Man muss sich diese Parole in breitestem Baseldeutsch vorstellen: «Mitmarschiere, d'Queen flambiere!» Es war der 1. Mai 1980, Queen Elizabeth II. besuchte die Gartenbauausstellung Grün 80 in Basel, pflanzte ein Bäumchen und freute sich über den freundlichen Massenauflauf von 80'000 Fans und das schöne Wetter. Die gut 250 jungen Menschen, die gegen die britische Nordirlandpolitik demonstrierten, bemerkte sie wohl gar nicht. Eine Wand im Landesmuseum Zürich ist mit der Fototapete eines historischen Graffitis von 1980 dekoriert: «God Kill The Queen, suscht mach's ich.» Die Schweiz, ein Ort der offenen Aristokratie-Kritik. Manchmal jedenfalls.
Manchmal fädelte man auch Geschäfte ein. Der Zürcher Waffenhändler Emil Bührle, der im Zweiten Weltkrieg mit Waffenlieferungen an Nazideutschland steinreich geworden war und auch restlos alle anderen Länder, die sich im Krieg befanden, belieferte, machte auch äusserst lukrative Geschäfte mit Abessinien, das später Äthiopien hiess. Kaiser Haile Selassie liebte die leistungsfähigen Waffen aus der Schweiz und liess sich im November 1954 von Emil Bührle nicht nur die Werkzeugmaschinenfabrik, sondern auch den Schiesskeller von Oerlikon-Bührle zeigen.
Das Landesmuseum zeigt jetzt Geschichten aus einem Land, das selbst eine Demokratie ist, aber dank seiner Landschaften, seiner Diskretion, seinem Reichtum und seiner behaupteten Neutralität immer wieder zum Schauplatz royaler Verstrickungen wird. Die einen Royals pflegen ihre Handelsbeziehungen, die anderen gehen ins Internat, viele nutzen die Schweiz als touristischen oder mythisch aufgeladenen Rückzugsort. Und einige sterben.
Und da ist sie auch schon, das Kernstück der Ausstellung: die Feile. Also, DIE Feile. Die berühmteste Feile, seit es Royals gibt. Sie mag um die 18 Zentimeter lang sein, hinten ein kurzer Griff aus hellem, von den Jahren zerfurchtem Rundholz, vorne eine dreikantige Feile, ein paar Millimeter dick, kein besonders feingliedriges Instrument, der Mann, der damit zustach, war Taglöhner, er hatte sie von einer Baustelle mitgenommen, ein Messer wäre ihm lieber gewesen, doch dafür fehlte ihm das Geld.
Um 13.35 Uhr am 10. September 1898 rammt der italienische Anarchist Luigi Lucheni ebendiese Feile, die jetzt so unauffällig in einer Vitrine des Landesmuseums liegt, in die Brust von Kaiserin Elisabeth. 85 Millimeter tief ist die Wunde, die er ihr auf dem Quai de Mont Blanc, vor dem Hotel Beau Rivage, zufügt, wenig später stirbt die 60-Jährige, Sisi ist tot.
Es ist ein internationaler Clusterfuck: Ein Italiener mit Verbindungen nach Frankreich (er war dort zur Welt gekommen und hatte seine Kindheit in einem Pariser Waisenhaus verbracht) ermordet die österreichische Kaiserin in der Schweiz. In der Folge findet bereits im November und Dezember 1898 in Rom die erste «Internationale Konferenz für die soziale Verteidigung gegen Anarchisten» statt, ein Verbrechen wie das von Genf darf nicht mehr geschehen, 54 Delegierte aus 21 Ländern beraten sich über eine verstärkte internationale Zusammenarbeit der Polizei, die Weichen für die spätere Interpol werden an dieser Konferenz gelegt.
Nicht nur die Feile, mit der Sisi getötet wurde, gibt es jetzt im Landesmuseum zu sehen, auch das grosse Sisi-Porträt, das dem Kloster Einsiedeln gehört und das gut mit «Porträt einer depressiven Frau» betitelt werden könnte, oder eine goldene Robe. Letztere stammt bei aller Pracht jedoch nicht aus der A-Liga der grossen Sisi-Garderobe, bloss aus der B-Liga, wie die Kuratorin Rebecca Sanders verrät, und man sieht das an den Stickereien, weder die goldfarbigen Pailletten noch der Ziertüll oder die schwarz angelaufenen Glitzersteine sind wirklich wertvoll. Doch der Gesamteindruck ist glamourös. Und die Taille zum Schreien schmal. 46 Zentimeter Taillenumfang und 46 Kilo bei 172 Zentimeter Körpergrösse sind die Sisi-Masse, ihr BMI betrug 15,5, sie war dramatisch untergewichtig.
