«Love Roulette» will wild sein, aber Handschellen-Sex macht noch keinen aufregenden Film
Es ist schwierig geworden, an Yvonne Eisenring vorbeizukommen. Die Zürcher Künstlerin ist auf den verschiedensten Kanälen präsent. Ihre Bücher, in denen es meist um sie selbst geht, verkaufen sich gut. Ihre oft persönlichen Podcasts (einen davon produziert sie für dieses Medienhaus) erreichen Zehntausende von Menschen.
Der Podcast «Zivadiliring», den Eisenring gemeinsam mit Maja Zivadinovic und Gülsha Adilji betreibt, hat gar so viele Fans, dass es den Hosts kürzlich gelang, für einen Live-Event das Zürcher Hallenstadion zu füllen. Eisenring nutzte die Gelegenheit schlau und machte während des Auftritts Werbung für ihr nächstes Projekt: die romantische Filmkomödie «Love Roulette» (Regie: Chris Niemeyer), die ab Donnerstag (4.12) im Kino zu sehen ist.
Das Drehbuch dazu stammt von Eisenring, es ist ihr erstes Filmdrehbuch. Und die Hauptrolle hat die 38-Jährige auch gleich selbst übernommen, ebenfalls eine Premiere. Es habe sich um ein reguläres Casting gehandelt, betont Eisenring gern, und diese Casting-Entscheidung ist begreiflich. Denn – so viel sei hier schon verraten: Wer Eisenrings Biografie und Œuvre kennt, wird nicht umhinkommen, Teile davon in «Love Roulette» und der Hauptfigur zu erkennen.
Auf einmal ist da die Angst, zu verpassen
«Love Roulette» erzählt, der Titel verrät es, vom Glück und Pech und den Zufällen, die die Liebe bringt: Charlie (Eisenring) und Tom (Max Hubacher), beide Mitte 30, sind seit 15 Jahren ein Paar. Sie lieben sich sehr, pflegen das DINK-Modell (double income, no kids) und bewohnen ein üppiges Zürcher Loft, voll mit gesunden Pflanzen und teuren Lampen.
Alles prima also – bis sich die zwei aus einer Laune heraus entscheiden, zu heiraten. Denn plötzlich regen sich Zweifel. Für beide ist der andere die erste und einzige Person, mit der sie Sex hatten. Und es gäbe doch noch so viele andere Fische im Teich, gerade im wimmligen Zürich…
Charlie bestellt Handschellen, um das Sexleben neu zu beleben, aber es hilft nichts: Die FOMO (fear of missing out) kickt zu stark, sodass sich das Paar auf einen Deal einigt: Geheiratet wird erst, nachdem beide sechs Monate lang im Dating-Pool rumtollen durften. Alles ist erlaubt, was Singles auch dürfen. Ausser, Achtung, sich zu verlieben.
Fröhlich dreht das Dating-Karrussell
Diese Ausgangslage ist einigermassen sinnbefreit. Charlie und Tom, das macht schon die erste Szene des Films klar, scheren sich wenig um die Ehe im Sinn eines Versprechens ewiger Monogamie. Warum man sich aber als urbaner Millennial vor der Ehe noch polygam soll «austoben» können, danach jedoch nicht mehr, das bleibt ein Rätsel, das «Love Roulette» weder interessiert noch löst.
Doch mit der geöffneten Beziehung ist natürlich auch die Drehbuch-Schleuse offen für viele Dating-Szenen. Über ihre eigenen, mitunter kurligen Dating-Erfahrungen hat Eisenring immer wieder ausführlich Auskunft gegeben (als Autorin debütierte sie 2016 mit dem Buch «Ein Jahr für die Liebe. 1 Jahr, 12 Länder, 50 Dates»).
Und auch ihrer Figur Charlie bleibt wenig erspart: Die meisten Männer, die sie trifft, sind schrullig, selbstbezogen und hören nicht zu. Erst den Berliner Klaus (Robert Rožić), der bedeutungsschwer über Guacamole und Kunst reden kann, lässt sie näher an sich ran und schliesslich in ihr Bett. Derweilen entwickelt Tom Gefühle für Lena (Dominique Devenport), die zwar etwas langweilig ist, aber tolle Cupcakes backt.
Ein Hauch Til Schweiger, ein Hauch Zalando
Leider sind der alternative Berliner (er macht Tantra, trägt bunte Hemden und eine Halbedelsteinkette) und die «basic bitch» (so nennt Eisenrings Figur die Cupcakes backende Lena) lange nicht die einzigen Klischees, die so klingen, als hätte eine KI sie sich vor drei Jahren erdacht.
«Love Roulette» bietet unter anderem weiter auf: den versifften Gamer, den arroganten Schauspieler sowie die coole lesbische Freundin, die Vorträge über Feminismus hält. Hinzu kommt ein kitschiges Ende, das ziemlich direkt aus Eisenrings letztem, autobiografischem Buch «Life Rebel» (2024) stammen könnte. Die Bilder, die «Love Roulette» dafür findet, bewegen sich irgendwo zwischen Til Schweiger und Zalando-Werbung.
All das nervt, doch es lässt auch Luft zur Entwicklung der Hauptfiguren. Zwar sind deren Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar, aber: Max Hubacher macht seine Sache erwartungsgemäss stabil und auch Yvonne Eisenring spielt dafür, dass es ihre erste Hauptrolle ist, ziemlich locker und nuanciert. Dass es hilft, eine Figur zu spielen, wenn man sie sich in weiten Teilen selbst abmodelliert – geschenkt. Dass Eisenring ihr Talent bald in den Dienst eines besseren Drehbuchs stellen kann, ist ihr zu wünschen.
Love Roulette: Ab 4. Dezember im Kino.
(aargauerzeitung.ch)
