Erinnern wir uns – oder wie es eine amerikanische Serie sagen würde: «Previously on ‹Tschugger›.» Leute, was war das für ein Finale der zweiten Staffel! Johannes «Bax» Schmidhalter (David Constantin), der Mann, in dessen Leben und Arbeit immer alles schiefläuft, wuchs über sich hinaus beziehungsweise tauchte ab, nämlich in einen Stausee, wo er mit einer abgebrochenen Kugelschreiber-Halteklemme (Halteklemme, ein Wort, dass man noch seltener braucht als Warentrennbalken), den Sprengmechanismus einer Nazi-Sekte stoppte und dafür sorgte, dass das Wallis nicht geflutet wurde.
Es war wirklich entsetzlich spannend. Bax rettete das Wallis vor dem «Weltuntergang». Denn das ist «Tschugger»: Es gibt das Wallis, also die Welt, und dann noch ein paar komische Trabanten-Gegenden, die von «Grüezine», also von Nichtwallisern, bewohnt sind.
Und wie wurde diese einzigartige, in bester Tom-Cruise-Tradition stehende Heldentat Bax gedankt? Gar nicht! Der Bundesrat beschloss, dass man die Bevölkerung nicht mit Nazisekten und Weltuntergängen belasten könne. Aus dem Stausee wird in einer offiziellen Erklärung ein Sprudelbad, aus dem man den ertrinkenden Bax gefischt habe. Nur sein BFF Pirmin (Dragan Vujic) und die angebetete Bundespolizistin Frau Brotz (Anna Rossinelli) kennen die Wahrheit. Zwischen Bax und Brotz keimen sehr zarte, sehr kleine Gefühle. Und Pirmin spediert Bax nach Bundesbern, wo die Bundespolizstin lebt.
Und jetzt? Einige Monate sind vorbei, Haare und Bart sind gewachsen, Bax ist aus der gefährlichen Bullenwelt ausgestiegen und in Bern hängengeblieben. Er betreibt dort einen Smoothie-Truck und ist clean bis auf die äusserst wirkungsvollen Biotropfen seines neuen Freundes Stöffu, den er in der Atemtherapiegruppe kennen gelernt hat. Nachts steht er manchmal unter dem Fenster von Frau Brotz und fragt sich, wo er wohl endlich das Feinbesteck der Liebesrhetorik erwerben könnte. Bern, das ist in «Tschugger» ein Hafen der Achtsamkeit und Gemütlichkeit.
Im Wallis tanzen derweil diverse Teufel. Gucci-Rapperin Almira (Annalena Miano) hat noch immer keinen Plattenvetrag und braucht dringend Geld. Ihr Sklave Juni (Arsène Junior Page) versucht, einsame ältere Frauen auszunehmen. Bax' Bruder grübelt einen rätselhaften Schlüssel aus dem Rektum einer Leiche. Im Pfynwald heulen Wölfe. Ein unheimlicher Prepper stellt allem, was Beine hat, Fallen. Das Wallis, Switzerland's Heart of Darkness.
Pirmin ist jetzt Hausmann und Vater, er und Regina haben vom verstorbenen Schwiegervater eine kleine Villa geerbt. Die beiden französisch sprechenden Polizisten, die ihn und Bax ersetzen, haben noch schlechtere Frisuren als Bax, man weiss sofort: Auch ihr Charakter kann nur schlechter sein.
Logisch, dass Bax in den dunklen, wölfischen Schlund des Wallis zurückgesogen wird. Dass Verbrechen und Alkohol sein wohliges Berner Gielentum wieder tilgen werden. Bereits am Ende der zweiten Folge herrscht grösstmögliches Unglück, also unvorstellbares Unglück, ein paar Sekunden lang ist man versucht, dem «Tschugger»-Team um David Constantin (Drehbuch, Regie, Schauspiel) und Sophie Toth (Produktion) eins reinzuhauen ob der Monstrosität dieses Unglücks, aber so macht man nun mal gute Serien. Kill your dearest darlings. Und dazu als Soundtrack «Ich tauche auf» von Tocotronic – eine Melancholie-Schleuder sondergleichen.
Und genau das ist es, was einem «Tschugger» so ins Herz meisselt: Dass neben der Witzeschlacht und dem Slapstick so viel Gefühl mit drin ist. Wahrscheinlich ist Bax die grösste Heulsuse der Seriengeschichte, keiner flennt so oft wie er – aus Liebeskummer, aus betroffener Selbsterkenntnis, aus besoffenem Weltschmerz. Selbstzerfleischung gemixt mit Komik ergibt Selbstironie – und das ist eine der einnehmendsten Eigenschaften, die ein Mensch, ein Film oder eine Serie haben kann.
Natürlich wird auch die dritte Staffel wieder derart tumultuös, dass man zwischendurch den Verständnisfaden etwas verliert, aber die Hauptsache ist doch, dass Bax wieder ins Wallis zurückfindet, dass er allerlei bescheuerte coole Retro-Skimode trägt und endlich aufhört, die Muttermilch von Pirmins Frau zu trinken. Oder so.
Den Cliffhanger zur ebenfalls bereits abgedrehten vierten und leider letzten Staffel könnte man sich grössenwahnsinniger nicht denken, denn die Sache mit dem Weltuntergang wird jetzt so richtig ernst genommen. Würden wir hier Sterne vergeben, «Tschugger III» bekäme 13 von 12.
«Tschugger III» läuft am 19.11. um 20.05 Uhr, am 26.11. um 21.40 Uhr und am 3.12. um 22.20 Uhr auf SRF 1. Oder einfach integral ab dem 19.11. auf Play Suisse, wo es auch die erste und zweite Staffel zu sehen gibt.
Tschugger ist Kult.
TSCHUGGER!!
Genial.