Rasa kennt sich mit Casinokapitalismus bestens aus. Sie hat nämlich in einem Casino gearbeitet und wurde dort zur Spezialistin für «Ultra-High-Net-Worth Individuals» (UHNWI). Also für Ultravermögende oder Superreiche. «I work with jewels», sagt eine von ihnen. Rasa gleicht Carla Bruni, bevor sie Frau Sarkozy wurde. Wegen ihrer Kontakte und ihres Aussehens wurde sie vom Londoner Luxus-Immobilien-Makler Daniel Daggers angeworben. Erfahrung in der Immo-Branche hat sie keine, aber Ehrgeiz. Für Daggers ist sie ein «Alphaweibchen».
Daggers und sieben seiner Untergebenen bilden nun die hateful eight der Reality-Soap «Buying London», der Netflix-Serie, die in England gerade so sehr gehasst wird wie keine andere. «Buying London» ist die britische Adaption des amerikanischen Immobilien-Pornos «Selling Sunset», und wie im amerikanischen Vorbild geht es darum, dass Menschen, die aussehen, als würden sie sich jeden Tag neu aus Marmor meisseln, unvorstellbar teure Immobilien an UHNWI bringen.
Wobei teuer: Aus Zürcher Perspektive zuckt man angesichts der Preise nur einmal müde mit den Schultern. Welche ist schon wieder die teuerste Stadt der Welt? Eben. London befindet sich aktuell nicht einmal unter den Top Ten. Und wenn beim Immo-Anbieter Fine Swiss Properties erwähnt wird, dass eine zum Verkauf stehende Villa in Zug «mit kompromisslosem Aufwand» für 60 Millionen Franken renoviert worden ist, kann man sich ausmalen, dass der Verkaufspreis um einiges höher liegen wird.
Aber England ist ein anderer Fall als die Schweiz, das ganze Land leidet unter Krisen, darunter auch eine schwere Wohnungskrise, und London, das schon etwas länger von Superreichen ausgehöhlt wird als Zürich (aus Zürcher Perspektive graut es einen allerdings angesichts von «Buying London» noch einmal so richtig vor der Zukunft) besonders: Das Wohlstandsgefälle ist irr und die Mieten stiegen im letzten Jahr um 10,6 Prozent. Und deshalb nennt der «Guardian» die Netflix-Perversion «die wahrscheinlich hassenswerteste Fernsehsendung aller Zeiten». Und der «Independent» schreibt: «‹Buying London› sollte der Sargnagel für die Reichtums-Besessenheit des Reality-TV sein.»
Selbstverständlich wird genau dies nie der Fall sein. Viel zu gerne schaut die Masse der Besitzlosen denen zu, die von allem zu viel haben. Egal ob in der Reality oder in der Fiktion. Egal ob den Kardashians, irgendwelchen «Real Housewives», den Dynastien in «Succession» und «The Crown» oder anderen Menschen, die sich um Firmenanteile oder Throne streiten. Geld ist im Unterhaltungssektor noch besser als die Liebe. Weil es noch grössere Emotionen und Dramen triggert.
Zu Daggers' Reich gehören London und Umgebung. Also auch Dubai. Ist mit dem «Sportler», der samt Familie was Neues in Dubai sucht, etwa Federer gemeint? Die Wohnungen und Villen sind mal alt, mal neu, mal kriegt man die Beckhams als Nachbarn mitgeliefert, mal lebte ein gewisser John Lennon im zu verkaufenden Haus, mal Salma Hayek. Erstaunlich oft finden sich Badewannen, die aus einem einzigen Steinblock gehauen sind, wüstenartige beige Sofalandschaften und kilometerweise weisse Teppiche, die man nur in Socken betreten darf.
Überhaupt ähneln sich die Interieurs erdrückend, wahrscheinlich, weil man im «Super Prime»-Segment auch mit den immer gleichen Designern arbeitet, geschmackvoll ist das eigentlich nie, gemütlich eh nicht. Spätestens nach zwei Folgen ist man nur noch an den exklusiven Aussichten auf die Themse, einen Strand oder einen Park interessiert, die Abwesenheit von Individualität der Liegenschaften spiegelt sich in den leeren Augen derer, die sie verkaufen.
Da ist Ex-Alki Oli, ein Mann wie eine Schleimspur, der sagt: «Us poshos stick together», und seine Frau nur knapp nicht mit Kollegin Juliana betrügt. Juliana wiederum geht drei- bis viermal die Woche zur Kryotherapie und entspannt sich im Kältezylinder. Rosi wiederum organisiert für das Team zur kollektiven Entspannung ein «Sound Bath», also eine Klangschalenmeditation, und ein «Feedback Sandwich», quasi eine ultrakurze Gesprächstherapie.
Für jedes Problem gibt es eine Lösung, die man sich kaufen kann. Einige machen Yoga. Andere relaxen lieber bei Hummer Thermidor und Champagner. Oli löst seine Ehekrise mit einem monumentalen Saphir-Ring. Alle fahren megateure Autos und verbringen viel Zeit beim Luxusshopping.
Ihr Streben, ihr Lebensziel, ihre Leidenschaft, ihre Sucht heisst Geld. Und wie bei jeder Sucht muss die Dosis gesteigert werden. Sie fragen nicht, ob die Droge gut oder schlecht ist, durch welche Hände sie wieso gegangen ist, wer dafür wirklich gearbeitet und möglicherweise gelitten hat. Sie wollen sie nur haben.
Daggers wird nicht mehr «high» bei seinen hohen Abschlüssen. Einzig die Aussicht, den Makler-Auftrag für eine Zwei-Milliarden-Immobilie mitten in London zu erhalten, macht ihn noch froh. Und Rasa zofft sich mit Lauren, weil diese Daggers' Favoritin ist, obwohl er das nicht zugeben will. Alle sind nicht nur dünn, sondern auch überaus dünnhäutig. Weil sie Junkies sind. Oder Zombies. Aus reiner Gier.