Nach Sisis Tod dauert es 36 Jahre, bis wieder eine Aristokratin in der Schweiz ums Leben kommt, wie Sisi ist auch sie in den Ferien, doch jetzt sind keine politischen Verstrickungen schuld, jetzt ist einzig und allein ihr Mann schuld. Neben der Vitrine mit Sisis Todesfeile ist eine Glasscherbe ausgestellt, auch sie scheinbar unauffällig, es ist ein Stück jenes Unfallwagens, den der belgische König Leopold am 29. August 1935 in einen Birnbaum am Ufer des Vierwaldstättersees donnert. Er überlebt. Doch die erst 29-jährige, schwangere Königin Astrid stirbt noch auf der Unfallstelle. Es war der letzte Ferientag des Paares in der Schweiz, Leopold, ein schlechter Autofahrer, befahl seinem Chauffeur, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen, er wollte selbst ans Steuer.
In anderen Vitrinen prangen Preziosen – zartes rotes Porzellan, das der bayrische Märchenkönig Ludwig einmal einem Urner Wirtepaar geschenkt hatte. Ludwig befand sich damals mit einem seiner Toyboys, dem 23-jährigen Schauspieler Joseph Kainz, auf seiner Wilhelm-Tell-Wallfahrt, er liebte Schillers Theaterstück, Kainz musste Szenen nachstellen, und Ludwig wollte die Rütli-Wiese kaufen und darauf eines seiner Fantasy-Schlösser bauen.
In Luzern liessen sich die beiden fotografieren, Kainz legte dabei vertraulich die Hand auf die Schulter des Königs, ein Affront, die Hand wurde einigermassen linkisch wieder aus dem Bild retouchiert.
Die Ausstellung «Royals zu Besuch – von Sisi bis Queen Elizabeth» beschränkt sich auf drei kleinere Räume, sooo viel gibt es zum Thema Royals und Schweiz dann doch nicht zu sagen, jedenfalls nicht in Einheiten, die sich für ein Museum eignen. Verweilen kann man trotzdem, sich an die Touchscreens setzen und noch mehr Bilder mit noch mehr Informationen konsumieren (die Texte von Co-Kurator Michael van Orsouw sind kurz und zugänglich).
Doch natürlich ist es die Gegenwart der Objekte, die einen erschauern lässt. In ihnen liegt so viel Geschichte, so viel Glanz und so viel Drama. Da ist der Goldring mit einem Topas, der einst an Napoleon Bonapartes Finger gesteckt haben soll. Und eine Hortensienbrosche mit winzigen Rubinen und Diamanten. Beide hat Hortense de Beauharnais, gleichzeitig Stieftochter und Schwägerin von Napoleon und zugleich Mutter des kleinen Napoleons, der später zu Napoleon III. wird, dem Kloster Einsiedeln geschenkt: Es bot der Geflüchteten nach dem Sturz Napoleons Asyl.
Vom winzigen Puppenhaus in Chaletform wäre noch zu berichten, das Hortenses Sohn für die fünfjährige Tochter seines militärischen Ziehvaters Henri Dufour gebastelt hat, oder von einem Reit- und Trauerkleid von Kaiserin Elisabeth. Oder von der fetten Vorspeise, die bei fast allen Staatsbanketten aller Royals in der Schweiz aufgetragen wurde: Foie gras, natürlich.
Einzig die Queen und ihr Philipp erhielten am Tag vor ihrem Besuch an der Grün 80 zur Vorspeise eine Fischsuppe mit Geangeltem aus dem Genfersee serviert.
Die Ausstellung «Royals zu Besuch – von Sisi bis Queen Elizabeth» läuft bis November 2025 in Zürich, ab dem 19. März 2026 ist sie im Château de Prangins zu sehen.