Erinnert ihr euch noch? Daran, wie gigantisch es vor 24 Jahren war, als ein Gladiator (Russell Crowe) den römischen Kaiser Commodus (Joaquin Phoenix) mitten im Colosseum tötete, um Rom zu retten? Commodus war gewaltverliebt und korrupt, er nutzte eine Fassade aus brutaler Unterhaltung («Entertainment» war ein beliebter Begriff in «Gladiator»), um das Volk abzulenken: Im Colosseum konnte es eine Katharsis erleben, die im Alltag nicht vergönnt war, konnte seine Wut kanalisieren, seine Helden küren, nach Todesurteilen verlangen und selbst ein bisschen Herrscher spielen. (Kein) Brot vs. Spiele war die Taktik. Draussen ging Rom – wie so oft in Hollywood – unter.
«Gladiator» war damals – und ist es heute noch – ein Film voller ungemeiner Kraft und Wut. Ein Aufruf zum Widerstand. Regisseur Ridley Scott, der sonst mit Filmen wie «Alien» und «Blade Runner» eher der Spezialist für zukünftige Dystopien war, schaffte es mühelos, den belächelten alten «Sandalenfilm» in der Tradition von «Quo Vadis», «Ben Hur» oder «Die zehn Gebote» zu modernisieren. Filme wie «Troy» oder «300» waren die Konsequenz.
Eigentlich war Scotts Gladiator damals gar kein Gladiator, er war vielmehr ein glücklicher Bauer namens Maximus, der zum General geworden war und für seine Beliebtheit beim weisen alten Kaiser Marcus Aurelius von dessen Sohn Commodus bitter bestraft wurde. Die Wut, die ein Gladiator in der Arena gegen schreckliche Menschen- und Tiergestalten braucht, war durch die grausame Ermordung von Frau und Kind in ihm entfacht worden. Erst, als man ihm seine Familie, quasi seinen utopischen Mini-Staat, zerstört hatte, wurde er zur Kampfmaschine.
Bei der glücklichen Landwirtschaft setzt nun auch «Gladiator II» ein: Getreidekörner rinnen durch die Hände von Hanno (Paul Mescal), einem sensiblen, schwerverliebten und brüderlich besorgten Muskelberg, der selbstverständlich nicht Hanno heisst und auch ganz genau weiss, woher er kommt und wohin er muss: nach Rom. Doch noch lebt Hanno in Afrika und Rom ist der Feind und greift gerade Hannos Siedlung an.
Angeführt werden die Römer von General Acacius (Pedro Pascal), der eigentlich gar kein General mehr sein, sondern die beiden amtierenden Brüder-Kaiser Carcalla und Geta stürzen will (die beiden hat es – wie auch Marcus Aurelius und seinen Sohn Commodus – tatsächlich gegeben, der im Film syphilitisch aufgeweichte Carcalla liess den intellektuelleren Geta hinterrücks ermorden, wie die Römer das eben so taten). In Hanno und Acacius quellen quasi die Getreidekörner des Widerstands.
Doch erst muss Hannos Frau im Kampf gegen die Römer fallen, erst muss er von ihrer Überfahrt ins Totenreich träumen, erst muss er gefangengenommen und von Macrinus (Denzel Washington) zum Gladiator gedrillt werden. Exakt so kennen wir das schon aus «Gladiator». Was kann diese narrative Parallele wohl bedeuten? Na? Ach ja, Hanno heisst in Wirklichkeit Lucius. Lucius? War das in Teil eins nicht jener Knabe, der zum Thronfolger bestimmt war? Gezeugt von Commodus' Schwester Lucilla (Connie Nielsen ist wieder mit dabei) und dem einen oder anderen Mann? Jetzt ist Lucilla die Frau von Acacius.
Lucius ist inzwischen ein Mittzwanziger, ein royaler Blaublüter in der unzulänglichen Rüstung eines Gladiators, und auch er wäre am liebsten Bauer (ein wenig muss man da immer an King Charles und seine landwirtschaftlichen Bestrebungen denken), doch Rom muss endlich vom Kaiserreich zur Republik werden.
Schon «Gladiator» war wie ein paar besonders gut geschriebene Folgen «Game of Thrones» avant la lettre: Es gab Intrigen, Inzest-Gelüste und viele blutige Kämpfe, zottelige Germanen im Norden und edle Nubier im Süden, innige Brüderlichkeit, eine schöne, kluge Prinzessin, höfische Dekadenz, kaltblütige Morde an Sympathieträgern und die Not des gemeinen Volkes. «Gladiator II» schliesst nahtlos daran an, möglicherweise, die Geschichte ist jetzt etwas einfacher geworden (man kennt sie ja auch schon), dafür sind die Schlachten im Colosseum umso aufwändiger, stellvertretend sei hier eine atemberaubend inszenierte Seeschlacht mit echten Schiffen und Haien erwähnt.
Das ist wieder episches, oft auch pathetisches, adrenalinsattes, bildstarkes Unterhaltungs- und Überwältigungskino, und Ridley Scott spielt sich damit wenige Tage vor seinem 87. Geburtstag wieder mit Leichtigkeit an die Spitze der sehenswerten Blockbuster. Er hat sie bekanntlich in den letzen Jahren weder mit «Napoleon» noch «The Last Duel» erreicht. Einzig «House of Gucci» vermochte ein bisschen an den alten Ruhm anzuknüpfen.
Der grösste Triumph gehört in «Gladiator II» allerdings einem, der weder in der Arena noch hinter der Kamera kämpft: Denzel Washington ist als machiavellistischer Gladiatoren-Macher, der alle zu täuschen und zu manipulieren vermag, ein grandioser Bösewicht-Grossmeister. Er macht das mit berückender Eleganz, mit reinstem Genuss an der Durchtriebenheit seiner Figur. Paul Mescal, so souverän und physisch präsent er seine Rolle auch ausfüllt, verliert ein wenig gegen ihn. Wie einst Russell Crowe gegen Joaquin Phoenix.
Es geht erneut um sehr viel «strength and honour», Stärke und Ehre, und noch mehr als im ersten Teil um die Frage, wie viele Menschen eigentlich sterben müssen, wie viel Blut fliessen muss, wie viele Opfer und kollektive Anstrengungen und grundsätzliches Misstrauen gegenüber jeder Form von Macht es braucht, um ein Unrechtsregime zu stürzen. Von allem viel zu viel und nur gemeinsam ist Gerechtigkeit möglich, lautet Ridley Scotts Antwort. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis. Aber auch keine schlechte.
«Gladiator II» läuft ab dem 14. November im Kino.