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Klimaaktivistin bei «Markus Lanz»: «Ziviler Widerstand funktioniert»

Die «Letzte Generation»-Aktivistin musste sich in der Sendung kritischen Fragen stellen – und drehte den Spiess um: «Wofür würden Sie auf die Strasse gehen?», fragte sie.
Die «Letzte Generation»-Aktivistin musste sich in der Sendung kritischen Fragen stellen – und drehte den Spiess um: «Wofür würden Sie auf die Strasse gehen?», fragte sie.screenshot: youtube
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Klimaaktivistin bei «Markus Lanz»: «Ziviler Widerstand funktioniert»

Die gewaltfreien Proteste der «Letzten Generation» und der durch einen Betonmischer verursachte Unfalltod einer Velofahrerin gaben in der TV-Talkrunde intensiv zu reden.
10.11.2022, 13:2410.11.2022, 16:12
Bleranda Shabani / watson.de
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Bei den Midterm-Wahlen in den USA wählen die Bürgerinnen und Bürger neue Abgeordnete im Repräsentantenhaus und im Senat sowie neue Gouverneure. Diese Wahl gilt als Referendum über Bidens bisherige Amtszeit. Und ein altes bekanntes Gesicht gerät vermehrt in die Öffentlichkeit. Die Rede ist von Donald Trump. Was genau in den Staaten passiert, bespricht Markus Lanz in seiner Sendung mit vier Gästen. Ausserdem werden die umstrittenen Proteste der Gruppierung «Letzte Generation» thematisiert.

Die Gäste

Im Studio anwesend:

  • Elmar Thevessen (ZDF-Reporter, Leiter des ZDF-Studios in Washington)
  • Jürgen Trittin (Aussenpolitischer Sprecher der Grünen)
  • Eva Quadbeck (Die stellvertretende Chefredakteurin vom «Redaktionsnetzwerk Deutschland»)
  • Carla Rochel (Mitglied der Gruppierung «Letzte Generation»)

Der Auftakt

Zwischenwahlen in den USA: Comeback von Donald Trump?

Die Wahlergebnisse stehen zwar noch nicht, aber es deutet alles darauf hin, dass die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben werden, berichtet Elmar Thevessen aus Washington. «Das wäre eine krasse Niederlage für Joe Biden», fügt er hinzu. Er werde eine schwierige zweite Amtszeit haben, die eventuell von Untersuchungsausschüssen geprägt sein werde: «Der Afghanistanabzug und die Gelder an die Ukraine könnten untersucht werden.»

Sein Vorgänger, Donald Trump, hat eine «grosse Ankündigung» für den 15. November geplant. «Was könnte das sein?», fragt Moderator Markus Lanz bei Thevessen nach. Es könnte die Ankündigung zur Präsidentschaftskandidatur sein. Ob das für die Republikaner wirklich klug wäre, ist für Thevessen fraglich:

«Wenn man sich auf den Trumpismus einlässt, gewinnt man nicht unbedingt Wahlen.»

Dass Joe Biden nochmal antritt, sei eher unwahrscheinlich. Der Druck innerhalb der Partei sei sehr hoch. Man strebe eine Veränderung an und «keiner will Joe Biden mehr haben», so Thevessen.

Reizthema «Letzte Generation»

Für den Klimaschutz brechen die Aktivistinnen und Aktivisten der deutschen Gruppierung «Letzte Generation» fast täglich das Gesetz. «Wir halten das Unrecht der Klimakatastrophe nicht mehr aus», kommentiert die anwesende Aktivistin Carla Rochel die Situation. Sie ist 20 Jahre alt, studiert Politikwissenschaften in Heidelberg und hat schon viele Nächte in Polizeizellen übernachtet.

Die «Fridays For Future»-Bewegungen würden von der Politik einfach ignoriert werden. Daher müsse man zu radikaleren Schritten greifen. Die Bewegung ist für das «Ankleben an Strassen» bekannt, um gezielt den Verkehr zu behindern. Das machen neben Carla Rochel noch viele andere junge Leute. Auch die ältere Generation ist besorgt und hat sich bereits der Protestbewegung angeschlossen. Sie vereint die gemeinsame Enttäuschung von Politik und Gesellschaft:

«Wir sitzen hier und tun so, als würde es uns nicht betreffen, wenn irgendwo Inseln nicht mehr existieren und Milliarden Menschen in Gefahr leben.»

Was fordert die «Letzte Generation»?

9-Euro-Ticket und Tempolimit

«Wir wollen ein Zeichen von der Bundesregierung, dass sie verstanden haben, wie ernst die Lage ist», fordert Carla Rochel. «Was möchtet ihr konkret?», hakt Lanz nach. Der erste Schritt sei ein bundesweites 9-Euro-Ticket und der zweite Schritt ein Tempolimit von 100 km/h: «Wenn die Schritte erfüllt sind, gehen wir von der Strasse.»

«Sie erpressen das Land, das ist Ihnen klar?», provoziert Lanz die Aktivistin. Das sei keine Erpressung, man mache das nicht zu eigenem Vorteil, kontert Rochel.

«Es ist Erpressung, es ist Nötigung. Sie legen Teile des öffentlichen Lebens lahm», fügt die Journalistin Eva Quadbeck hinzu. Die von Rochel genannten Forderungen könne man auch auf parteipolitischem Wege erreichen.

Faktencheck: Keine Erpressung
Beim Straftatbestand der Erpressung versucht jemand, sich selbst oder Dritte rechtswidrig durch Gewalt oder durch Androhung eines empfindlichen Übels zulasten eines anderen zu bereichern. Bereicherungsabsicht kann man den Klimaschutz-Aktivistinnen und -Aktivisten ganz sicher nicht vorwerfen. Eva Quadbecks Vorwurf ist also falsch.

