Eines Tages sass Celine Song (35) zwischen ihren beiden Männern an einer Bar in New York. Also zwischen ihrem amerikanischen Ehemann und dem Koreaner, den sie als Zwölfjährige hatte heiraten wollen. Blöderweise hatten Celines Eltern damals die Ehe mit dem Schulschatz frühzeitig verhindert: Sie wanderten nämlich samt Kindern von Südkorea nach Kanada aus. Und aus Celine Song, der Tochter eines Filmemachers, die schon immer gerne Stücke geschrieben hatte, wurde als Erwachsene eine Theaterautorin in New York.
Bis zu jenem Abend, als sie mit ihren beiden Männern in der Bar sass. Da wusste sie, dass sie aus ihrer Geschichte einen Film und kein Stück machen musste. Dass dieser Stoff zu gross für ein Theaterstück war. Plötzlich stürzte alles auf die junge Frau ein, was ihr Leben zusammenhielt und ausmachte: die Kindheit in Seoul, das Aufwachsen als Migrantin, ihre Existenz in New York, ihre Ehe, aber auch ihre alte kleine Liebe und die Frage, was aus ihr geworden wäre, wenn sie nie ausgewandert wäre.
Denn da war das Gefühl, dass der Mann aus Korea ein Anker war, der sie mit ihrem alten asiatischen Leben verband. Dass er in ihrem Leben einen Sinn hatte und ihm einen Sinn gab. Dass sie und er eine grosse Liebesgeschichte waren, auch wenn sie sich noch nie geküsst hatten.
Und dann war da noch die Sache mit der Übersetzung: Celines zwei Männer konnten sich nämlich nicht verständigen, der Koreaner konnte kaum Englisch, der Amerikaner nur schlecht Koreanisch, doch sie sassen da und wollten einander kennenlernen, obwohl es beiden weh tat. Celine Song zuliebe. Und sie ging hin und schrieb und drehte den Film «Past Lives».
Und jetzt? Wird der Film als Überraschung des Jahres gefeiert, wird bereits zum Quereinsteiger und möglichen Abräumer bei den Oscars hochstilisiert, wird «Juwel» und «Meisterwerk» genannt. Er werde der neue «Everything Everywhere All at Once» (7 Oscars), heisst es, oder der neue «Parasite» (4 Oscars).
Wie «Everything ...» wurde auch «Past Lives» von A24 produziert, der jungen Produktionsfirma für den innovativen Independentfilm. Auch «Hereditary», «Midsommar», «Moonlight», «Lady Bird» oder «Ex Machina» gehören zu ihren Erfolgen. A24 hat ein Gespür und Mut für ungewöhnliche Stoffe, für enorm durchgeknallte wie «Everywhere ...», aber auch für sehr feine wie «Past Lives».
Die Geschichte, die Song erzählt, ist ganz schlicht, wir erleben die zwölfjährige Seung Ah Moon und den gleichaltrigen Jung Hae Sung in Soul, zwei Kinder, die beschliessen, sie seien verliebt, und unter der Obhut der Mütter Händchen halten. Wir erleben die beiden zwölf Jahre später, sie finden sich auf Facebook wieder, geraten über Skype in einen Kommunikationsrausch, in eine Sucht, Seung Ah Moon nennt sich jetzt Nora Moon und Nora bremst ab, bevor es um sowas wie Liebe gehen könnte.
Danach trifft sie auf den Schriftsteller Arthur, der einen Roman mit dem Titel «Boner» (Ständer) schreibt, sie heiraten. Als Nora und Hae Sung Mitte dreissig sind, fliegt er nach New York, sie sehen sich und tun, was sie schon auf Skype taten, sie führen exzessive Beziehungsgespräche und kommen so zu ihren Schlüssen.
Es sind Worte, Blicke und Stimmungen, die da entstehen, die alle, die im Leben schon mal verliebt waren, wiedererkennen, das Gefühl, dass das Gegenüber nicht nur in einer, sondern in vielen Lebensschichten seine Wurzeln geschlagen hat, das Vertrauen, die Sehnsucht, die verdammte Ausweglosigkeit. Das Erkennen, dass man nicht nur einen einzigen Menschen absolut lieben kann.
Nora und Hae Sung sind wie in Wong Kar-Wais Klassiker «In the Mood for Love» eines dieser zurückhaltenden, enorm beherrschten Paare, die westliche Gefühlsseligkeit ist ihnen fremd, Arthur ist da ganz anders. Doch die sensibelste Figur unter den dreien ist Hae Sung.
Der Schauspieler Teo Yoo sagt, dass er ein unendlich melancholischer Mensch sei und schon immer nach einem «Master» gesucht habe, der «ein Gefäss für diese Melancholie» schaffen könne. In Celine Song hat er seine Meisterin gefunden, zarttrauriger als Hae Sung kann man einen Liebenden nicht zeichnen.
Teo Yoo sagt in Interviews überhaupt unentwegt poetische Dinge, das Auge, sagt er, sei das sensibelste Stück Oberfläche eines menschlichen Körpers, und er habe versucht, das Auge zum Sprachorgan von Hae Sung zu machen. Was soll man sagen? Er macht das wunderbar mit seinen Augen, sie sind wirklich sehr beredt. Seine übrige Körpersprache hat er dem Buben abgeschaut, der Hae Sung als Kind spielt, er habe immer dagestanden, als seien seine Arme an seinen Körper geklebt, sagt Teo Yoo, das habe er übernommen. Quasi als seien Hae Sungs Flügel festgeklebt.
Aus derartigen Seidenfäden der Poesie ist «Past Lives» gewebt, wunderschön hinterlegt von den Kulissen von Seoul und New York und einer nicht geringen Menge von koreanischem Essen. Zuerst scheint alles ganz leicht, doch am Ende will man laut losschluchzen im Kino, derart gross ist die verhaltene Spannung, die sich dann endlich entlädt. Ein Film wie ein Liebesgedicht. Man sollte sich sowas unbedingt zuliebe tun.
«Past Lives» läuft jetzt in vielen Kinos.