Als der weltweit angesehene japanische Quallenexperte Hirohito 1989 in Tokio stirbt, hat er 31 neue Nesseltierarten dokumentiert. Seine Freizeit hat den märchenhaften Geschöpfen unter Wasser gegolten, den Seeanemonen, Quallen und Korallen, und er hat sich dafür ein eigenes Laboratorium geleistet. Nicht irgendwo, sondern in seinem Zuhause. Im japanischen Kaiserpalast.
Es gibt auf dieser Welt 33 Königreiche, wobei gut die Hälfte davon die Reiche der britischen Queen sind. Dazu 3 Fürstentümer, 3 Emirate, 2 Sultanate, 1 Grossherzogtum und die sogenannte souveräne territoriale Basis des Heiligen Stuhls, also den Vatikan. Und: ein einziges Kaiserreich. Japan. Die Monarchie im Zeichen der gelben Chrysantheme. Und einer von Japans Kaisern war Hirohito.
Er sass von 1926 bis 1989 auf dem Thron und beschloss nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass sich an seinem Job einiges ändern müsse. Wobei er gar nicht so viel selbst beschliessen konnte, die wichtigsten Massnahmen wurden von der Siegermacht Amerika getroffen. Japan war im Krieg mit Deutschland und Italien verbündet, Hirohito galt bei den einen als Kriegstreiber schlechthin, bei den andern als Marionette der Armee.
Nach der Niederlage Japans wurde Hirohito seine Göttlichkeit aberkannt und die Amerikaner schwankten, ob sie ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen sollten. Doch der Kaiser hatte Glück: Die Siegermacht sah in ihm einen Anker der Stabilität in einem geschlagenen, zerstörten Land, das unbedingt vor dem Kommunismus bewahrt werden sollte. So blieb Hirohito im Amt. Und entschied sich, als Kniefall vor Amerika für den Kronprinzen eine amerikanische Nanny, zudem eine strenge Christin, einzustellen. Sie sollte seinen Sohn Weltoffenheit lehren.
Die Wahl des Kaiserhofs fiel auf Elizabeth Vining, eine Lehrerin, Bibliothekarin und Autorin von Büchern für Kinder und Erwachsene. Sie war Mitte vierzig, hatte keine Kinder und nach dem frühen Tod ihres Mannes im Quäkertum Zuflucht gesucht und liess sich für ein Jahr – aus dem schliesslich vier wurden – als Erzieherin des künftigen Kaisers von Japan verpflichten.
Als sie ihren Schützling Akihito kennenlernte, fand sie den damals 12-Jährigen isoliert von seiner Familie, von bis zu 17 Höflingen umgeben und ohne jede Fähigkeit, eine eigene Entscheidung zu treffen. Und so, wie sich sein Vater auf Quallen spezialisierte, galt Akihitos grosse Liebe den Fischen. Elizabeth Vining brachte dem Jungen Selbständigkeit, Englisch, Tennis und Monopoly bei, organisierte Kontakte zu Gleichaltrigen und erlangte schliesslich so sehr das Vertrauen der Kaiserfamilie, dass auch die Kaiserin ihren Englischunterricht besuchte.
Vining und Akihito blieben bis zu Vinings Tod 1999 gut befreundet, wenn er die USA besuchte, wohnte er oft in ihrem Haus in Philadelphia, an seiner Hochzeit mit der bürgerlichen Michiko war sie der einzige ausländische Gast, sie telefonierten regelmässig. «Man hatte mich gebeten, für den Kronprinzen Fenster zu einer weiteren Welt aufzustossen», schrieb Vining in ihren Japan-Memoiren «Windows for the Crown Prince», «aber wer weiss, wie gut mir das gelungen ist.»
Vielleicht war ihr wichtigstes Geschenk an Akihito der Tennisunterricht gewesen. Denn auf dem Tennisplatz lernte er Michiko kennen, eine begüterte, christliche Unternehmertochter, die in Harvard und Oxford Kunst studiert hatte und der mehrere bedeutende Männer den Hof machten, darunter auch der Dichter Yuko Mishima. Doch der künftige Kaiser machte das Rennen. Die grösste Widersacherin von Michiko war ihre Schwiegermutter, sie fand bei allen Transparenzbestrebungen ihres Mannes eine Bürgerliche an der Seite des Kaisers nach wie vor unzumutbar und trieb die Kronprinzessin in schwere Depressionen.