Quadbeck findet die Argumentation um die zwei Forderungen nicht sinnvoll: «Das 9-Euro-Ticket ist mehr eine soziale Massnahme als eine Klimamassnahme.»

Auch ein Tempolimit von 100 km/h würde der Klimawende nicht viel bringen, behauptete Quadbeck.

Faktencheck: Tempolimit nützt
Fast ein Fünftel der CO2-Emissionen in Deutschland stammt aus dem motorisierten Strassenverkehr. Es ist der einzige Staat in Europa, in dem auf 70 Prozent der Autobahnen ohne jede Tempobeschränkung gefahren werden kann. Ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen würde eine Einsparung von 6,2 Millionen Tonnen CO2 jährlich bringen. Hinzu kommen Sekundäreffekte. So wäre ein Tempolimit ein gesellschaftspolitisches Signal und könnte dem Trend zu hochmotorisierten, schweren Fahrzeugen entgegenwirken. Eva Quadbecks Behauptung ist also falsch.

Markus Lanz zeigt sich verwundert über die Forderungen der Bewegung: «All das für ein 9-Euro-Ticket? Glauben Sie wirklich, die Politik wird darauf reagieren?» Die Aktivistin ist jedoch überzeugt, dass es Gespräche mit der Bundesregierung geben wird.

«Wir wollen von der Bundesregierung ein Zeichen, dass sie verstanden hat, was diese Klimakatastrophe bedeutet. Und das ist konkret: Erste Schritte, erste Sicherheitsmassnahmen. Konkret sind das das 9-Euro-Ticket und das Tempolimit. [...] Natürlich wissen wir alle, dass es damit nicht getan ist. Dass wir einen Wandel in allen Bereichen brauchen. Dass wir unsere Gesellschaft jetzt umstrukturieren müssen.»
Carla Rochel, «Letzte Generation»

Klimaaktivistin über den Tod der Fahrradfahrerin

«Wir haben mit dem Unfall nichts zu tun.»

Der Todesfall der Fahrradfahrerin wird thematisiert. Dieser stehe vermeintlich in einem Zusammenhang mit der Protestbewegung. «Wir haben mit dem Unfall nichts zu tun», stellt Carla Rochel fest. «Der Unfall ist noch nicht aufgeklärt», entgegnet ihr Eva Quadbeck.

Rochel äussert, dass sie «fassungslos» sei, dass der Unfall instrumentalisiert werde. Das wiederholt sie mehrmals und man kann erkennen, dass ihr dieser Vorwurf – für den Tod mitverantwortlich zu sein – sehr nahe geht.

Aktivistinnen und Aktivisten in der Mitte würden sich nicht an die Strasse kleben, um im akuten Fall eine Rettungsgasse bilden zu können, versichert sie.

Am Tag des Unfalls der Fahrradfahrerin sei bei den Aktivisten die Rettungsgasse offen gewesen, schildert sie. Die Autos seien das Problem gewesen, da sie wegen dichtem Verkehr die Strasse behindert hätten. «Das ist ein sehr schlechtes Argument», entgegnet ihr Lanz. Die Bewegung würde den Verkehr nämlich mutwillig behindern, die Autos nicht.

Carla Rochel versichert erneut, dass präventiv alle nötigen Schritte eingeleitet wurden, damit die Bewegung keinen Schaden verursacht:

«Wir rufen vor den Blockaden bei der Polizei an, damit sie die Rettungswägen umleiten. Unsere Blockaden sind sicher.»

Und die Attacken gegen Kunstwerke?

Überdies sind die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten für die Attacken auf Kunstgemälde verantwortlich. Das Ziel der Gruppierung sei nicht die Kunst zu beschädigen, sondern Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen.

«Aber die Aktion bringt doch dann eher, dass man über Kunst und Kartoffelbrei spricht und nicht über das Klima», kritisiert Eva Quadbeck die Aktion der Gruppierung.

Diese Meinung teilt Rochel nicht. Es solle übrigens ein Zusammenhang erkennbar gemacht werden: «Meine Kinder werden keine Chance haben, sich im Museum ein Kunstwerk anzuschauen, wenn sie sich draussen um Essen prügeln müssen», prophezeit sie dramatisch.

Quellen

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Macca_the_Alpacca
10.11.2022 14:15registriert Oktober 2021
Für mich die erstaunlichste Bemerkung von Clara Roche war, dass sie (und die letzte Generation) sich als Vertreter einer Mehrheit sehen, einer Mehrheit die es seit Jahrzehnte gebe. Allein die Politik würde diese Mehrheit ignorieren. Deshalb die Blockaden.

Aus meiner Sicht eine typische Wahrnehmung aus der Informationsblase. Wenn man nur in FFF und LG Kreisen verkehrt, entsprechende Bücher liest usw., dann mag es schon so scheinen, als wäre die ganze Welt gleicher Meinung.
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Overton Window
10.11.2022 14:18registriert August 2022
Und jeden Tag bekommen diese Trottel eine Bühne.
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Cleese
10.11.2022 13:44registriert April 2021
Ah jetzt ist alles klar: Die wollen einfach weiterhin für 9 Euro nach Sylt
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48
Balsam für die Seele: 21 Dinge vor und nach dem Putzen

Ja, in dieser Story musst du tatsächlich mitputzen, wenn du sehen willst, wie die Bilder sauber aussehen. Streiche über das Bild, damit der ganze Dreck weg ist.

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