Erinnerst du dich an den Satz aus «Westworld»: «Bring yourself back online», wenn die Betreiber des futuristischen Vergnügungsparks ihre Androiden (die Gäste des Parks) aktivieren müssen?
Für «Severance», eine von Ben Stiller produzierte Serie, ist es an der Zeit, die sogenannten Dissoziierten (Quasi-Roboter) zu reaktivieren, die uns mit einem absolut verrückten Finale im Jahr 2022 verlassen haben. Es war ein Staffelfinale, das bei den Fans eine heruntergefallene Kinnlade hinterlassen hat.
In der Serie geht es um die Büroangestellten von Lemon Industries, die ihr Privat- vom Berufsleben trennen, indem sie sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen. Die Übertragung ihrer Erinnerungen erfolgt über einen Lift, der die Mitarbeiter in eine Reihe von Korridoren schickt, in denen alles wie eingefroren zu sein scheint.
In der Abteilung für die Verfeinerung von Makrodaten verbringen die Mitarbeiter ihre Tage vor Bildschirmen und sortieren Daten. Sie selbst wissen nicht wirklich, was sie tun. Ihr einziges Ziel ist es, ein vierteljährliches Ziel zu erreichen, um Bonuszahlungen zu bekommen.
In einer Retro-Atmosphäre mit sektenähnlichen Zügen stellt «Severance» unsere Beziehung zur Arbeit infrage. Die erste Staffel startete mit einem Quartett: Mark (gespielt von Adam Scott), Dylan (Zach Cherry), Helly (Britt Lower) und Irving (John Turturro).
Das Büroleben dieser vier Charaktere verändert sich aber radikal, als sie sich ihres wirklichen Lebens bewusst wurden. Schicht um Schicht enthüllen sie ihre wahre Natur.
Die zweite Staffel setzt dort an, wo Marks Schrei noch in unseren Köpfen nachhallt, als er herausfindet, dass seine tote Frau noch lebt. Erinnert ihr euch an Miss Casey?
Schon in den ersten Minuten huscht er durch die Korridore, mit dem beunruhigenden Gefühl, wieder in einem Irrenhaus zu sein.
«Severance» sticht wieder einmal durch seinen Ton und seine stets exquisite Rhythmik hervor. Den Schöpfern Dan Erickson und Ben Stiller ist es gelungen, weitere schwindelerregende Folgen an den Tag zu legen.
Plötzlich müssen sich die Charaktere neuen Emotionen stellen, die sie noch nicht durchlebt haben. Dazu gehören Traurigkeit, Irvings gebrochenes Herz, Hellys Manipulation und Marks Rache.
Dadurch werden die Beziehungen angespannter und die Tiefe und der schwarze Humor nimmt zu und treiben die Maschine an. Die Vielzahl an Facetten, die diese verstörenden neuen Erfahrungen erfassen, machen die Serie aus.
Und das Bindeglied zwischen den Manipulatoren und den Gefangenen ist niemand anderes als Helly. Sie spielt ein doppeltes Spiel und schlüpft in die Haut einer teuflisch verwirrenden Figur. Sie ist es, die zur Dreh- und Angelpunktfigur wird. Gespielt wird Helly von Britt Lower, deren schauspielerischen Leistung unglaublich treffend ist.
Helly ist der Eckpfeiler von einer goldenen und gleichzeitig undurchsichtigen Geschichte, die immer wieder neue Fragen aufwirbelt: Was ist eigentlich die Verschwörung? Wo ist Harmony Cobel, die in der ersten Staffel fristlos entlassen wurde? Was wird aus unserem Quartett von Laborratten?
Die Gänge des Wahnsinns in diesem Büro, das in Form eines Irrenhauses (oder Käfigs) daherkommt, unterstützt dieses Gefühl der Unterdrückung und der ständigen Anspannung. Der stumme Zug der entmenschlichten Angestellten weicht aber nun der Rebellion.
«Severance» ist ein manchmal verstörendes Werk, das provoziert und sich immer mehr als grosse Serie etabliert. Sie ist zweifellos bereits eine der besten des Jahres.
Die 2. Staffel «Severance» ist seit dem 17. Januar jeden Freitag mit einer Episode auf Apple TV+ zu sehen.