So wie sein Vater die Konkubinenwirtschaft des Kaiserhofs beendet hatte – wenn eine Kaiserin keinen Prinzen gebar, durfte der Kaiser seine Geliebten so lange schwängern, bis ein Junge zur Welt kam –, so beendeten Akihito und Michiko nun die Tradition, dass die Prinzen und Prinzessinnen getrennt von ihren Eltern aufwachsen müssen. Dass Michiko dem kleinen Kronprinzen Naruhito die Brust gab, glich einer Revolution.
Die Beliebtheit des nahbaren Kronprinzenpaars unter der Bevölkerung wuchs ins Unermessliche, und vielleicht ist es jener nach dem Krieg schon fast schockartig gesteigerte Erneuerungswille, der dazu führte, dass die Bilder der Kaiserfamilie aus den 50er- und 60er-Jahren die glücklichsten zu sein scheinen. Bilder, in denen Bewegung zu sehen ist, in denen die Kleider der Frauen kürzer und beschwingter und die inszenierten Familienszenen herzlicher wirken. Danach wurde wieder alles anders.
Japan ist das Land der zum Verzweifeln skandalfreien Royals. Jedenfalls dringt so dermassen wenig und immer noch weniger an die Öffentlichkeit, dass die wöchentliche Hofberichterstattung am Fernsehen von einer halben auf eine Viertelstunde gekürzt werden musste. Die Briten liefern andauernd den Humus für Boulevard, Filme und Serien, die Spanier leiden unter Affären, der Vergangenheit und Korruption, die bürgerlichen Angeheirateten der Skandinavier kennen sich mit Drogen, Fitness oder Stangentanz aus, und Monaco ist eh ein Bordell.
Und Japan? Das japanische Kaiserhaus dagegen, das letzte und mit über 2600 Jahren älteste der Welt, scheint aus Zurückhaltung, Zurückgezogenheit, Selbstbeherrschung und allgemeiner Restriktion und Traditionshörigkeit zu bestehen. Auch heute ist eine Frau auf dem Kaiserthron noch immer undenkbar. Und so führte denn die lange Sohnlosigkeit von Naruhito und seiner Gattin Masako zum fast zehn Jahre langen, depressionsbedingten Rückzug von Kronprinzessin Masako aus der Öffentlichkeit. Erst 2006 kommt ein Prinz zur Welt.
Dabei hatte alles so gut begonnen: 1986 lernt Naruhito auf einem Empfang die Diplomatin Masako kennen. Sie arbeitet im Aussenministerium, ist eine hochqualifizierte Ökonomin und Politologin, die in Harvard und Oxford studiert hat und jetzt für die Beziehungen zu Amerika zuständig ist. Er ist der wichtigste Prinz der Welt, hat Geisteswissenschaften studiert und ebenfalls in Oxford eine Doktorarbeit über die Geschichte der Schifffahrt auf der Themse geschrieben. Wie schon sein Grossvater (Quallen) und sein Vater (Fische) interessiert er sich immens für das Wasser und seine Lebewesen und engagiert sich für dessen Schutz.
Ein Jahr lang daten sich Masako und Naruhito im Geheimen, treffen sich bei Freunden und in Tiefgaragen, ihre Familie ist gegen eine Ehe, weil sie findet, Masako solle sich als Diplomatin einen Namen machen, nicht als repräsentatives Anhängsel des Prinzen. Sechs Jahre lang wirbt er um sie, schliesslich willigt sie ein – und wird vom Hof verschluckt. Verwandelt sich in eine schier leblose Puppe des Zeremoniells. Und gebiert 2001 Tochter Aiko. Was ganz in der Tradition des Kaiserhauses ist: Es kommen da seit Jahrzehnten viel mehr Mädchen als Buben zur Welt.
Der Premier lässt eine Kommission so lange darüber streiten, ob die Nachfolgeregelung vielleicht nicht doch zugunsten der Prinzessin reformiert werden könne, bis der rettende Prinz zur Welt kommt. Er ist jedoch nicht Masakos Sohn, sondern bloss ihr Neffe. Dessen Vater ist Naruhitos jüngerer Bruder Akishino, der mit Gattin Kiko bereits die beiden Töchter Mako und Kako hat. Akishino und sein Sohn werden nach Naruhito die nächsten Kaiser.
Masako beginnt sich ab 2008 wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen, heute scheint sie genesen. Sie hätte in der japanischen Aussenpolitik Grosses leisten und werden können, jetzt wird sie vor allem als die traurige Frau an Naruhitos Seite in die Geschichtsbücher eingehen. Ihr Mann ist seit Oktober 2019 der 126. Kaiser von Japan. Ihr Schwager wird der 127., ihr Neffe der 128. In welcher Form sich die beiden für Wasser interessieren, ist nicht bekannt.
„Monaco ist eh ein Bordell.“