehmend hohle Rich Kids. Aber Ripley will haben, was sie haben. Und sein, was sie sind. So sehr, bis es auf dem offenen Meer zu seiner Wassertaufe im Namen des Bösen kommt.

Ripley. (L to R) Dakota Fanning as Marge Sherwood and Johnny Flynn as Dickie Greenleaf in Episode 101 of RIPLEY. Cr. Philippe Antonello/NETFLIX © 2021
Marge (Dakota Fanning) und Dickie (Johnny Flynn) 2024.Bild: Philippe Antonello/NETFLIX

Im Film «The Talented Mr. Ripley» von Anthony Minghella (1999) war Matt Damon tatsächlich talentiert. Ein begabter Freizeitmusiker und Stimmenimitator, der sich sein Geld damit verdient, auf einer Club-Toilette reichen Herren die Schuppen vom Sakko zu bürsten.

Von Ripley zum Ripper

Das Italien, in das er aufbricht, gleicht alten Postkarten und Apérol Spritz, ist bunt und stellenweise etwas sonnengebleicht, ist voller Menschen und Lachen. Ripley, Jazzfan Dickie (Jude Law) und die unbekümmerte Möchtegern-Schriftstellerin Marge (Gwyneth Paltrow) sind sich sofort so sympathisch, wie sich Fremde dies vielleicht nur im besten Sommer ihres Lebens sein können. Umso unheimlicher ist dann die Verwandlung von Ripley in den Ripper.

JUDE LAW, GWYNETH PALTROW and MATT DAMON in THE TALENTED MR. RIPLEY (1999), directed by ANTHONY MINGHELLA. PUBLICATIONxNOTxINxGERxFRAxESP Copyright: xPARAMOUNTxPICTURESx/xAlbumx alb300415 EDITORIAL US ...
Marge (Gwyneth Paltrow), Dickie (Jude Law) und Ripley (Matt Damon, 29) 1999.Bild: www.imago-images.de

Andrew Scotts Ripley besitzt dagegen kein Talent. Er ist ein etwas verbitterter und im Gegensatz zu Matt Damon deutlich angejahrter Kleinkrimineller, der sich in New York durchschlägt, indem er vorgibt, Geld für Ärzte einzutreiben. Als Papa Greenleaf ihn entdeckt und nach Italien schicken will, blamiert er sich trotz angeblicher Elite-Uni-Ausbildung. Von Austern und anderem Nobelgetue hat er keine Ahnung.

Eine schier übermenschliche Anstrengung

Anders als Damon, der sich wie ein gutgelaunter kleiner Aal zwischen Lügen und Morden durchschlängelte, hat Scotts Ripley ein hartes Leben. Immer stellen sich ihm so viele Hindernisse in den Weg! Unfassbar, wie mühselig es ist, eine Leiche oder gleich ein ganzes Boot zu entsorgen! Und wie viel Blut aus so einem gemeuchelten Menschen fliessen kann! Und immer gibt es so viel zu planen, zu verbergen, zu behaupten. Und unendlich viele Treppenstufen zu bewältigen. Es ist, als wäre Ripley selbst in so einem ausweglosen Escherschen Raum gefangen.

This image released by Netflix shows Andrew Scott as Tom Ripley in a scene from "Ripley." (Netflix via AP)
Andrew Scott ist mit 47 Jahren definitiv der älteste Ripley der Filmgeschichte.Bild: keystone

Was bei Damon ein leichtfertiges Spiel war, wird bei Scott zur fast übermenschlichen Anstrengung. Das ist eine interessante Perspektive, für die sich Zaillian erstaunlich viel Zeit lässt, von «Slow TV» ist im «Guardian» die Rede, manchmal ist das geduldfadenzerreissend zäh, dann wieder äusserst faszinierend, denn Ripleys Persepektive wird auch zu unserer, unschwer, es ist die einzige, die es gibt im Film, und ein wenig stimmt es schon, wenn die BBC schreibt, dass «Ripley» «die Hitchcock-Serie, die Hitchcock nie gedreht hat» sei.

Alain Delon Characters: Tom Ripley Film: Plein Soleil Blazing Sun Lust For Evil Purple Noon FR/IT 1960 Director: Rene Clement 10 March 1960 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: MaryxEvansxAFxArc ...
Auch Alain Delon (25) war mal Tom Ripley: 1960 in «Nur die Sonne war Zeuge» («Plein Soleil») von René Clément.Bild: www.imago-images.de

Ebenfalls anders als bei Damon ist Scotts Ripley nie liebenswert. Charismatisch ja, das kann Scott, egal ob als kaltäugiger Moriarti in Cumberbatchs «Sherlock», als «Hot Priest» in «Fleabag», als tränenseliger Leidender und Liebender in «All of Us Strangers» oder als minimalistisch agierender Ripley, der alles mit Augen- und Mundwinkeln zu erledigen scheint. Leutseligkeit, Anbiederung und Unterwürfigkeit wie bei Minghella sind ihm fremd. Dass Dickie ihn kurzfristig zum Weggefährten wählt, ist eher Dickies Gönnerhaftigkeit des reichen Mannes geschuldet (vergleichbar mit «Saltburn») und ein wenig auch aus Not, denn im verregneten Italien von Zaillian sind erstaunlich wenig Menschen unterwegs.

Leider leere Pfannkuchengesichter

Und keiner ist so gern allein unterwegs wie Ripley. Denn nur die Einsamkeit bietet Schutz. Patricia Highsmith, die sich selbst von allen ihren Figuren am meisten mit dem tödlichen Hochstapler Ripley identifizierte, hätte ihre Freude an Scotts Interpretation.

Im Gegensatz zu Scott, der mit Fortschreiten der Serie immer dämonischer schillert, sind Johnny Flynn und Dakota Fanning allerdings zwei leere Pfannkuchengesichter, die in keiner Sekunde an das prächtige Spektakel von Jude Law und Gwyneth Paltrow (und in Nebenrollen bei Minghella auch noch Cate Blanchett und Philip Seymour Hoffman, was für ein grenzgeniales Ensemble!) herankommen. Zum Glück gibts noch ein paar italienische Darstellerinnen und Darsteller, die sind toll, und besonders die römische Katze hat eine ausserordentlich gute Schauspielschule besucht.

Die Katze, die Katzensein im Film neu definiert.
Die Katze, die Katzensein im Film neu definiert.bild: Philippe Antonello/NETFLIX

Allerdings ist sie wie die toten Köpfe und der Regen auch ein ästhetischer Manierismus, der Zaillian und seinem Kameramann (Oscar-Gewinner Robert Elswit) viel zu oft zu gut gefällt. Sechs anstelle von acht Stunden hätten bei allen smarten Einfällen vollauf genügt. Aber Zaillian ist 71 und Elswit 73, und vielleicht wollten sich die beiden älteren Herren auch einfach ein schönes, nostalgisches Vergnügen leisten. Unzeitgemäss lange, sehnsüchtige Blicke auf eine Zeit, als weder das Internet noch der Rollkoffer erfunden war und es in Italien gelegentlich noch leere Strände gab.

«Ripley» und «The Talented Mr. Ripley» laufen beide auf Netflix.

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